Kasan/Frankfurt. Konflikte in der Mannschaft, die Erdogan-Affäre, die Wahl des Quartiers und ein Schuss Überheblichkeit

    Als die deutsche Nationalelf um kurz nach 15 Uhr wieder in Frankfurt am Main gelandet war, verlief sie sich schnell in alle Himmelsrichtungen. Kurz nach dem Aussteigen wurden Hände geschüttelt, manche Spieler umarmten sich. Dann wurden Busse bestiegen, jeder ging seines Weges. Die Spieler, die wie Toni Kroos oder Sebastian Rudy ihre Familien mit an Bord hatten, zog es in den Urlaub. Auf die Leitung der deutschen Nationalmannschaft um Direktor Oliver Bierhoff sowie Bundestrainer Joachim Löw und auf DFB-Präsident Reinhard Grindel dagegen kommt nach dem Debakel um das WM-Aus nach der Vorrunde viel Arbeit zu. „Die Führung legt uns eine Analyse vor. Wir müssen jetzt einen kühlen Kopf bewahren“, sagte Grindel nach der Landung.


    Die Blamage muss aufgearbeitet werden. Und dass es da einiges zu besprechen gibt, das wusste Thomas Müller. „Die Gründe sind vielfältig“, sagte der 28-Jährige, der nach dem 0:2 gegen Südkorea auf dem Platz geweint hatte. Aber er wusste auch, dass er kaum einen Vorwurf würde entkräften können. „Jegliche Begründungen, die jetzt kommen werden, können wir aktuell nicht zurückweisen, weil wir mit heruntergelassenen Hosen dastehen“, sagte der Münchner. Er bleibt ein Sprachtalent, selbst wenn es um Abstürze geht, für die es kaum Worte gibt.


    Die Geschichte des Scheiterns dieser Nationalelf beginnt auf Nebenkriegsschauplätzen, sie erzählt von Konflikten im Team, zu vielen Einzelproblemen und einer gewissen Überheblichkeit. Das konnte nicht gut gehen.

    Nebenschauplätze: Selten hat eine deutsche Mannschaft außerhalb des Platzes ein so schlechtes Bild abgegeben wie in Russland. Die Affäre um Mesut Özil und Ilkay Gündogan, die sich vor dem Turnier mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan fotografieren ließen, hat den DFB und das Team tief erschüttert. Nicht nur die Tatsache, dass sich zwei Spieler von einem Demokratieverächter instrumentalisieren ließen. Nicht nur die daraus resultierenden, bis in Hetze reichenden Reaktionen der Öffentlichkeit. Auch das fatale Krisenmanagement des DFB tat sein Übriges, um diesen Brandherd immer wieder auflodern zu lassen.

    Auch die umstrittene Wahl Watutinkis als deutsches WM-Quartier sorgte für Diskussionen – schon vor dem Turnier. Löw wollte nach Sotschi, Bierhoff setzte sich mit dem schmucklosen, tristen Moskauer Vorort durch. Löw sprach später vom Charme einer „Sportschule“, was Bierhoff traf. Aber nicht nur Löw nervte Watutinki, sondern auch Spieler und Betreuer. Kraft aufwenden musste der DFB zudem, als zwei Verbandsmitarbeiter nach dem Spiel gegen Schweden (2:1) mit unfairen Gesten Richtung schwedische Bank von sich reden machten.


    Konflikte in der Mannschaft: Schon nach der Auftaktniederlage gegen Mexiko (0:1) war publik geworden, dass es mit dem Zusammenhalt nicht gut bestellt sei. Das wurde aus dem inneren Kreis des Trainerteams und Bierhoff dementiert, stimmte aber dennoch. Die Stimmung innerhalb der Mannschaft soll schlecht gewesen sein bei dieser WM. Es gab Grüppchen. Spieler mit Bayern-Bezug sollen Spielern wie Mesut Özil, Sami Khedira und anderen kritisch gegenübergestanden haben. Toni Kroos zum Beispiel soll einer der schärfsten Kritiker Özils gewesen sein. Aber intern stand Kroos nach der Auftaktniederlage auch in der Kritik. Die Risse zeigten sich auch auf dem Platz, als Spieler, die zum Teil seit fast zehn Jahren zusammenspielen, einander fremd wirkten. Die Mannschaft fiel auseinander, als es darauf ankam – in alle Himmelsrichtungen.


    Zu viele Einzelprobleme: Ein weiterer Grund für den Niedergang war die Summe der vielen einzelnen Probleme der Spieler. Jerome Boateng kehrte nach einer längeren Verletzung zurück und wirkte nicht fit. Er flog nach einem unnötigen Foul gegen Schweden mit Gelb-Rot vom Platz. Müller steckte ebenso wie viele seiner Bayern-Kollegen nach dem Champions-League-Aus gegen Real Madrid und dem verlorenen Pokalfinale gegen Eintracht Frankfurt (1:3) in einem emotionalen Tief, aus dem er nicht mehr herausfand. Özil war mit Rücken- und Knieproblemen angereist. Khedira hatte nach dem schwachen Spiel gegen Mexiko mit sich selbst zu tun. Vor allem die Führungsspieler fanden nie in dieses Turnier.


    Hybris:
    Noch im Trainingslager hatte Löw den Eindruck vermittelt, dass schon alles gut werden würde. Auch nach dem 0:1 gegen Mexiko, als er gefragt wurde, ob Deutschland dasselbe Schicksal ereilen könne wie drei der vier letzten Weltmeister (Vorrundenaus), antwortete er: „Das wird uns nicht passieren.“ Der Auftritt der DFB-Auswahl entbehrte nicht einer gewissen Hochnäsigkeit bei dieser WM. Dass Löw gegen Mexiko Angreifer Marco Reus zunächst auf die Bank setzte, weil dieser, wie Reus später zugab, „für die wichtigen Spiele“ vorgesehen war, das ist nichts anderes als Hochmut. Der fiel dem Weltmeister auf die Füße. Von der Auftaktniederlage, mit der im Tross niemand gerechnet hatte, erholte sich Löws Elf nicht mehr.