Eppan. Bundestrainer Löw scheint bereits überzeugt: Manuel Neuer wird bei der WM im Tor stehen können

    Es gibt da jetzt eine neue Serie. Sie bietet eine Starbesetzung auf, einen geschliffenen Spannungsbogen und sehr wahrscheinlich wird es auch ein Happy End geben. Der deutsche Fußball-Bund (DFB) stellt seit der Ankunft der Nationalelf im Trainingslager an der Südtiroler Weinstraße täglich ein Video ins Internet. Vom Namen her würden diese Filmchen bestens ins Angebot des Medienriesen Netflix passen: „Manuel Neuer – die Serie“. Teil eins bis fünf sind schon online.

    In 50 Sekunden bis anderthalb Minuten langen Sequenzen werden die Fortschritte des deutschen Torwart-Riesen gezeigt. Wie Neuer über den Rasen der Sportzone Rungg hechtet. Oder wie er den nicht minder riesigen Verteidiger Jonathan Tah umgrätscht. Manchmal darf man ihm gar in Zeitlupe beim Schwitzen zusehen. Unterlegt sind die Bilder mit dramatischer Musik. Die richtige Inszenierung ist wichtig. Denn es handelt sich hier um eine Geschichte über einen gefallenen Helden auf seiner Reise zurück ans Licht.

    Aus Manuel Neuer, der vor acht Monaten seinen dritten Bruch im linken Mittelfuß erlitt und die WM in Russland (14. Juni bis 15. Juli) zu verpassen drohte, wird im Laufe der Serie Manuel Neuer, der früher und stärker zurückkehrt, als man ihm das zutraute. „Ich bin guter Dinge“, sagt die Starbesetzung Neuer im Video Teil fünf. „Der Fitnesszustand ist gut. Ich denke, die Trainer sind zufrieden.“

    Am Montagnachmittag bestritt Neuer sein erstes Spiel unter einigermaßen vernünftigen Wettkampfbedingungen seit September 2017. Die U-20-Nationalmannschaft von Trainer Frank Kramer ist als Sparringspartner nach Südtirol gereist. In zweimal 30 Minuten imitierten sie dort die Spielstile der kommenden WM-Gruppengegner Mexiko, Schweden und Südkorea. Neuer wurde in der zweiten Halbzeit eingewechselt, bestand den Test problemlos. Die A-Nationalmannschaft gewann mit 7:1. Die Tore erzielten Sané (2), Brandt, Goretzka, Kimmich, Petersen, Gomez. Am Mittwoch wird es eine zweite Übungspartie geben, Zeit für Bundestrainer Joachim Löw, um taktische Feinjustierungen vorzunehmen.

    Es scheint indes, als habe sich der 58-Jährige längst festgelegt. Während die Fachwelt noch rätselt, ob der Bayern-Torhüter rechtzeitig in Manuel-Neuer-Form kommen würde, wächst in Löw die Überzeugung: Neuer ist meine Nummer eins bei der WM. Dazu beigetragen hat eine MRT-Untersuchung von Neuers linkem Mittelfuß in Bozen zu Beginn des Trainingslagers. „Die Ergebnisse sind alle hervorragend“, sagte Löw und wirkte dabei so zufrieden wie ein Vater, der weiß, dass seine Kinder endlich schlafen. Auch war förderlich, dass Neuer in Eppan bisher aufgetreten ist, als sei das ganze Bohei um seinen maladen Fuß ein als Krimi verkleideter Rosamunde-Pilcher-Film: Wie die Sache irgendwann enden wird, weiß man ja von vornherein.

    Neuer wirkt in Eppan kräftig, austrainiert und voller Elan, wenn er im Trainingsspiel Vier-gegen-vier auf große Tore nicht nur satte Paraden zeigt, sondern auch mit dem Ball am Fuß so geschmeidig aussieht wie bei der WM 2014 in Brasilien. Irgendwelche Hemmungen in den Zweikämpfen habe er „eigentlich nicht“, sagt Serienheld Neuer in Episode fünf. „Ich freue mich einfach, mit der Mannschaft zu trainieren. Jede Einheit ist wichtig für mich.“

    Aber auch seine Kollegen scheinen sich über Neuers Rückkehr über die Maßen zu freuen: „Es ist schon ein Unterschied, ob Manuel Neuer im Tor steht oder ein anderer“, sagte etwa Verteidiger Jérôme Boateng dem Fachmagazin „Kicker“. Sein Vereinskollege beim FC Bayern sei nun einmal „der beste Torhüter der Welt“ und daher nicht zu ersetzen. „Die anderen sind auch sehr gut, Marc-André ter Stegen hat sich super entwickelt, aber Manu hat eine andere Ausstrahlung als jeder andere.“ Julian Draxler drückte es ein bisschen diplomatischer aus: „Manu hat sehr viel für die Nationalelf getan. Wenn er hundertprozentig fit ist, führt an einem viermaligen Welttorhüter kein Weg vorbei“, sagte der Pariser Mittelfeldspieler.

    Nun ist es schon ein Unterschied, ob sich ein Torwart im Training gut präsentiert oder in engen Entscheidungsspielen bei einer WM. Dass am Ende alles von der Performance des Schlussmannes abhängen kann, hat man in dieser Champions-League-Saison mehrfach gesehen. Im Trainerteam um Löw wissen sie, dass vor allem das Gefühl für den Raum, für Flanken bei Torhütern nur über Spielpraxis zurückkehrt. Neuer wird daher im Test gegen Österreich am Sonnabend eingesetzt. Er werde seinen Kapitän nur als Nummer eins mitnehmen, hat Löw betont, aber wenn alles nach dem Drehbuch läuft, wird es so kommen.

    In den meisten Serien gibt es auch Verlierer. In dieser dürfte es Marc-André ter Stegen sein, der sich nach seiner vorzüglichen Saison beim FC Barcelona berechtigte Hoffnungen machte, als erste Wahl nach Russland zu reisen. „Ich hätte keine Bedenken, mit Marc ins Turnier zu gehen“, sagte Löw, „aber er weiß auch: Wenn Manuel gesund ist, hat er einen kleinen Vorteil.“ Nationalelfdirektor Oliver Bierhoff sprach schon in der Vergangenheitsform vom Stammkeeper ter Stegen, der nicht zuletzt beim Confed-Cup 2017 zu überzeugen wusste: „Es ist gut, dass er in der Zeit, als Manuel bei uns fehlte, ein super Ersatz war.“ Bei Serien nennt man so etwas einen „Spoiler“. Der Ausgang des Ganzen wurde schon verraten.