Paris. Nach dem dritten Fünfsatzsieg in Folge trifft der 21-Jährige in Paris nun auf den Österreicher Dominic Thiem

    Es sah ein wenig melodramatisch aus, der Kniefall von Alexander Zverev im roten Sand von Paris, der Griff ans Herz. Aber es war eben auch ganz großes Tennis, ganz großes Grand-Slam-Kino, wieder ein mitreißender Entfesselungsakt, der dem jungen Deutschen da im Bois de Boulogne gelang. Zverev schien schon wieder geschlagen, er lag wieder mit 1:2 Sätzen zurück. Doch auch der Russe Karen Chatschanow wurde am Ende des nächsten French-Open-Dramas ein Opfer von Zverevs imponierender Moral und Leidenschaft, 4:6, 7:6, 2:6, 6:3 und 6:3 siegte der 21 Jahre alte Hamburger, der damit das erste Major-Viertelfinale seiner immer strahlenderen Karriere erreichte.

    „Ich bin einfach nur glücklich, wie ich mich da durchgekämpft habe. Aufgeben zählt nicht“, sagte Zverev, der sich auf dem zweitgrößten Court Suzanne Lenglen von den Fans nach 209 Minuten feiern ließ. Nun wartet in der Runde der letzten acht Zverevs österreichischer Kumpel Dominic Thiem (24/Nr. 8 der Welt) zum prickelnden Duell. Vor gut drei Wochen hatte Zverev das Mastersfinale in Madrid souverän gegen Thiem gewonnen. Und was erwarte er nun vom Vergleich Deutschland gegen Österreich, wurde Zverev gefragt. „Nicht das Fußball-Ergebnis“, antwortete er – schlagfertig auch neben dem Platz.

    Kaum Chancen auf einen Viertelfinalplatz werden dagegen dem Nürnberger Maximilian Marterer (22) eingeräumt, er hat die Herkulesaufgabe gegen Rafael Nadal vor der Brust (siehe Text links).

    Drei Aufholjagden in Serie, drei vibrierende Nervenschlachten mit Happy End, es wirkt wie eine Erinnerung an die Grand-Slam-Shows von Boris Becker, die Zverev da nun seit einigen Tagen in Paris hinlegt. Wie einst beim großen Tennismeister war nie so ganz klar, wohin sich das Spiel mit und von Zverev bewegte. Aber auf der Zielgeraden war immer der Weltranglistendritte der Mann, der die Regie des Geschehens eisern in der Hand hielt. „Ich bin sehr froh, jetzt im Viertelfinale zu stehen. Ich habe den schwierigen Weg gewählt“, sagte Zverev: „Ich bin glücklich.“

    „Wer sein bestes Tennis spielt, wenn es um die Entscheidung geht, spielt das Tennis der Champions“, sagte Becker selbst, der TV-Experte von Eurosport. Im fünften Satz habe Zverev wie in Trance agiert, so Becker, „er war in der Zone. Er spürte seine Müdigkeit nicht mehr, und er wollte diesen Sieg mit aller Gewalt, mit richtiger Gier.“

    Jedenfalls hätte Zverevs Auftritt, seine Statur, seine ganze Erscheinung kaum unterschiedlicher sein können zu denen der vergangenen Grand-Slam-Jahre. Auch 2017 war Zverev schon mit großen Ambitionen nach Paris gekommen, als Masterssieger von Rom – und dann in der ersten Runde am Spanier Fernando Verdasco gescheitert. Zverev wirkte noch unausgereift, man merkte ihm an, dass er mental noch nicht hundertprozentig für das anspruchsvolle Grand-Slam-Tennis bereit war. Nun aber erlebten Fans, Experten und Spielerkollegen einen Mann, der vor allem nervliche Stabilität aufwies und die Big Points gewann. Erstklassiges Tennis können alle in der ersten Liga des Welttennis, aber es geht eben darum, es zu zeigen, wenn es zählt. „Für mich geht es nicht mehr darum, etwas zu lernen“, sagte er nach dem Match, „ich weiß, wer ich bin. Für mich geht es darum, einen Weg zu finden zu gewinnen.“

    Zverev bewährte sich in der Rolle des unbeugsamen Marathonmanns dabei auch gegen unterschiedlichste Gegner; gegen den listigen, fintenreichen Serben Dusan Lajovic, gegen den kratzbürstigen, giftigen Bosnier Damir Dzumhur. Und am Sonntag auch gegen Chatschanow, in gewisser Weise eine Kopie von Zverev selbst. Nur ist der Moskowiter eben einer, der oft in großen Matches den Kopf verliert, wie der etwas jüngere Zverev. 1:0 und 2:1 führte der Russe nach Sätzen, er hätte den körperlich sicher etwas weniger fitten Zverev eigentlich auf den Boden zwingen müssen. Aber Zverev irritiert seine Gegner derzeit auch mit dieser unfassbaren Coolness, er lässt sich nichts von Problemen und Zweifeln anmerken, wenn er in der Klemme steckt.

    Stattdessen verschärft er seine Anstrengungen, spielt konzentrierter und wieder besser. Es ist das Tennis, was man braucht, um in die Schlagdistanz von Grand-Slam-Titeln zu kommen. „Was für ein Moment ist das in Saschas Karriere“, befand Becker, auch der Herren-Abteilungsleiter des DTB, „das ist schon ein Durchbruch, ein Meilenstein.“

    Im fünften Satz gab es eine bezeichnende Szene, als Zverev nach schon drei Stunden Spielzeit das Auftaktbreak zum 1:0 gelang. Beim Seitenwechsel nach dem ersten Spiel nehmen sich die Spieler traditionell ein paar Momente Pause, obwohl es nicht erlaubt ist. Aber Zverev marschierte mit großen Schritten direkt zur anderen Grundlinie, er brauchte kein Wasser, er brauchte keine Unterbrechung. Er wollte nur noch den Sieg, möglichst schnell. Und den ließ er sich dann auch nicht mehr nehmen, er geriet nie mehr in Gefahr und in Bedrängnis. Und trotzdem, dies befand der Sieger dann doch: „Es ist schon ein Wahnsinn, was hier passiert. Aber das ist nicht das Ende. Es ist noch nicht Sonntag.“

    Als letzte Deutsche im Damenwettbewerb ist Angelique Kerber nach ihrem nervenstark herausgespielten 7:6 (7:4), 7:6 (7:4)-Sieg über Geheimfavoritin Kiki Bertens (Niederlande) verblieben. Kerber spielt am Montag (13 Uhr, Eurosport) gegen den französischen Publikumsliebling Caroline Garcia, Nummer sieben der Welt. Julia Görges hatte beim 3:6, 3:6 gegen Grand-Slam-Rückkehrerin Serena Williams (USA) keine Chance, Andrea Petkovic schied gegen die rumänische Weltranglistenerste Simona Halep mit 5:7, 0:6 aus. Alexander Zverevs älterer Bruder Mischa scheiterte mit 1:6, 7:6, 3:6, 6:7 am Südafrikaner Kevin Anderson.