Eppan. Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft zieht ein gemischtes Fazit aus dem WM-Vorbereitungscamp in Südtirol

    Joachim Löw schlenderte am Donnerstagvormittag über den Rasen und begutachtete das Tun seiner Spieler. Ein bisschen wirkte er wie ein stolzer, strenger Papa, der auf das Einsetzen der Wirkung seiner Erziehung wartet. Und irgendwas war da mit seinem Rücken. Der Bundestrainer griff sich beim Schlendern an die Lendenwirbelsäule, blieb stehen, beugte den Oberkörper nach vorn, um die betroffene Stelle einer Dehnung zu unterziehen.

    Es war der letzte Tag für die Nationalmannschaft im Trainingslager in Eppan. Die mehr als hundertköpfige Entourage des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) verließ am Nachmittag Südtirol, um sich auf den Weg in die Heimat zu machen, wo an diesem Freitagabend (19.30 Uhr/ARD) der letzte Test vor dem Start der WM in Russland (14. Juni bis 15. Juli) stattfindet. In Leverkusen trifft Deutschland auf die nicht gerade als beeindruckend eingestufte Mannschaft aus Saudi-Arabien, was zumindest dazu führen dürfte, dass die scheußlich anmutende Serie von fünf sieglosen Spielen in Folge ein Ende nimmt.

    Doch wenn mit dieser Partie 17 Tage des Zusammenseins enden und am Dienstag die Abreise nach Moskau bevorsteht, dann befinden sich im schwarz-rot-goldenen Gepäck auch noch ein paar Ungewissheiten. Ein diffuses Gefühl, dass noch nicht alles perfekt sein könnte. Ein Gefühl wie ein dumpfes Signal aus dem Rücken.

    Dabei ist die Lage vor diesem Turnier so entspannt wie selten. Niemand hat sich bis zum Ende des Trainingslagers ernstlich verletzt wie sonst eigentlich immer. Im Gegenteil: Die beiden prominentesten Krankenfälle, Manuel Neuer und Jérôme Boateng, sind keine mehr. Die Bayern-Profis scheinen ihre Verletzungen rechtzeitig auskuriert zu haben und befinden sich alsbald im Vollbesitz ihrer Kräfte. Das zumindest ist die Hoffnung, die vor der WM aber keiner verlässlichen Prüfung mehr zugeführt werden kann. Der Leistungsstand des Duos unter Bedingungen des Ernstfalls: ungewiss.

    Nur vorübergehend im Krankenstand befindet sich Mesut Özil, den eine Knieprellung plagt, was wiederum einen Einsatz in Leverkusen unmöglich macht. Das hat aus DFB-Sicht den Vorzug, dass der türkischstämmige Gelsenkirchener – wie auch Ilkay Gündogan – nicht erneut von deutschen Fans ausgepfiffen werden kann wegen des umstrittenen Treffens mit Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Die Debatte über Werte, Integration und Identifikation schwelt weiter und wird die Mannschaft nach Moskau begleiten. Wie sehr und wie störend? Ungewiss.

    Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff ahnt das vermutlich auch. „Jeder ist bereit und freut sich, dass es jetzt auch losgeht“, sagte er zuversichtlich. Erneut auf das Reizthema angesprochen reagierte er schroff: „Was hätten wir noch machen sollen, um das Thema zu beenden? Jetzt reicht’s auch mal. Wir werden nichts mehr machen, die Spieler sollten es auch nicht tun.“ Schon vor einigen Tagen wirkte der sonst mehr als souveräne Bierhoff etwas dünnhäutig, als ihn vor laufenden Kameras die Frage nach einem harmlosen Poster einer Schülerzeitung aus der Contenance brachte. Trotzdem alles gut? Alles gut. „Das Fazit fällt so positiv aus, dass alle fast schon traurig sind, jetzt gehen zu müssen“, sagte der frühere Torjäger.

    Ob das mit dem Ort zu tun hat, an den es nächste Woche geht? Vatutinki, ein recht verlassener Ort mit rund 10.000 Einwohnern südwestlich von Moskau, wo ein weitläufiges Hotelareal als Quartier dient? „Unsere Entscheidung ist bewusst für Moskau gefallen“, sagt Löw, der als Freund eines Quartiers in Sotschi am Schwarzen Meer galt, sich aber wegen der reduzierten Reisestra­pazen von Vatutinki überzeugen ließ. Nach großer Vorfreude klingt er aber nun nicht. „Wenn man anfängt, über gewisse Situationen zu lamentieren, verliert man Kraft und Konzentration. Wir gehen da hin, um sportlichen Erfolg zu haben, und nicht, um königlich zu logieren“, sagt Löw. Er hat natürlich recht. Aber das meernahe Campo Bahia in Brasilien galt als Keimzelle des Erfolgs, wo Zusammenhalt und Gemeinsinn entstanden.

    An beidem, das räumen die Spieler zum Teil sehr offen ein, müsse noch gearbeitet werden. „Qualitativ sind wir mit der Mannschaft von 2014 auf Augenhöhe“, sagt Stratege Toni Kroos von Real Madrid. „Wichtig wird sein, auf und außerhalb des Platzes das Gefühl zu entwickeln: Wir sind eine Einheit. Wir verteidigen zusammen.“ Abwehrmann Mats Hummels (FC Bayern) sieht es ähnlich: „Die Moral müssen wir noch entwickeln. Das letzte Fünkchen muss überspringen. Die Begeisterung für den letzten defensiven Meter ist wichtig. Die fehlt uns noch ein bisschen.“

    Aus der Fraktion der Weltmeister und Führungsspieler gibt es aber auch durchaus welche, die weniger Bedenken haben. „Wir haben die Erfahrung, wir haben das Talent“, sagt Thomas Müller: „Wir sind an einem guten Zeitpunkt. Ich bin sehr positiv gestimmt für die WM.“ Ob also Zweifel am Gelingen der Mission Titelverteidigung angebracht sind? Ebenfalls: ungewiss.