Hamburg. St. Paulis Präsident spricht erstmals über die anstehenden Derbys gegen den HSV und über Maßnahmen für bessere Leistungen

    Vor drei Wochen endete für den FC St. Pauli eine dramatische Zweitligasaison mit einem unbefriedigenden zwölften Platz. Nach einer ausgiebigen Analyse meldete sich erstmals Vereinspräsident Oke Göttlich (42) zu Wort und erläutert im Interview mit dem Abendblatt, wie das Team künftig erfolgreicher spielen soll und wie er die Rolle seines Clubs in der Hamburger Sportlandschaft sieht.

    Warum äußern Sie sich als Präsident des FC St. Pauli erst jetzt und haben nach außen geschwiegen, als das Team in Abstiegsgefahr war?

    Oke Göttlich: Ich sehe mich nicht als den populistischen Leader. Wir definieren Führungsstärke anders. Wir arbeiten intern sehr viel und weit über das Maß eines ehrenamtlichen Präsidiums hinaus. Unser Verständnis des Ehrenamtes ist es, unseren hauptamtlichen Mitarbeitern, dazu gehören auch die Spieler, den Rücken zu stärken bis zum letzten Tag. Ich halte es für falsch, am 29. oder 32. Spieltag öffentlich zu erklären, was ich alles besser machen würde.

    Welche entscheidenden Gründe gab es für die unbefriedigende Saison?

    Es war nicht ein Einzelner schuld. Es gab viele verschiedene Mosaiksteine, die zu der Situation geführt haben.

    Gab es auch positive Erkenntnisse, die Sie in der vergangenen Saison gewonnen haben und die für die neue Spielzeit hoffen lassen?

    Die Entwicklung von Christopher Avevor, Philipp Ziereis, nachdem er wieder fit war, Yiyoung Park, Richard Neudecker und auch Brian Koglin musste man nicht zwangsläufig so erwarten. Diese Spieler sind ein Beweis dafür, was möglich ist, wenn sie vom Trainerteam und vom Umfeld unterstützt werden.

    Aber es gab auch die Problemfälle wie Aziz Bouhaddouz, Sami Allagui und Cenk Sahin. Wie soll es mit ihnen weitergehen?

    Die drei sind mit ihrer Saison ganz sicher selbst auch nicht glücklich. Unsere Aufgabe als Verein ist es, alle zu unterstützen, auch wenn dies nicht populär sein mag. Wir werden die Sommerpause nutzen, um intensive Gespräche darüber zu führen, was wir und sie besser machen können und wie der gemeinsame Weg weitergeht. Das ist wie ein Mitarbeitergespräch in einer Firma.

    Es wird also mit den dreien weiter geplant.

    Wir haben Lust, einen wirbelnden Cenk Sahin zu sehen, einen in die Tiefe rennenden Sami Allagui und einen den Ball abdeckenden Mittelstürmer Aziz Bouhaddouz. Wenn die zusammen 20 Tore schießen, haben wir schon eine Basis.

    Und dann kommt noch Marvin Ducksch mit 15 Toren dazu. Ein schöner Traum. Wie werden Sie mit ihm verfahren nach seiner Aussage, nicht mehr für St. Pauli spielen zu wollen.

    Niemand hat ihm den Weg zum FC St. Pauli versperrt. Man muss nicht glauben, dass sich der FC St. Pauli durch Aussagen Einzelner verunsichern lässt, was Vertragssituationen angeht.

    Welches Selbstverständnis soll der FC St. Pauli eigentlich haben? Die alte Rolle des kleinen, armen Vereins, der gegen die Großen der Fußballwelt ankämpft, passt ja in der Zweiten Liga trotz der Abstiegs des HSV und des 1. FC Köln so ganz ja nicht mehr. Sie können in der DFL sogar Mehrheiten gewinnen, sportlich aber konnte die Saison nur gerade eben gerettet werden.

