Sotschi. Nach dem Trainerwechsel stehen die Spanier schon heute in ihrem ersten Spiel gegen Portugal unter Druck

    Es ist ja schon unglaublich, wie sich im Fußball manchmal die Erzählstränge begegnen. Weil Real Madrid sich sehr plötzlich und dafür umso heftiger für Julen Lopetegui interessierte, drohte dieser bei der WM auf den Superstar seiner neuen Clubmannschaft zu treffen. Bis er dann fulminant als spanischer Nationaltrainer gefeuert wurde. Nach dem Chaos kommt nun das Spiel, das es natürlich trotzdem in sich hat. Spanien trifft auf Europameister Portugal (20 Uhr), und das ist nicht nur ein Nachbarduell, das ist auch ein Derby im Strafraum.

    Denn während Lopetegui übergangslos in Madrid die Arbeit aufnahm, ist Sergio Ramos weiter in Russland. Der spanische Kapitän dieses Clubs, für den auch der Portugiese Cristiano Ronaldo spielt. Noch spielt. So sehr überschlagen sich die Ereignisse manchmal im Fußball, dass eine Nacht von vor knapp drei Wochen schon fast in Vergessenheit ist. Gegeben wurde das Europacupfinale, und danach sagte Ronaldo: „Es war eine schöne Zeit in Madrid.“ Ramos entgegnete ihm freundlich, dass das nicht der Moment für so eine Ansage war, während er selbst alsbald zum „Bad Boy“ des Weltsports avancierte. Der Judogriff gegen Mohamed Salah, der Ellbogen im Gesicht von Loris Karius – und die logische Frage: Wird er auch heute wieder so hinlangen, gegen seinen sonstigen Schlachtgefährten CR7?

    Auf das Augenzwinkern bei der Übergabe der Kapitänswimpel darf man sich schon mal freuen. Ramos und Ronaldo, zwei feurige Charaktere, haben sich unter einem gemeinsamen Stern getroffen und avancierten so zum Nukleus von vier Champions-League-Siegen in fünf Jahren. Gleich akzeptiert gleich, zumal wenn zu Impulsivität und Sendungsbewusstsein unübersehbare Weltklasse kommt.

    Nun steht Ramos schon seit Tagen wieder unter erhöhtem Adrenalin. Nachdem er für Lopetegui bei Real-Präsident Florentino Pérez lobbyiert hatte, fühlte er sich auch dazu berufen, den Trainer vor den Konsequenzen des zukünftigen Jobs für den aktuellen Job zu retten. Seine Intervention konnte Lopeteguis Rauswurf jedoch nur noch um ein paar Stunden hinauszögern. Hätte Verbandspräsident Rubiales ihm nachgegeben, hätte er Ramos gleich zu seinem Nachfolger ausrufen können. So beschränkt sich der Verteidiger auf die Rolle als Chefeinpeitscher. „Gestern, heute und morgen“ – mit Lopetegui, im Tohuwabohu, und mit Fernando Hierro – „alle zusammen: Vamos España“, verkündete in einer ersten Stellungnahme nach der Demission.

    Nachdem alle einmal kräftig durchgeatmet haben, setzt sich bei den Spaniern allmählich die Erkenntnis durch, dass alles womöglich gar nicht so schlimm ist. Bei nüchterner Betrachtung zeigte sich Lopetegui nun ja dermaßen sprunghaft, dass ihm kaum Urteilssicherheit und Nervenstärke für die Stresssituationen einer WM zuzutrauen waren. Demgegenüber legte der allseits beliebte Hierro bei seiner Präsentation einen souveränen Auftritt hin. Auch die erste Ansprache an die Mannschaft sei sehr positiv aufgenommen worden, hieß es in Krasnodar. Barça-Verteidiger Gerard Piqué twitterte danach eine Erinnerung an die College-Basketballer von Michigan, die 1989 unter identischen Umständen nach einem Trainerwechsel den Titel gewannen.

    So oder so, den Spaniern ist in den vergangenen Tagen etwas gelungen, was als unmöglich galt: CR7 die mediale Show zu stehlen. Vor dem vielversprechenden Duell – bei jeder Turnierbegegnung erreichte eines der beiden Teams danach das Finale – war aus Portugals Lager insgesamt wenig zu hören. Dabei leiden Teile der Mannschaft von Fernando Santos auch noch an den Nachwirkungen einer Affäre, einer sehr viel unangenehmeren gar. Vor dem portugiesischen Pokalfinale hatte ein Rudel Ultras, unter möglicher Billigung des Clubpräsidenten, das Vereinsgelände von Sporting Lissabon gestürmt und die Spieler mit Gürteln und Eisenstangen attackiert. Etliche Profis, darunter die Nationalspieler Rui Patrício, William Carvalho, Bruno Fernandes und Gelson Martins, kündigten daraufhin einseitig ihre Verträge. Stammkeeper Rui Patrício zog sich zur Stressverarbeitung in ein deutsches Yoga-Kloster zurück.

    Ronaldo, einst selbst bei Sporting ausgebildet, solidarisierte sich öffentlich mit den Opfern („Stehe zu 100 Prozent auf ihrer Seite“) – ist aber die beim Champions-League-Finale angekündigte Präzisierung zu seiner Zukunft noch schuldig. Wie immer wuchern die Gerüchte, nach einer Schlagzeile der portugiesischen Zeitung „Récord“ ist sein Abschiedsbeschluss „unumstößlich“, derweil die spanische Presse versichert, sein Agent Jorge Mendes verhandele mit Pérez über jene Gehaltserhöhung, die den fünffachen Weltfußballer besänftigen könnte. Lopetegui gehört über Mendes’ Partner Carlos Bucero übrigens zum selben Stall. Alles fließt im Fußball. Und alles begegnet sich.

    Portugal: 1 Patricio – 21 Soares, 3 Pepe, 2 Alves, 5 Guerreiro – 11 Bernardo Silva, 8 Moutinho, 14 Carvalho, 16 Fernandes – 17 Guedes, 7 Ronaldo.Spanien: 1 de Gea – 4 Nacho, 3 Piqué, 15 Ramos, 18 Alba – 5 Busquets – 22 Isco, 21 Silva, 6 Iniesta, 10 Thiago – 19 Diego Costa.Schiedsrichter: Rocchi (Italien).