Moskau. Nach dem 5:0 gegen Saudi-Arabien durfte sich Trainer Tschertschessow über einen besonderen Anruf freuen – Präsident Putin gratulierte

    Die turnusmäßige Pressekonferenz nach Russlands 5:0-Auftaktsieg gegen Saudi-Arabien lief bereits eine ganze Weile, als Trainer Stanislav Tschertschessow kurz auf sein Mobiltelefon schaute und plötzlich ohne Erklärung das Podium verließ. Knapp vier Minuten später kehrte Russlands Coach gut gelaunt zurück und beantwortete als erste Frage, wer der ominöse Anrufer nach dem höchsten WM-Auftaktsieg aller Zeiten war: „Es war unser Staatspräsident“, sagte der frühere Torhüter von Dynamo Dresden. „Er lässt schöne Grüße ausrichten und sagt, dass wir einfach so weiter machen sollen.“ Wladimir Putin war wohl zufrieden.

    Knapp 20 Minuten und einige amüsante Antworten später verließ Tscher­tschessow das Podium erneut – diesmal aber nicht, ohne sich höflich von den applaudierenden Journalisten zu verabschieden: „Glaubt weiter an uns“, rief der unterhaltsame Coach den russischen Medienvertretern zu. „Und unterstützt uns auch weiterhin.“

    Wer hätte das wohl gedacht? „Zu alt und unerfahren – warum Russland zum Scheitern verurteilt ist“, hatte die „Mos­cow Times“ noch am Morgen des Eröffnungsspiels getitelt – und wurde am ersten Abend dieser 21. Weltmeisterschaft in beeindruckender Manier eines Besseren belehrt.

    Doch bevor die 81.000 Zuschauer im natürlich ausverkauften Luschniki-Stadion ein denkwürdiges Fußballfest feiern durften, wurde zunächst eine Fifa-Party geschmissen. Knapp anderthalb Stunden vor dem Spiel eröffneten Spaniens früherer Nationaltorhüter Iker Casillas (schick) und das russische Topmodel Natalia Vodianova (sehr schick) das bunte Treiben namens Eröffnungsfeier. Zunächst wurde der WM-Pokal – in einer extra von Louis Vuitton designten Reisetasche, wie ein paar Marketingmitarbeiter der Fifa betonten – ins Rund gebracht. Dann folgte der offizielle Teil der Zeremonie: Yuri Bashmet, russischer Starbratschist und Grammy-Gewinner, und Daniil Trfonov, russischer Starpianist und ebenfalls Grammy-Gewinner, machten den Anfang, ehe Nicht-Grammy-Gewinner Ronaldo (der brasilianische) den Rasen betrat. Ein bisschen Small Talk mit Robbie Williams (noch so ein Grammy-Gewinner), ehe der Brite zunächst seinen Ohrwurm „Let me entertain you“, dann „Feel“, „Angels“ und schließlich auch noch „Rock DJ“ zum Besten gab. Knapp eine Viertelstunde vor dem Kick-off, wie es so schön in Fifa-Sprech heißt, war dann genug entertained und gerockt.

    Nun waren es Fifa-Präsident Gianni Infantino („Danke, Präsident Putin!“) und der spätere Anrufer Putin („Russen lieben Fußball!“), die mit einigen mehr oder weniger gewichtigen Worten die von beiden so geliebte Weltbühne betraten. Der erste Erfolg Putins: Anders als Brasiliens Ex-Präsidentin Dilma Rousseff, die vor dem Eröffnungsspiel 2014 vom Publikum niedergebuht und lautstark ausgepfiffen wurde, empfingen die russischen Zuschauer Papa Putin ehrfürchtig lauschend und lautstark applaudierend.

    Einen Tick lauter wurde es dann erst, als der argentinische Schiedsrichter Nestor Pitana um Punkt 18 Uhr Ortszeit das ziemlich bunte Vorgeplänkel beendete – und mit dem ersten Anpfiff dieser Weltmeisterschaft zum Wesentlichen kam: dem Fußball. Und es dauerte nicht lange, ehe Yuri Gazinsky für den ersten echten Jubel des Abends sorgte. Ähnlich einsam wie einst der Kosmonaut Juri Gagarin im All hob der Mittelfeldmann im saudischen Strafraum ab, blieb scheinbar schwerelos in der Luft stehen und köpfte unhaltbar zur frühen Führung ein. 1:0 nach nicht einmal einer Viertelstunde – viel besser hätte dieser WM-Auftakt für den zuletzt so stark kritisierten Gastgeber nicht laufen können.

    Unterbrochen wurde die von Regierungschef Putin so erhoffte Jubel-Trubel-Heiterkeit-Stimmung im ersten Durchgang lediglich einmal kurz, als Mitte der ersten Halbzeit Offensiv-Allrounder Alan Dzagoev plötzlich wie vom Blitz getroffen zu Boden sackte. „Er hat eine Oberschenkelverletzung. Im schlimmsten Fall droht ihm das WM-Aus“, diagnostizierte Trainer Tschertschessow später.

    Saudi Arabiens Trainer muss nun um seinen Job bangen

    Für den bedauernswerten Dzagoev kam Denis Cheryshev, der sich auf seine ganz eigene Art und Weise ins Spiel einfügte. Es war bereits kurz vor dem Halbzeitpfiff, als der Spanienlegionär vom FC Villareal die ausschließlich aus Al-Hilal-Spielern bestehende Saudi-Abwehr zur Verzweiflung trieb und den Ball auch noch traumhaft oben links unter die Latte drosch. „Von so einem Moment habe ich noch nicht mal zu träumen gewagt“, ließ der überglück­liche Joker später wissen, als er sich die Trophäe des Spielers der Partie abholte.

    Doch zu einer echten Sause gehört auch ein schmissiges Finish. Und dieses hatte es an diesem historischen WM-Abend in sich: Zunächst legte der ebenfalls eingewechselte Artem Dzyuba (71.) nach, dann erhöhte erneut Cheryshev (90.+1), ehe schließlich Aleksandr Golovin (90.+5) für den fulminanten 5:0-Schlusspunkt sorgte.

    Saudi-Arabiens zu bedauernder Trainer Juan Antonio Pizzi, der in seiner argentinischen Heimat „der Großartige“ genannt wird, musste sich direkt nach der Partie sogar fragen lassen, ob er glaube, das Ende dieser Großveranstaltung noch als Trainer zu erleben. „Das ist mal eine Frage“, sagte Pizzi, und antwortete, dass er trotz allem Vertrauen habe.

    In wen oder was blieb nach dieser deftigen Klatsche allerdings offen. Und Russland? Wie geht es sportlich weiter mit dem Gastgeber nach fulminantem Beginn? Darf sich auf die nächste Party am kommenden Dienstag gegen Ägypten freuen – und möglicherweise auf den nächsten Anruf vom Präsidenten.