Hamburg. Nachwuchs-Chefscout Benjamin Scherner über die Suche nach neuen Talenten, Neuzugänge und neue Märkte

    Für Benjamin Scherner ist die Fußballsaison noch nicht beendet. Der Nachwuchs-Chefscout des HSV fährt von Donnerstag bis Sonnabend zu einem Sichtungsturnier nach Duisburg. Am Montag geht es dann für zehn Tage in die USA. Bei einem Play-off-Turnier im kalifornischen Oceanside, bei dem sich die amerikanischen Toptalente messen, sucht der 32-Jährige nach neuen Perlen für den HSV. Zuvor traf sich Scherner mit dem Abendblatt in seinem Büro in der Alexander-Otto-Akademie auf dem Campus, um über die Jugendarbeit beim HSV zu sprechen.

    Herr Scherner, hat der Campus dazu beigetragen, mehr Talente für den HSV zu gewinnen?

    Benjamin Scherner: Wir haben hier jetzt optimale Bedingungen mit kurzen Wegen. Die Profis trainieren und spielen direkt vor der Tür, das ist ein großer Faktor. Das macht es uns natürlich leichter, die Jungs und ihre Eltern für uns und den HSV zu begeistern.

    Andersherum gefragt: Erschwert der Abstieg der Profis die Suche nach Toptalenten?

    Der HSV hat immer noch Strahlkraft. Die Jungs kommen nicht zu uns, weil sie viel Geld verdienen können. Woanders könnten sie mehr bekommen. Spieler, die zu uns kommen, schätzen unsere verbindlichen und konstanten Ansprechpartner. Wir können damit überzeugen, wie wir außersportlich arbeiten. Wir haben hier vier Pädagogen für 15 Talente im Internat. Das finden Sie woanders kaum.

    Hat Fiete Arp während des Abiturs von dieser Betreuung profitiert?

    Definitiv. Ohne die Unterstützung durch unsere Pädagogen, der Nachhilfe oder den Fahrdienst wäre das Jahr für ihn so kaum möglich gewesen. Fiete ist ein cooler­ Junge. Aber das, was in diesem halben Jahr von außen auf ihn eingeprasselt ist, war für einen 17-Jährigen zu viel.

    Ist Arp schon aus dem Campus ausgezogen?

    Ja, Fiete ist jetzt in eine eigene Wohnung gezogen. Er hat aber noch ein paar Sachen in seinem Internatszimmer und kommt auch noch hin und wieder vorbei.

    Der HSV hat sein Nachwuchs-Scouting vor vier Jahren ganz neu aufgestellt. Was hat sich seitdem verändert?

    Wir brauchten einige Monate, um uns im Leistungsbereich-Scouting neu aufzustellen. Wir befinden uns jetzt aber in einem fortlaufenden Prozess. Wir wachsen aus Hamburg heraus und wollen die besten Jungs aus der Stadt und aus Norddeutschland bei uns haben. Wir müssen uns aber immer auch wieder neue Nischenmärkte suchen.

    Kann der HSV im Nachwuchs-Scouting mit Clubs wie RB Leipzig überhaupt mithalten?

    Finan ziell gesehen nicht. RB Leipzig soll für Portugals U-17-Spieler Umaro Embalo 15 Millionen Euro geboten haben. Solche Möglichkeiten haben wir nicht. Wir sind kein Club, der die besten Talente einfach nur einsammelt, um sie zu besitzen. Wir suchen immer strategisch und positionsübergreifend in der Kaderplanung.

    Welche Märkte beobachten Sie dabei gezielt?

    Mit meinem festen Team besetzen wir alle U-Länderspiele in Europa ab der U 15. Wir gucken internationale Turniere. Mit unseren Honorar-Scouts decken wir den norddeutschen Raum ab, den Westen sowie im Osten bis Berlin und Leipzig.

    Warum scouten Sie in Leipzig, wenn Sie gegen RB ohnehin keine Chance haben?

    Wir wollten den Markt bis Leipzig erschließen, weil es dort in der Nähe mit Cottbus, Jena, Erfurt oder Zwickau viele Nachwuchsleistungszentren gibt und RB Leipzig mittlerweile in größeren Kategorien denkt. Davon können wir profitieren. Zudem ist unser Scout schnell in Polen, Tschechien oder Ungarn. Der osteuropäische Markt ist interessant.

    Sprechen Sie die Talente eigentlich direkt nach den Spielen persönlich an?

    Das ist ein No-Go. Wir schreiben auch keine Spieler bei Facebook oder Insta­gram an. Wir machen alles im Nachgang, in der Regel am Telefon. Wir wollen einen seriösen Umgang pflegen.

    Ist der Kampf um die Talente noch seriös?

    Die Entwicklung ist kritisch. Es gibt jeden Tag neue Berater auf dem Markt. Die Spieler werden schon als Kinder von zu Hause herausgerissen. Clubs verpflichten U-14-Spieler und siedeln ganze Familien um. In diesem Alter wird schon mit enormen Summen hantiert.

    Müsste der Markt noch stärker reguliert werden?

    Ja. Der DFB sollte da einschreiten. Früher gab es mal Vereinbarungen zum Schutz der Leistungszentren, dass man Spieler nicht unterhalb der U 15 abwerben darf. Diese Regel wird nicht mehr gelebt. Die Wilderei in frühen Jahren muss verringert werden. Wir reden hier von Kindern. Da müssen wir unserer sozialen Verantwortung gerecht werden.

    Geht das heutzutage in diesem Geschäft überhaupt noch?

    Es geht darum, für jeden Jungen einen Plan zu entwickeln. Der Familie plausibel zu erklären, warum er zum HSV kommen soll. Ein Beispiel: Mit Juho Kilo (16) zieht ein weiteres Talent unseres Kooperationsclubs Käpylän Pallo aus Finnland zu uns in den Campus. Anssi Suhonen kam vor einem Jahr zu uns. Wir haben uns in Finnland einen guten Ruf erarbeitet, die Trainer und Eltern vertrauen uns, weil wir unserer Verantwortung auch mit den Jungs aus dem Ausland gerecht werden. Nur so hatten wir zum Beispiel einen Zugang zu Anssi. Er hätte auch in die Premier League gehen können.

    Bei Tatsuya Ito lief es ähnlich, richtig?

    Genau. Ito haben wir bei einem Turnier in Dubai entdeckt, bei dem unsere U 17 dabei war. Unsere Delegation um Bernd Wehmeyer und vor allem Sven Marr hat noch vor Ort mit Tatsus Trainern geregelt, dass er mal nach Hamburg kommen darf. So konnten wir Manchester City ausstechen, das auch um ihn gebuhlt hat. Manchmal muss man eben schnell sein.