Watutinki. Der Ballverteiler aus Madrid ist der Schlüsselspieler im deutschen Team

    In dem Moment, als Toni Kroos von einem sehr guten zu einem Weltklassespieler wurde, ging es um Golf. 2014 vor der WM in Brasilien war er noch nicht dieser anerkannte Ballverteiler der deutschen Nationalelf, der er heute ist. Auch damals schon konnte er Pässe spielen, die Räume schaffen, wo vorher keine waren. Aber Kroos schickte seine Zuspiele noch allzu oft mit der Anweisung auf die Reise, mindestens Kunstwerke sein zu müssen. Er wollte ein Weltklassespieler sein, und das war das Problem. Also gab es ein Gespräch mit ihm über Tiger Woods.

    Beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) gibt es noch heute die Geschichte, dass Kroos 2014 ein paar Einblicke in die Arbeitsweise des Golfstars erhalten habe. Woods spiele nicht jeden Schlag auf seinen 18 Löchern so, als wolle er ein Hole in one schaffen, wurde dem Mittelfeldspieler erläutert. Nicht jeder Schlag gehöre in ein Museum. Aber kein einziger sei schlecht. Der Schlüssel zum Erfolg, so die Botschaft, sei Klasse in der Konstanz. Seitdem will Kroos kein Weltklassespieler mehr sein, er ist es. Auf dem Weg zum WM-Titel 2014 spielte im ganzen Turnier nur Philipp Lahm mehr Pässe. 85 Prozent davon kamen an. Klasse in Konstanz.

    Vier Jahre später sitzt Kroos bei der Pressekonferenz des DFB in einem Raum, der aussieht wie ein luxuriöser Kinosaal, aber seine Selbstsicherheit füllt ihn komplett aus. Man hat es hier mit einem Mann zu tun, der gerade zum dritten Mal hintereinander die Champions League mit Real Madrid gewonnen hat – zum vierten Mal insgesamt. „Wenn man vor einem Turnier einen wichtigen Titel holt, gibt das Selbstvertrauen“, sagt der Mund, sagt sein ganzer Körper. Wenn er sich beim Beantworten der Fragen leicht hinabbeugt vom Podium zu den Fragen­stellern, im Mundwinkel ein Schmunzeln, wie einer, der weiß, dass er jeden Ball zurückspielen kann, der da kommen mag. Wenn er Witze über den Co-Trainer macht („Am ersten Tag hier ging bei Thomas Schneider das Wasser nicht. Aber bei mir schon. Also alles gut.“) und sogar über das eigene Teamquartier in Watutinki („Da ist die Vorfreude auf den Urlaub etwas größer.“). Dann spürt jeder im Raum, dass hier ein besonderer Spieler sitzt, der beim Weltmeister eine besondere Stellung genießt.

    „Schlüsselspieler“, nennt ihn Bundestrainer Joachim Löw. Und das ist keine Lobhudelei mit Kalkül, die im Trainerwesen heute leider sehr verbreitet ist. Kroos ist tatsächlich der Schlüssel zum Erfolg der deutschen Mannschaft. Denn im Grunde will Löws Elf auch bei dieser WM, die für sie am Sonntag mit der Partie gegen Mexiko beginnt (17 Uhr/ZDF), Toni-Kroos-Fußball spielen. Viele Pässe, eine hohe Zustellungsquote. Die Macht des Weltmeisters ist die Macht der Spielkontrolle. Und wenn es dann wichtig wird, soll es gern auch mal etwas kunstvoll vor dem Tor werden. Kroos ist auf seiner Position im Zentrum vor der Abwehr der Spieler für diesen Machtanspruch. Er stützt die Defensive, weil durch seine Ballsicherheit der Gegner nicht kontern kann. Und er stützt die Offensive, weil seine Pässe Angriffe einleiten. Ohne Kroos nichts los.

    Zuletzt hat das mit der Kontrolle aber nicht so ganz geklappt. Es war kein Toni-Kroos-Fußball mehr bei Löws Elf. Gegen Saudi-Arabien (2:1) und Österreich (1:2) in den letzten WM-Tests wurden viele Konter zugelassen. Das nervte Kroos. „Wir sind uns bewusst, dass wir noch eine Schippe drauflegen müssen“, sagt der 28-Jährige. Nervös mache ihn das nicht: „Wir haben oft genug bewiesen, dass wir da sind, wenn es losgeht.“

    Kroos taugt für den Bundestrainer jenseits jener Aura des Erhabenen noch aus einem anderen Grund zum Fixpunkt in seinem Team. Dass er nun im dritten Jahr hintereinander den wichtigsten Vereinstitel der Welt gewonnen hat, prädestiniert ihn zum Sinnbild für eine Unersättlichkeit, die es in Löws Augen braucht, um den WM-Pokal zu verteidigen. „Er ist ein Paradebeispiel, wie man sich über Jahre hinweg dieses Leistungsniveau erarbeitet und halten kann“, sagte Löw dem „Kicker“. Denn noch kann man nicht abschätzen, ob es ein Vor- oder Nachteil ist, dass die WM-Elf von 2018 der von 2014 ziemlich ähnlich sieht. Mit Kroos, Manuel Neuer, Mats Hummels, Jérôme Boateng, Sami Khedira, Mesut Özil und Thomas Müller bilden sieben Spieler das Fundament, die das schon vor vier Jahren taten. Es ist eine Führungsriege der Um-die-30-Jährigen, für die
    Titel Gewohnheitssache ist.

    Kroos sieht das eher als Vorteil: „Es ist wichtig, dass man mit einer Achse agiert, die schon Turniere gespielt hat. Das kann entscheidend werden“, sagte er. Es gibt also eine Konstanz in der WM-Klasse von 2018. Am Ende aber wird über den WM-Erfolg entscheiden, ob es auch Klasse in der Konstanz ist.

    Was ihn noch motiviere, wurde Kroos im Kinosaal gefragt: „Wenn man ein Ziel erreicht hat, ist es schwierig, sich wieder neu zu motivieren“, gab er zwar zu. Aber: „Wer einmal erlebt hat, wie schön es ist, Titel zu gewinnen, der will das immer wieder.“ Tiger Woods übrigens gewann 14 Majorturniere.​