london. Die Hamburgerin arbeite nicht hart genug, kritisiert Barbara Rittner, Chefin des deutschen Damentennis

    Sie liebt Wimbledon. Nach London, wo 2013 ihre Grand-Slam-Karriere begann und wo sie so oft wie nirgendwo anders auf der ganz großen Tennisbühne die dritte Runde erreichte (2016 und 2017), kehrt Carina Witthöft meist mit großer Vorfreude zurück. In diesem Jahr ist das anders. 14 Erstrundenniederlagen bei 16 Turnierstarts haben das Selbstvertrauen der 23 Jahre alten Hamburgerin angekratzt. Und so ist die Weltranglisten-81. vor ihrem heutigen Auftaktmatch gegen die an 27 gesetzte Spanierin Carla Suárez Navarro (29) auf der Suche nach jener Form, die ihr im Oktober 2017 in Luxemburg den ersten Titel auf der WTA-Tour eingebracht hatte.

    „Ich kann selbst nicht genau erklären, warum es dieses Jahr nicht so läuft, wie ich es mir erhofft hatte“, sagt sie. Zu viel Druck habe sie sich gemacht, dazu kam die Erwartungshaltung von außen. „Ich wollte alles richtig machen, wollte mich weiter etablieren. Der Sieg in Luxemburg wurde aber von außen eher so wahrgenommen, als sei es endlich mal Zeit gewesen, anstatt sich mit mir darüber zu freuen. Das hat mir noch mehr Druck gemacht.“ Es sei ihr nicht gelungen, damit so umzugehen, wie es nötig gewesen wäre. Der Vergleich zu Angelique Kerber, die nach ihrem Erfolgsjahr 2016 an den Erwartungen zerbrach, die Position der gejagten Nummer eins in positive Energie zu kanalisieren sei zwar vermessen, „in abgeschwächter Form kann ich aber nachvollziehen, was sie gefühlt haben muss“, sagt Witthöft.

    Auf der Suche nach Erklärungen für den Leistungseinbruch der Fedcupspielerin ist Barbara Rittner die beste Gesprächspartnerin. Die langjährige Bundestrainerin, heute als Head of Women’s Tennis im deutschen Verband tätig, hatte die Rechtshänderin im Jugendbereich entdeckt und gefördert, auch heute noch ist sie von Witthöfts Stärken überzeugt. „Sie hat alle Anlagen, um dauerhaft in den Top 50 zu stehen“, sagt die 45-Jährige, „aber leider hat sie den Weg verloren, auf dem sie mal war.“ Rittner kritisiert die mangelnde Bereitschaft, sich dauerhaft professionell betreuen zu lassen und stattdessen immer wieder in den Schoß von Mutter Gaby zurückzukehren, die Trainerin, Mentalcoach und Beraterin in einer Person darstellt: „Carina ist leider nicht bereit, noch mehr zu investieren, um den nächsten Schritt zu machen. Das finde ich sehr schade, weil ich weiß, was noch alles in ihr steckt.“

    Carina Witthöft, deren Eltern im Hamburger Osten zwei Tennisschulen betreiben, hat es selten lang mit externen Coaches ausgehalten. Zuletzt trennte sie sich nach wenigen Monaten von Bijan Wardjawand. „Es hat nicht gepasst“, sagt sie. Beratungsresistenz nennen das ihre Kritiker. Dass sie in Wimbledon lediglich von ihrem Vereinskollegen Demian Raab, der beim Club an der Alster Zweite Liga spielt, als Hitting Partner begleitet wird, kann Rittner nicht nachvollziehen. „Das meine ich mit mangelnder Professionalität. Der Verband hat sie jahrelang gefördert, wir sind auch jetzt bereit zu helfen. Aber die Nachfrage muss von ihr kommen. Sie muss bereit sein, sich wie ein Profi zu verhalten.“

    Carina Witthöft glaubt, dass man ihr fehlendes Engagement nicht vorhalten könne. „Ich arbeite hart, körperlich und mental. Mich ärgert, dass von außen immer wieder diese Ratschläge kommen, ich müsse mein Umfeld verlassen. Wenn ich das täte und an eine Akademie wechselte, würde ich innerhalb von sechs Monaten mit dem Tennis aufhören“, sagt sie. Das gewohnte Umfeld sei für sie wichtig, um sich wohlfühlen zu können. „Und ich habe immer dann mein bestes Tennis gespielt, wenn ich mich wohlfühlte.“

    Dass dazu die vielen Modebilder gehören, die sie in den sozialen Netzwerken postet, was ihr ebenfalls als Setzen falscher Prioritäten ausgelegt wird, verhehlt sie nicht. Rittner sagt: „Sie will zu viel, will ein Leben führen wie ihre Schwester Jennifer, die Mode studiert und feiern geht, und gleichzeitig will sie Tennisprofi sein. Sie muss sich entscheiden, wohin es gehen soll.“

    Das hat sie bereits getan. „Trotz der vielen Niederlagen habe ich noch immer Spaß am Tennis und finde es gut, wie es momentan läuft“, sagt sie. Natürlich wolle sie den maximal möglichen Erfolg, aber ihr Leben komplett auf Tennis auszurichten sei ihr die vage Aussicht auf den Sprung unter die besten 30 der Welt, der ihr angesichts der sportlichen Anlagen zuzutrauen wäre, aktuell nicht wert. Dass sie in ein paar Jahren zurückschauen und diese Entscheidung bereuen könnte, hält sie für möglich. „Es kann sein, dass ich in ein paar Jahren ganz anders darüber denke und vielleicht auch bereit bin, mein Umfeld zu verlassen. Aber momentan ist das nicht der Fall, und ich wünschte, dass das respektiert wird.“

    Barbara Rittner ist dazu durchaus bereit. „Wenn sie das so sagt, ist das ihr gutes Recht. Carina ist eine, die weiß, wie das Leben funktioniert und mit der man gern Zeit verbringt. Aber mit dieser Einstellung wird sie im Tennis keine großen Sprünge mehr machen.“ Die Antwort auf die Frage, ob sie das überhaupt will, wird Carina Witthöft in den kommenden Monaten beantworten müssen. Sie liebt Wimbledon und das Tennisspielen, noch mehr aber ihr Leben. Wie beides auf Dauer zusammenpasst, bleibt abzuwarten.