Kasan. Die Ära des Bundestrainers ist geprägt von entscheidenden Gruppenspielen. Jedes Mal gewann die DFB-Elf 1:0 – das könnte aber dieses Mal nicht reichen

    Michael Ballack stieg nicht mit ins Flugzeug, das die deutschen Nationalspieler von Moskau nach Kasan transportierte. Ballack fuhr auch nicht mit zum Stadion, und schon gar nicht saß er neben Joachim Löw, als der Bundestrainer am Abend in den Katakomben auf einem Stuhl Platz nahm und über das Spiel zu reden begann: das dritte Gruppenspiel gegen Südkorea am Mittwoch (16 Uhr/ZDF, Sky live). Jenes Spiel, das über das Weiterkommen entscheidet, das auch über die Fortsetzung der Ära Löw entscheidet. Und trotzdem war Ballack irgendwie doch da.

    Die Ära Löw ist eine bemerkenswerte. Bei jedem seiner bisher fünf Turniere schaffte es der 58-Jährige mit einer wachsenden Sammlung hochtalentierter Spieler mindestens bis ins Halbfinale. Aber auf dem Weg dorthin strauchelte die Mannschaft ebenso zuverlässig einmal in der Vorrunde (Ausnahme: die EM 2012). Mal erwiesen sich die Kroaten als etwas zu kroatisch, mal waren die Serben nicht zu schlagen, die Ghanaer zu wehrhaft oder die Polen nicht zu bezwingen. Immer gab es ein Finale ums Weiterkommen. Immer gewann die deutsche Mannschaft. Immer mit dem knappsten aller Ergebnisse: 1:0.

    Mit Michael Ballack fing alles an. Sein meteoriteneinschlagartiger Freistoß sicherte gegen Österreich 2008 die nächste Runde. Seine Nachfahren für den entscheidenden Moment heißen Mesut Özil (2010 gegen Ghana), Thomas Müller (2014 gegen die USA) und Mario Gomez (2016 gegen Nordirland).

    Es lässt sich schwer leugnen: Deutschland hat offenbar dieses Enge-Kiste-Gen, um das es in der Welt beneidet wird, weil man sich in jeder Sprache des Planeten zuraunt, warum verflixt noch mal die Italiener, Franzosen, Holländer, Spanier – alle evolutionsbedingt geschickt mit dem Fuß - mal das große Turnier verpassen oder dann wenigstens tränenreich in der Vorrunde scheitern, diese manchmal dietereiltsigen, torstenfringsigen, shkodranmustafigen Deutschen aber nie, nie, nie. Bisher zumindest. Deutschland ist eben im Zweifel druckreif.

    „Es ist der unbedingte Wille bei den Spielern zu spüren, dass sie dieses Spiel gewinnen wollen“, zeigte sich Löw in der Kasan-Arena zuversichtlich, dass diese Serie nicht reißt. Allerdings: Ein 1:0 wird diesmal nicht sicher reichen. Dann wäre der Weltmeister auf das Ergebnis im Spiel Schweden gegen Mexiko angewiesen. Angewiesen sein will man aber nicht. Also soll ein Sieg mit zwei Toren Vorsprung herausgeschossen werden.

    In der Offensive verfügt Löw über mehrere Optionen – auch Mario Gomez könnte als Stürmer alter deutscher Prägung gegen die körperlich nicht ganz so beeindruckenden Südkoreaner eine Waffe sein, wenn er Zuspiele und Flanken von der Seite erhält. Dagegen muss der Bundestrainer in der Defensive den gesperrten Jerome Boateng ersetzen, was nicht zwingend gut ist, weil die Defensive ohnehin Sorgen bereitet. Der letzte Sieg ohne Gegentreffer ist elf Spiele her und gelang im September 2017 gegen Norwegen (6:0). Mittelfeldspieler Sebastian Rudy fällt nach seinem mehrfachen Nasenbeinbruch aus.

    Starke Regenfälle behinderten das letzte Training

    Es herrscht Optimismus, auch wenn nicht alles wie geplant ablief am Dienstag. Blitz, Donner und Starkregen verhinderten das geplante Abschlusstraining im WM-Stadion. Der vom Wasser überflutete Rasen sollte geschont werden. Löws Team musste kurzfristig in eine andere Trainingsstätte ausweichen.

    Sollte der Titelverteidiger ausscheiden, steht eine Stand-by-Crew inklusive Flieger in Frankfurt bereit, um die Mannschaft am Mittag aus Moskau abzuholen. An Bord der Lufthansa-Maschine säße dann ein Bundestrainer, dessen Ära vermutlich enden müsste. Und Spieler wie Sami Khedira (31), Mesut Özil (29), Toni Kroos (28) oder Manuel Neuer (32) könnten zumindest den Gedanken streifen, ob sie sich auf ein weiteres Turnier 2020 vorbereiten wollen. Oder lieber nicht.

    Aber das sind gruselige Szenarien, die zwar logistisch eingeplant werden müssen, aber trotzdem außerhalb des beim Deutschen Fußball-Bund Vorstellbaren liegen. Vorgestellt hatten sie sich das Weiterkommen als Gruppenerster. Auch darauf hatten sie die Planungen mit dem Quartier im etwas schmuck­losen Watutinki ausgerichtet, weil die K.-o.-Runde dann ein Halbfinale in Moskau vorsieht. Kurze Wege, keine Reisestrapazen in der entscheidenden Phase des Turniers. Aber die entscheidende Phase begann für die deutsche Mannschaft schon nach dem missratenen Auftakt gegen Mexiko (0:1).

    Als Gruppenzweiter würde die deutsche Mannschaft am Montag in Samara antreten müssen, als Gruppenerster in St. Petersburg. Die potenziellen Gegner lauten zum jetzigen Zeitpunkt Brasilien, Schweiz und Serbien. „Über den möglichen Gegner im Achtelfinale will ich noch gar nicht nachdenken, wir müssen erst einmal unsere Hausaufgaben machen“, sagt der Bundestrainer. Hausaufgaben sind eigentlich Routine. Auch ohne Ballack.

    Deutschland: 1 Neuer – 18 Kimmich, 15 Süle (16 Rüdiger), 5 Hummels, 3 Hector – 6 Khedira, 8 Kroos – 13 Müller, 10 Özil, 11 Reus – 9 Werner.
    Südkorea: 23 Jo – 2 Y.-J. Lee, 19 Y.-G. Kim, 20 Jang, 12 M.-W. Kim – 8 Ju – 11 Hwang, 13 Koo, 17 J.-S. Lee, 7 Son – 9 S.-W. Kim. Schiedsrichter: Mark Geiger (USA).