Moskau. Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ist in Russland angekommen. Ihre Probleme hat sie mitgenommen, der Titel bleibt aber das Ziel

    Der Landeanflug auf Moskau hatte fast schon begonnen. Gerade erst war die Lautsprecherdurchsage des Kapitäns von Flug LH2018 verklungen, dass sich dichte Wolken über der Stadt befänden, dass kleinere Turbulenzen also denkbar wären und der eine oder andere Umweg durch das Getümmel des Himmels noch geflogen werden müsse. Just in diesem Moment erhob sich Joachim Löw aus seinem Sitz ganz vorne rechts und begab sich nach vorn ins Cockpit. Mal nach dem Rechten schauen. Vielleicht kann man ja helfen. Wenn es je einen Bundestrainer gegeben hat, dem zuzutrauen gewesen wäre, Flugzeuge zu landen, vermutlich auch zu bauen und zu heben, dann doch Joachim Löw. Dem Mann, der den Eindruck macht, stets und immer Herr der Dinge zu sein.

    Doch Löws Zutun war dann im Luftverkehr doch nicht nötig. Der Airbus 321 (drei, zwei, eins – Pokal?) landete um 15.55 Uhr auf dem Flughafen Vnukowo. Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff entstieg dem Flieger zuerst, Löw und die Spieler, angeführt von Sami Khedira und Thomas Müller, folgten. Einer dieser offiziellen blauen WM-Busse beförderte die Delegation des Weltmeisters nach Watutinki, einen recht unbelebten Ort im südwestlichen Nirgendwo von Moskau. Das Mannschaftsquartier dort dient sonst Parteifreunden des Präsidenten als Rückzugsort. In der Nachbarschaft hat die zentrale Funkaufklärung des russischen Militärgeheimdienstes ihren Sitz. Spione nebenan. Liebe Grüße aus Moskau. Doch den Auftrag soll das nicht stören können. Der Auftrag heißt: Titelverteidigung bei der WM, die am Donnerstag um 17 Uhr mit dem Eröffnungsspiel zwischen dem Gastgeber und Saudi-Arabien beginnt.

    Schwer genug. Fast unmöglich. Wieso? Ein Blick in die Vergangenheit genügt: Drei der letzten vier Titelverteidiger schieden in der Vorrunde aus. Frankreich passierte das 2002, Italien 2010, selbst den jahrelang unangreifbaren Spaniern 2014. Brasilien erreichte 2006 zumindest noch das Viertelfinale, ehe der Traum platzte. Überhaupt schafften bislang nur Italien (1938) und Brasilien (1962), den Triumph zu wiederholen. Deutschland versuchte sich bisher dreimal an der doppelt vergoldeten Mission – und scheiterte stets früh. 1958 kehrte die Mannschaft mit einem – immerhin in der Heimat bejubelten – Platz vier aus Schweden zurück. 1978 gipfelte in der Schmach von Cordoba (2:3 gegen Österreich in der Zwischenrunde), 1994 kam der Bulgare Yordan Letchkov angeflogen und besiegelte per Kopf das WM-Aus im Viertelfinale. Lange her. Allein schon daran zu erkennen, dass ein Spieler des Hamburger SV, der Letchkov damals war, ein bedeutsames Tor schoss. Aber das ist eine ganz andere Sache.

    „Steht da Deutschland auch drauf?“, fragte Toni Kroos vor ein paar Tagen, als ihm eine Umfrage vorgelegt wurde über die Mannschaften, die dem Weltmeister am gefährlichsten werden könnten. „Nein, nein, es geht um die Konkurrenten“, lautete die Antwort des Fragebogenüberbringers. Der Stratege Kroos hatte das schon richtig verstanden, er lächelte dann über seinen feinen Witz, den er aber im Kern für durchaus wahr hält: Eigentlich bringt die deutsche Elf an Erfahrung, Qualität, Talent und Ausgewogenheit alles mit, was es braucht. Aber eigene Nachlässigkeiten sind es, die nicht nur der Star von Real Madrid am meisten fürchtet.

    „Wenn wir die Details nicht ernst nehmen, sind wir eben auch nur eine durchschnittliche Mannschaft“, erklärte Joachim Löw im Interview mit dem „Kicker“: „Wenn wir aber auch die Details gut machen, können wir etwas Besonderes sein.“ Etwas Besonderes auf einer besonderen Reise.

    Thema Gündogan/Özil schwelt weiter – Özil will schweigen

    Denn auch sie – beginnend im Trainingslager in Südtirol – erfordert bislang kleinere und größere Anstrengungen, um Turbulenzen zu vermeiden. Ganz geklappt hat das nicht. In einer der vordersten Reihen des Flugzeuges kam neben dem Dortmunder Marco Reus der Spieler Ilkay Gündogan (Manchester City) zu sitzen. Jener Mann also, der mitverantwortlich dafür ist, dass nicht nur sportliche Zweifel die Mannschaft nach Russland begleiten, sondern auch Unruhe.

    Sein Treffen mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, dem auch Mesut Özil beiwohnte, löste vor vier Wochen beträchtlichen Wirbel aus, der sich noch immer nicht gelegt hat. Immerhin versucht Bierhoff nicht mehr per Diktat das Thema zu beenden. Sein unwirscher Auftritt im Fernsehen vor dem letzten Test gegen Saudi-Arabien am vergangenen Freitag (2:1) sei „anders gemeint“ gewesen, wie er im Interview mit der „Bild“ sagte: „Ich will doch keine Maulkörbe verteilen und auf Befehl ein Thema beenden.“ Es müsse darüber geredet werden, natürlich. Nur einer der beiden Betroffenen, Özil, dürfte weiter schweigen, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Selbst wenn es bis zur nächsten WM dauert. „Ich gehe davon aus, dass er das durchzieht“, sagt Bierhoff.