Sotschi. Vor dem zweiten Gruppenspiel gegen Deutschland spricht Leipzigs Emil Forsberg über die Stärken des schwedischen Teams und seine Beinahe-Karriere als Floorballspieler

    Schwedens 1:0-Auftaktsieg gegen Südkorea war gerade einmal ein paar Minuten alt, als Emil Forsberg im Bauch des Nischni-Nowgorod-Stadions direkt auf das Spiel gegen den Weltmeister (Sa, 20 Uhr) vorausblickte. „Jetzt hat Deutschland ein bisschen Druck. Wir alle haben das Spiel gegen Mexiko gesehen – und das war nicht gut von Deutschland“, sagte der Star von RB Leipzig. Die DFB-Elf werde sicher ganz anders als gegen Mexiko auftreten, aber er freue sich auf die Partie: „Tolles Spiel, großes Spiel, geiles Spiel.“

    Herr Forsberg, stimmt es eigentlich, dass Schweden jetzt schon einen WM-Rekord sicher hat?

    Emil Forsberg: Da wissen Sie mehr ...

    Wir haben gehört, dass die halbe Mannschaft rund um die WM Kinder bekommt. Was ist da los in Schweden?

    Stimmt. Das ist wirklich der Wahnsinn bei uns. Es gibt kaum einen in der Mannschaft, der nicht bald Vater wird. Wir Schweden scheinen einfach Bock auf Kinder zu haben. Vielleicht liegt das ja am schwedischen Wetter …

    Auch Sie werden in diesem Sommer zum ersten Mal Vater. Müssen Sie sich Sorgen machen, dass sich WM-Finale und Stichtag überschneiden?

    Nee, nee. Ich habe das gut geplant. Stichtag ist bei uns erst Anfang August.

    Schwedens neue Generation scheint damit ja schon mal gesichert. Wie würden Sie die aktuelle Generation beschreiben?

    Wir sind eine echte Gemeinschaft, kommen vor allem über unsere Mentalität. Bei uns geht es nur über das Kollektiv. Wenn Sie einen Artikel über uns schreiben, dann können Sie „Mentalitätsmannschaft“ als Überschrift nehmen. Anders als Deutschland oder Frankreich haben wir nicht unzählige Superstars.

    Bis vor Kurzem hatten Sie vor allem einen Superstar: Zlatan Ibrahimovic.

    Genau. Er war unser Weltstar, auf den sich der ganze Fokus gerichtet hat. Im Guten wie im Schlechten. Einerseits konnte uns Zlatan alleine Spiele gewinnen. Andererseits kann man sich jetzt auch nicht mehr hinter ihm verstecken. Wir können auch ohne Zlatan Spiele gewinnen. Aber jeder muss nun 100 Prozent geben.

    2010 musste Deutschland kurzfristig auf Kapitän Michael Ballack verzichten – und hat am Ende davon profitiert, weil plötzlich ganz andere Spieler in den Fokus geraten sind. Könnte es Schweden ähnlich ergehen?

    Das ist ein guter Vergleich. Vorher hat es der eine oder andere bei uns auch vielleicht schon mal bei 80 Prozent belassen, weil jeder wusste, dass Zlatan am Ende ja doch wieder sein Tor macht. Jetzt bin ich fest davon überzeugt, dass auch bei uns Spieler Verantwortung übernehmen müssen, die vorher noch keine wirklichen Führungsspieler waren. Das kann unserer Mannschaft durchaus guttun.

    Gehören Sie auch zu diesen Spielern, die mehr Verantwortung übernehmen müssen?

    Kann schon sein. Ich habe das Gefühl, dass nach Zlatans Rücktritt der Druck oder die Erwartung an meine Person zugenommen hat. Aber das ist schon in Ordnung. Ich übernehme gerne mehr Verantwortung – und ich denke schon, dass auch ich Spiele alleine entscheiden kann. Über die gesamte WM können wir aber nur als Team überzeugen.

    In einem Interview wurden Sie mal um eine Ibrahimovic-Anekdote gebeten, und Sie haben berichtet, dass er vor allem nach schlechten Trainingseinheiten zu Ihnen gekommen sei und – halb im Spaß, halb im Ernst – Sie penetrant gefragt hat, warum Sie so schlecht trainiert hätten. Nerven Sie jetzt Ihre Kollegen mit derlei Penetranz?

