Am Sonntagabend ist es passiert: Nach 24 Tagen in Russland habe mich selbst dabei ertappt, wie ich während des Spiels im ausverkauften Luschniki-Stadion gegen Spanien zum Fan der Sbornaja wurde. Natürlich nur ein kleines bisschen, denn eigentlich muss ich ja objektiv und unparteiisch sein. Klar.

    Aber ich muss zugeben, dass mich die Art und Weise beeindruckte, wie Außenseiter Russland, angepeitscht von den leidenschaftlichen und lautstarken Fans, Fußball-Schwergewicht Spanien niederrang. (Und vielleicht hilft es ja auch zu wissen, dass man nicht die einzige Fußball-Großmacht ist, die – vorsichtig formuliert – unter ihren Möglichkeiten blieb.) Und doch stellte sich nach dem 120-Minuten-Spektakel mit anschließendem Elfmeterschießen-Nachschlag die Frage: Darf man Russland eigentlich guten Gewissens die Daumen drücken?

    Die Antwort ist schwierig und einfach zu gleich. Schwierig, weil man (besonders als Journalist) aufpassen muss, dass man sich von Putins Propaganda nicht blenden lässt. Dass man durch die überraschenden Fußballerfolge die fehlenden Menschen-, Bürger- und beispielsweise auch Schwulenrechte nicht vergisst. Und dass man durch einen gehaltenen Elfmeter nicht die aggressive Außenpolitik Putins außer Acht lässt.

    Doch gleichzeitig ist es einfach, nach drei Wochen zum Russen-Fan zu mutieren. Denn die einfachen Menschen können nur bedingt etwas für Putins Kriege in Syrien und im Donbass. Die Russen auf der Straße und im Stadion punkten nicht mit Propaganda, sondern mit Herzlichkeit. Und davon darf man guten Gewissens ein Fan werden.