Moskau/münchen. Der frühere HSV-Star freut sich über die Leistung der Seleção und trauert über Deutschlands Aus. Trainer Löw empfiehlt er den Rücktritt

    Zwölf Jahre hat der Brasilianer Zé Roberto in Deutschland bei Bayer Leverkusen, Bayern München und dem HSV gespielt. Derzeit ist Zé Roberto wieder in Deutschland. Aus Baden-Baden analysiert der 43-Jährige für das ZDF die Spiele seines Landes.

    Täuscht der Eindruck, oder spielt Brasilien sehr deutsch?

    Roberto: Genauso habe ich es auch empfunden. Brasilien spielt endlich deutsch. Beim 1:1 gegen die Schweiz ging es zunächst nur um das Ergebnis. Dann steigerte sich Brasilien aber von Spiel zu Spiel, wie man das sonst immer Deutschland als sogenannte Turniermannschaft nachsagt. Die Leistung gegen Serbien war dann sehr reif.

    Wie hat Trainer Tite diese noch vor zwei Jahren am Boden liegende Mannschaft so schnell wieder aufgerichtet?

    Tite ist zwar schon 57 Jahre alt, aber er ist ein extrem moderner Trainer. Er hat eine klare Idee von Fußball – und verfolgt diese sehr konsequent. Er hat es tatsächlich geschafft, zwischen begeisternden Offensivfußball, der immer in Brasilien gefordert wird, und defensiver Stabilität ein Gleichgewicht zu entwickeln. Zudem setzt Tite sehr auf seinen Trainerstab, der offen ist für europäische Einflüsse. Einer seiner Co-Trainer ist beispielsweise Sylvinho, der lange in Barcelona gespielt hat. Auch sein Know-how kommt der Seleção zugute. Zudem muss man Tite zugutehalten, dass er nicht nur auf eine starke Elf setzt. Er gibt allen Spielern im Kader das Gefühl, wichtig zu sein. Und nur so war es möglich, die kurzfristigen Ausfälle der extrem wich­tigen Außenverteidiger Dani Alves und nun auch Marcelo erstklassig zu ersetzen.

    Erstklassig sind auch immer die Diskussionen rund um Neymar. Wie bewerten Sie seine bisherige Performance?

    Viele scheinen zu vergessen, dass Neymar fast drei Monate verletzt gefehlt hat. Da war es doch klar, dass er sich im Turnier zum Start möglicherweise schwertun würde. Doch genau wie die Mannschaft wurde auch Neymar von Spiel zu Spiel besser. Gegen Serbien war plötzlich ein anderer Neymar auf dem Platz.

    Auf Ihrer Paradeposition im defensiven Mittelfeld spielt Casemiro, …

    …der für mich ein Schlüsselspieler für den Erfolg der Seleção ist. Er ist Tites wichtigster Akteur im Hinblick auf das Gleichgewicht zwischen Offensive und Defensive. Genau das macht er ja auch schon seit Jahren bei Real Madrid. Nur durch sein intelligentes Spiel kann ein Künstler wie Kroatiens Luka Modric sorglos zaubern. Ich finde, dass Casemiro viel zu wenig gewertschätzt wird.

    Sie haben einen deutschen Pass und Sie wollen mittelfristig wieder in München oder in Hamburg leben. Leiden Sie gerade genauso wie der Rest von Deutschland?

    Und wie. Ich bin total schockiert. Meine drei Kinder genauso. Die sind alle in Deutschland geboren und sind große Fans der Nationalmannschaft.

    Haben Sie schon eine Erklärung?

    Es gab natürlich einige Indikatoren für das Desaster. In der Vorbereitung waren die Spiele ja auch schon schlecht. Und irgendwie hat es Bundestrainer Joachim Löw nicht geschafft, bei dieser WM eine Stammformation zu finden. Vor dem entscheidenden Spiel gegen Südkorea hat er gleich fünf Wechsel vorgenommen. Das ist einfach zu viel.

    Soll Löw zurücktreten?

    Das kann nur er selbst entscheiden. Er muss wissen, wie sehr er für einen Neuanfang motiviert ist. Aber vielleicht würde der Mannschaft eine Veränderung auf dieser Position guttun. Letztendlich wird sich das Team ja nicht großartig verändern. Ein paar ältere Spieler werden zurücktreten, dafür kommen ein paar junge Spieler, die U-21-Europameister wurden, neu dazu. Die Mannschaft hat also ein gesundes Fundament. Aber vielleicht braucht Deutschland einen neuen Architekten.

    Wo wir bei schwierigen Themen sind: Wie haben Sie den Abstieg des HSV verfolgt?

    Genauso wie das Ausscheiden der Deutschen. Beides konnte ich gar nicht glauben. Wobei der Unterschied ist, dass der HSV ja schon in den vergangenen Jahren immer nur um das Überleben gekämpft hat.

    Haben Sie Hoffnung auf Besserung?

    Ich habe immer Hoffnung. Am wichtigsten wäre aber, dass der HSV aus seinen Fehlern lernt. In Hamburg ging es immer nur um Politik und nie um Fußball. Die Clubchefs, Präsidenten, Sportchefs und Trainer wechselten so oft, dass man gar nicht mehr mitzählen konnte.

    Brasilien: 1 Alisson – 22 Fagner, 2 Thiago Silva, 3 Miranda, 12 Marcelo – 5 Casemiro –
    15 Paulinho, 11 Coutinho – 19 Willian, 9 Gabriel Jesus, 10 Neymar.Mexiko: 13 Ochoa – 3 Salcedo, 2 Ayala Castro, 3 Márquez, 23 Gallardo – 16 Herrera, 18 Guardado – 7 Layún, 11 Vela, 22 Lozano – 14 Chicharito. Schiedsrichter: Rocchi (Italien).