Hamburg. Neues Länderspielformat sorgt für Aufruhr, weil dafür die Bundesligen verkleinert werden könnten. Vereine wollen Ligaverband gründen

    Hockey ist im Weltsport als innovationsfreudig bekannt. Kaum ein Mitglied der olympischen
    Familie ist für Regeländerungen oder einen neuen Spielmodus so offen wie Deutschlands erfolgreichste olympische Teamsportart. Doch das, was im kommenden Jahr durchgesetzt werden soll, droht das bestehende System zu zerschlagen und Hockey in Deutschland nachhaltig zu verändern. Entsprechend intensiv wird in diesen Tagen gestritten.

    Auslöser des Konflikts ist das Vorhaben des Weltverbands FIH, von Januar 2019 an eine neue Länderspielserie aufzulegen. In der Hockey Pro League (HPL) treffen je neun Damen- und Herren-Nationalteams in Hin- und Rückspielen aufeinander. Die besten vier Teams qualifizieren sich nicht nur für ein Ausscheidungsturnier um die Olympia-Startplätze, sondern spielen in einem Final-Four-Turnier auch den HPL-Champion aus, was Punkte für die Weltrangliste bringt. Durchgeführt werden diese Partien im ersten Halbjahr des Kalenderjahres. Das bedeutet mindestens 16, maximal 18 hochkarätige Länderspiele innerhalb von sechs Monaten, die in Blöcken von drei bis vier Partien ausgespielt werden, von Januar bis März eher auf der Südhalbkugel, von April bis Juni in der nördlichen Hemisphäre.

    Der Hamburger Delf Ness, der für die FIH die Bereiche Marketing und Kommunikation verantwortet, hält die HPL für ein wichtiges Element, um den Sport weltweit zu professionalisieren. „Durch die bessere Planbarkeit der Termine können wir die Spiele weltweit vermarkten, das ist ein riesiger Quantensprung“, sagt er. Da die HPL die World-League-Turniere ersetzt, die bislang an einem Ort ausgetragen wurden, könnten die Nationalmannschaften nun in ihrer Heimat acht hochklassige Länderspiele austragen, anstatt wie bislang nur in sportlich wertlosen Freundschaftsspielen zu sehen zu sein. „Das erhöht die Attraktivität des Sports und schafft neue Erlösquellen“, glaubt Ness.

    Kritiker halten dies für Augenwischerei, zumal die Anforderungen an die Nationalverbände immens sind. Gespielt werden muss in Stadien mit mindestens 5000 Zuschauern Fassungsvermögen, zwei Drittel der Plätze sollen überdacht sein. Das erfüllt nicht einmal der Hockey-Park in Mönchengladbach. „Außerdem sind Olympia, WM und EM unsere Höhepunkte. Den Leuten klarzumachen, dass die HPL auch ein hochwertiges Turnier ist, halte ich für sehr schwierig“, sagt der Kölner Nationalstürmer Christopher Rühr (24).

    Viel schwerer allerdings wiegt der Fakt, dass die Terminfülle durch die neue Serie dazu führt, dass die Nationalspielerinnen und -spieler völlig überlastet wären, würden sie neben HPL auch noch Bundesliga spielen wollen. Ein Verzicht auf die Hallenserie, die von Ende November bis Anfang Februar gespielt wird, erscheint unausweichlich. Aber dass der Deutsche Hockey-Bund (DHB) am vorvergangenen Wochenende im Rahmen der Feld-Endrunde in Krefeld dem Bundesrat – bestehend aus dem DHB-Präsidium und den Präsidenten der Landesverbände – eine Reduzierung der Feld-Bundesligen von zwölf auf zehn Teams zur Saison 2019/20 als alternativlos verkaufen wollte, hat das Fass zum Überlaufen gebracht.

    Horst Müller-Wieland, Präsident des Hamburger Traditionsclubs Uhlen-
    horster HC, sitzt im

    Führungszirkel der Bundesliga-Vereinsvertreterversammlung (BLVV). Darin sind alle an den Ersten (eingleisig) und Zweiten Bundesligen (Nord- und Südgruppen) beteiligten Vereine zusammengeschlossen. Einer Verkleinerung der Bundesligen hatten von den 14 beteiligten Erstligaclubs – zehn Vereine stellen Teams bei Damen und Herren – nur der Harvestehuder THC, der Club an der Alster und der Mannheimer HC zugestimmt. In den Zweiten Ligen war die Ablehnung noch größer. „Dass man uns nun, ohne uns zu konsultieren, vor vollendete Tatsachen stellt, nehmen wir nicht hin“, sagt Müller-Wieland.