    (lacht) Jein. Manche Dinge kann nur Zlatan. Aber ich gehe schon auf die jungen Spieler zu und rede mit ihnen. Gerade im Erfolgsfall muss man den einen oder anderen daran erinnern, bloß nicht zufrieden zu sein und nicht nachzulassen. Manchmal muss man den Jungs ja auch ein wenig Feuer unter dem Arsch machen. Das sagt man doch so in Deutschland, oder?

    Nervt es Sie, immer auf Zlatan Ibrahimovic angesprochen zu werden?

    Nein. Er war und ist sicher Schwedens bester Fußballer aller Zeiten. Aber jetzt müssen wir eben ohne ihn auskommen. Und ich habe das Gefühl, dass uns das auch ganz gut gelingt. Immerhin haben wir Italien in der Qualifikation rausgeworfen. Durch unsere Geschlossenheit können wir jede Mannschaft der Welt besiegen. Unser größter Trumpf ist, dass wir niemals aufgeben.

    So war das auch 2012, als Deutschland das letzte Mal auf Schweden traf …

    Genau, das 4:4 in Berlin. Das Spiel ist ein gutes Beispiel für unsere Mentalität. Wir machen einfach immer weiter, auch wenn wir mutmaßlich aussichtslos mit 0:4 zurückliegen.

    Das Spiel ist fünfeinhalb Jahre her. Kann man aus diesem Spiel trotzdem noch Mut für die Neuauflage ziehen?

    Natürlich. Dieses Spiel ist sinnbildlich für unsere Mentalität. Gleichzeitig müssen wir uns klarmachen, dass dieses tolle Spiel Vergangenheit ist.

    Ab wann wäre die WM ein Erfolg für Sie?

    Wir wollen ins Achtelfinale.

    Dass Sie es überhaupt hierher geschafft haben, war nicht selbstverständlich. Wie fühlt es sich an, den viermaligen Weltmeister Italien im Play-off rauszuwerfen?

    In Italien, im San Siro zu spielen und diese große Mannschaft rauszuwerfen, das gehört zum Schönsten, was ich in meiner Karriere bisher erlebt habe. Wir haben Geschichte geschrieben.

    Wie ist es, wenn dann Weltstars wie Buffon und Chiellini neben einem weinen?

    Ich wollte mich jedenfalls nicht entschuldigen. Für Buffon tat es mir leid, denn er ist ein großer Fußballer.

    Es hätte aber auch alles anders kommen können: Sie hätten in diesem Jahr nicht bei der Fußball-WM, sondern bei einer anderen dabei sein können. In Prag findet im Dezember die Floorball-WM statt.

    Bis ich 17 war, habe ich Floorball in Schweden gespielt, ein dem Hallenhockey ähnliches Spiel. Ich war ziemlich gut. Einer meiner besten Kumpels ist heute der Kapitän der schwedischen Nationalmannschaft. Darüber hinaus sind dort noch drei, vier andere meiner Freunde dabei, mit denen ich früher gespielt habe. Ich habe im Sommer immer Fußball und im Winter Floorball gespielt. Eigentlich wollte ich auch mit Floorball weitermachen, aber meine Frau und mein Vater haben mir geraten: Probiere es erst richtig mit Fußball! Wenn es nicht so gut läuft, kannst du immer noch zurück.

    Es lief dann beim Fußball so gut, dass Sie jetzt bei der WM dabei sind. Haben Sie etwas aus dem Floorball für Ihr Fußballspiel mitgenommen?

    Ja, die schnellen Füße. Im Floorball muss man viele schnelle Wendungen machen, ständig neue Situationen erfassen. Das hat mich im Fußball sicher besser gemacht.

    Dass Ihre Familie Ihnen zum Fußball geraten hat, lag nahe ...

    Total. Mein Opa hat Fußball gespielt, mein Vater – und meine Frau auch. Wie mein Opa und mein Vater habe ich mit 17 bei unserem Heimatclub in Sundsvall debütiert. Da hat alles angefangen.

    Sie haben mal gesagt, dass Sie viel mit Ihrem Vater und Ihrer Frau über Fußball sprechen, die früher auch Spielerin in Leipzig war. Wen von beiden rufen Sie nach dem Deutschland-Spiel als Erstes an?

    Meine Frau. Und dann darf ich mir erst einmal anhören, was alles gut war und was nicht. Wenn wir gewinnen, dann ist alles in Ordnung. Wenn nicht, dann bekomme ich ziemlich viel Kritik.