Moskau. Torhüterfehler und verlorene Elfmeterschießen sollen sich im Viertelfinale gegen Kolumbien nicht wiederholen

    Die Stimmung im Lager ist grandios, da sind sich alle Beteiligten einig. Trainer Gareth Southgate ist es mithilfe von Sportpsychologen gelungen, echten Gemeinschaftssinn zu schaffen, die Spieler berichten begeistert von einer Art Landschulheim-Atmosphäre in Repino bei St. Petersburg.

    Stünden Dienstagabend (20 Uhr/ARD) im Achtelfinale gegen Kolumbien gruppendynamische Fangspiele an, würden die Engländer nach den Erfahrungen der vergangenen zwei Wochen als Favorit ins Rennen gehen. Es wird allerdings Fußball gespielt, was eine unangenehme Frage aufwirft. Wie gut ist Southgates New England nach Siegen gegen Tunesien (2:1) und Panama (6:1) und dem 0:1 gegen Belgiens B-Elf wirklich? Der 47-Jährige hatte vor der Niederlage im letzten Gruppenspiel acht Veränderungen vorgenommen, er wollte den Reservisten Spielpraxis geben, weil er als nicht eingesetzter Reservist bei der WM 2002 weiß, wie schwierig es für Leute der zweiten Reihe ist, Motivation und Teamgeist zu bewahren. England rutschte dank des 0:1 gegen Belgien in die leichtere Turnierhälfte, aber dieser mögliche Vorteil wurde von der Sorge abgelöst, England könnte vor der K.-o.-Runde seinen jugendlichen Schwung verloren haben.

    „Nein, ich glaube nicht, dass wir das Momentum eingebüßt haben“, mussten Dele Alli (Tottenham) und Kollegen gebets- mühlenartig versichern. Frankreich, das beim
    laschen 0:0 gegen Dänemark ebenfalls zahlreiche Wechsel vorgenommen hatte und danach Argentinien trotzdem 4:3 besiegte, hat gezeigt, dass die „Never change a winning Team“- Idee bei dieser WM nicht zum Tragen kommen muss.

    Aber Leistung und Resultat gegen die Belgier haben bei den Three Lions den Enthusiasmus zweifelsohne gedimmt. Vor dem Duell mit den Südamerikanern ging der Blick verdächtig oft zurück, zu Pleiten und Tragödien, soll heißen: zu zahlreichen Torhüterfehlern und – Elfmeterschießen: 1990, 1998 und 2006 bei Weltmeisterschaften; 1996, 2004 und 2012 bei Europameisterschaften. Kein Land hat häufiger in Shoot-outs verloren. Southgate scheiterte selbst vor 22 Jahren im EM-Halbfinale als sechster Schütze gegen Andreas Köpke vom Punkt und schwor sich, als Trainer nichts unversucht zu lassen, um das ständig wiederkehrende Trauma zu besiegen. Seine Spieler wurden psychologischen Tests unterzogen und simulierten am Finnischen Meerbusen wochenlang den Ernstfall.

    „Wir alle sind bereit, zu schießen“, sagte Manchester Uniteds Jesse Lingard vor der Abreise in die Hauptstadt.

    Das Selbstbewusstsein wäre womöglich stärker ausgeprägt, wenn die Briten einen echten Elfmeterkiller vom Schlage Kasper Schmeichels (Dänemark) in den eigenen Reihen hätten. Keeper Jordan Pickford (Everton) kann nicht als Spezialist in der englischen Schicksals-Disziplin durchgehen. Der 24-Jährige hat in seiner Profikarriere nur drei von 25 Strafstößen abgewehrt.

    Kapitän Kane verwandelte gegen Panama zwei Elfmeter

    Zudem hat der Treffer von Adnan Januzaj in Kaliningrad, ein Schlenzer ins lange Eck, eine unerfreuliche Debatte über Pickfords Körpergröße ins Rollen gebracht. Belgiens Torhüter Thibaut Courtois (FC Chelsea) stellte die etwas unkollegiale These auf, Pickford sei „zu beschäftigt damit, seine Füße in die Luft zu werfen“ gewesen, um den Schuss zu parieren, noch dazu hätten dem 1,85-Meter-Mann „zehn Zentimeter“ gefehlt. „Ich hätte ihn gehalten“, behauptete Courtois (1,99 m).

    Im Verband verwies man pikiert darauf, dass Pickford nicht kleiner ist als die Weltmeister-Keeper Fabien Barthez (Frankreich, 1998) und Iker Casillas (Spanien, 2010). Southgate stellte sich darüber hinaus demonstrativ vor seine Nummer eins: „Er genießt mein volles Vertrauen. Wir sprechen letztendlich bei Torhütern von Größenunterschieden, die einem Cadbury’s Cream Egg entsprechen.“

    Die „Daily Mail“ wollte das nicht ganz glauben und maß noch mal nach. Courtois, so das Blatt, sei exakt zweieinhalb Schokoladen-Eier größer als der Torhüter Ihrer Majestät. Ob das am Ende tatsächlich ins Gewicht fällt, hängt im Wesentlichen davon ab, ob sich Englands flexibles 3-3-2-2 -System auch gegen die schwer zu bespielenden Kolumbianer als stabil erweist.

    Auf ein Elfmeterschießen würde man sich im Spartak-Stadion aus Sicht der Briten trotz gewissenhafter Vorbereitung nicht einlassen wollen, selbst wenn man nominell im Vorteil wäre. Kolumbiens Schlussmann David Ospina (Arsenal) ist mit seinen 1,83 Metern laut offiziellen Daten noch ein halbes Cream Egg kleiner als sein Gegenüber.

    Und, nicht minder ermunternd ist, dass Kapitän Harry Kane (Tottenham Hotspur) beim 6:1 gegen Panama gleich zweimal vom Punkt traf. Allerdings gibt es auch Spieler im Team wie Harry Maguire (vier von sechs Elfmetern verschossen) oder Ashley Young (sechs von 14 verschossen, unter anderem 2012 gegen Italien) und solche, die kaum Erfahrung bei Strafstößen haben.

    Kolumbien: 1 Ospina – 4 Arias, 13 Mina,
    23 D. Sanchez, 17 Mojica – 6 C. Sánchez,
    15 Uribe – 11 Juan Cuadrado, 20 Quintero,
    14 Muriel – 9 Falcao. England: 1 Pickford – 2 Walker, 5 Stones, 6 Maguire – 12 Trippier, 20 Alli, 8 Henderson, 7 Lingard, 18 Young – 10 Sterling, 9 Kane. SR: Geiger (USA).