    Ingo Heidebrecht, Präsident des Hamburger Hockey-Verbands und in Krefeld an der Bundesratssitzung beteiligt, kritisiert die Kommunikation des DHB. „Es gab keine Abstimmung, sondern nur eine Meinungsbildung. Unsere Prämisse bleibt eine Zwölferliga, die Reduzierung wäre nur die Ultima Ratio“, sagt er. Eine Alternative zur Reduzierung wäre die Umstellung des Spielbetriebs aufs Kalenderjahr, um zwischen März und November ohne Sommerpause durchspielen und so der HPL besser aus dem Weg gehen zu können. Die von Verbandsseite erhobene Behauptung, die Vereine würden auf die lückenlose Teilnahme ihrer Nationalspieler bestehen, weshalb eine Reduzierung unvermeidlich sei, weist Müller-Wieland zurück. „Wir sind bereit zu priorisieren und über Kompromisse zu reden, aber wir fühlen uns übergangen“, sagt er.

    Die Vereine seien aus mehreren Gründen gegen eine Reduzierung der Ligateilnehmer. „Erstens haben wir rund 440 Bundesligaspieler, aber nur rund 40 Nationalspieler. Die anderen 400 wollen nicht nur 18 Feldspiele in 52 Wochen haben. Zweitens gibt es schon jetzt zu viele weiße Flecken in Deutschland, dadurch gehen dem DHB viele Talente verloren. Eine weitere Reduzierung würde der Breite schaden. Unsere Vision ist eher, die Ligen zu vergrößern“, sagt Müller-Wieland.

    Ein für vergangenes Wochenende in Moers geplantes Treffen einer Arbeitsgruppe, die die Ligenreduzierung absegnen sollte, sagte die BLVV deshalb mit dem Hinweis darauf ab, für eine Verkleinerung der Ligen nicht zur Verfügung zu stehen. Stattdessen will man nun eine externe Unternehmensberatung damit beauftragen, ein Konzept auszuarbeiten, mit dem sich die Vereine mit einem eigenen Ligaverband vom DHB unabhängig machen könnten. Auch die Abwahl der DHB-Spitze um Präsident Wolfgang Hillmann wird diskutiert. Dass die Verbandsspitze jüngst die Bereiche Marketing und Kommunikation an eine externe Agentur vergab, haben ihr viele Vereinsvertreter verübelt. Auch wenn die Vergabe rechtlich nicht angreifbar ist, ist von Vetternwirtschaft die Rede. „Man hätte das ehrlich kommunizieren sollen, anstatt es im Verborgenen auszudealen. So bleibt der Eindruck, dass wir nicht ins Boot geholt werden“, sagt Müller-Wieland.

    DHB-Präsident Hillmann kann die Sorgen der Vereine nachvollziehen. „Wir haben deshalb diverse Modelle vorgeschlagen, die nun diskutiert werden müssen. Eine Entscheidung ist noch nicht gefallen“, sagt er. Der Gründung eines eigenen Ligaverbands stünde der DHB sogar positiv gegenüber. „Wir haben so etwas selbst vorgeschlagen. Klar ist: Die Terminvorgaben der FIH sind alternativlos, deshalb müssen wir unser Ligasystem danach ausrichten“, sagt er. Das sieht auch Delf Ness so. „Wenn wir die Entwicklungen nicht mitmachen, werden wir international abgehängt. Jeder sollte deshalb ein wenig zurückstecken, um Hockey insgesamt nach vorn zu bringen.“

    Die größten Leidtragenden sind die Nationalspieler, die Amateure sind und neben dem Leistungssport arbeiten oder studieren. „Als man uns die Termine für die HPL nannte, mussten viele aus Verzweiflung lachen“, sagt Christopher Rühr. Wie in dem überfrachteten Terminplan noch ein Berufsleben oder die Zeit für Uniprüfungen untergebracht werden solle, sei völlig unklar. „Der DHB bezahlt uns nicht, die Vereine auch nicht, wenn wir nicht für sie spielen. Von uns gibt es deshalb kaum einen, der die HPL spielen möchte“, sagt Rühr. Das Szenario, dass die Bundesligen reduziert werden, die Nationalteams trotzdem nur mit Perspektivkadern an der HPL teilnehmen, die 32er-Kader erlaubt, und diese damit ad absurdum führen, oder sogar Topspieler aus Terminnot zur frühzeitigen Beendigung ihrer internationalen Karrieren gezwungen sind, hält er nicht für überzeichnet.

    Ob die vage Aussicht auf zunehmende Professionalisierung die Zerschlagung des bisherigen Systems wirklich wert ist, oder ob ein deutscher Sonderweg mittelfristig in die Bedeu- tungslosigkeit führt? Auf diese Fragen muss das deutsche Hockey in den kommenden Monaten Antworten finden.