    Wir bewegen uns in dem Spannungsfeld, einerseits ein Underdog-Stadtteilverein und andererseits ein wirtschaftlich erfolgreicher Zweitligist zu sein. Das hat auch etwas damit zu tun, welche Art von Fußball man von uns erwartet und wie wir uns in der Stadt positionieren. Da spielt es gar keine so große Rolle, dass jetzt auch der HSV in der Zweiten Liga ist. Ich habe inzwischen aber auch das Gefühl, dass am Volkspark von unserem Weg sehr viel positiv wahrgenommen wird, wenn es um die wirtschaftlichen Eckdaten geht. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass es auch bei uns um das Kerngeschäft Fußball geht. Dieses Kerngeschäft war in der vergangenen Saison unter dem Strich, was unsere Erwartungshaltung angeht. Da gilt es, schonungslos intern den Finger in Wunde zu legen. Es gilt zu klären, wie so etwas passieren kann und welche Haltung dem zugrunde liegt. Mir ist es wichtig, dass man nicht mit dem Finger auf Einzelne wie den Trainer, den Sportdirektor oder einzelnen Spieler zeigt. Man muss erkennen, dass es viele einzelne kleine Themen gab, die dazu führen. Es sind aber auch Visionsfragen. Dieser Verein muss langsam in allen Bereichen lernen, dass wir uns zwar kämpferisch Widrigkeiten entgegenstellen und für gute Dinge kämpfen, qualitativ aber etwas anbieten müssen, was den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen entspricht. Unser wirtschaftlicher Erfolg ist abhängig von der Leistung auf dem Feld. Ein Tabellenplatz macht mehrere Hunderttausend Euro aus.

    Damit meinen Sie das TV-Geld. Wo sehen Sie in der Vermarktung noch Potenzial?

    Wir nehmen uns ja selber bewusst finanzielle Möglichkeiten, aus einem Selbstverständnis heraus. Wir verkaufen den Stadionnamen nicht und wir lehnen eine vermarktete Eventisierung eines Heimspiels ab. Wir verzichten so auf drei bis fünf Millionen Euro, die wir nicht in den Sport stecken können. Auch der Stadiongänger muss das verstehen. Es hilft uns nichts, wenn wir auf Platz sieben stehen und dann anfangen, ein bisschen unzufrieden zu werden, wenn ein Spieler die Schultern hängen lässt. Wir müssen vielmehr den Spieler so sehr unterstützen, dass er uns von Platz sieben auf Platz fünf bringt. Das müssen wir in der Führungstage als Rahmenbedingungen hinkriegen.

    Ein Reizwort beim FC St. Pauli ist seit Jahren „Wohlfühloase“. Wie wichtig für die sportliche Leistung ist es, dass sich Spieler hier wohlfühlen? Aber wie kontraproduktiv ist es, dass sie mehr gehätschelt als kritisiert werden und auch nach Niederlagen von den Fans mit Beifall bedacht werden?

    Mit dem Publikum hat das überhaupt nichts zu tun. Es ist ein Wert des FC St. Pauli, dass wir nicht auf Leute treten, die am Boden liegen. Es ist ganz wichtig, dass man den Spielern vermittelt, dass man zu ihnen steht und ihnen vertraut. Genau das hat uns auch diesmal gerettet. Dies ist keine Wohlfühloase, sondern Wertbestandteil des FC St. Pauli. Ansonsten ist es immer Zuckerbrot und Peitsche. Fußballern muss man das Gefühl geben, dass sie ihre maximale Leistung erbringen können. Aber man muss nicht jeder Forderung nach Komfort nachkommen. Vielmehr müssen wir auch fordern, dass die Spieler begreifen, was es heißt, bei St. Pauli Fußball zu spielen – mit Haltung, breiter Brust, Selbstständigkeit und Überzeugung.

    Die Trainingsbedingungen sind infrastrukturell und personell nicht optimal. Was werden Sie ändern?

    Der Einbau einer Rasenheizung auf dem größten Trainingsplatz wird jetzt angegangen. Dazu werden wir uns bei den Physiotherapeuten verstärken, wo es zuletzt einige Ausfälle gegeben hatte. Außerdem wird Cheftrainer Markus Kauczinski wieder einen zweiten Co-Trainer bekommen. Dies alles erhöht die Wahrscheinlichkeit von Erfolg.

    Sehen Sie den Stellenwert des FC St. Pauli im Hamburger Sport höher als zuvor, weil der HSV jetzt in derselben Liga spielt?

    Wir sind in der vergangenen Saison nicht erfolgreich genug gewesen, um große Töne zu spucken. Eine Stadtmeisterschaft in der Zweiten Liga ist mit der in der Ersten Liga nicht gleichzusetzen. Aber natürlich wollen wir diesen inoffiziellen Titel verteidigen. Das werden unfassbare Fußballfeste. Allein, dass man das als Spieler hier erleben darf, ist eine riesige Motivation. Da würde ich jetzt schon anfangen, 20 Runden linksrum um die Alster zu drehen.