Kiew. Real Madrid gewinnt nach zwei Aussetzern des deutschen Torhüters mit 3:1 den dritten Champions-League-Titel in Folge, den 13. insgesamt

    Nach diesem denkwürdigen Abend gab es für Jürgen Klopp (50) keine Alternative. Frustbewältigung hatte für den deutschen Trainer des FC Liverpool nach der 1:3-(0:0)-Niederlage im Champions-League-Finale gegen Real Madrid oberste Priorität. Die deutsche Punkrockband Die Toten Hosen veröffentlichte am Sonntag bei Instagram ein Video, das Klopp mit ihrem Sänger Campino, seiner Frau und einigen Freunden zeigt. Es wird ausgelassen gefeiert und gesungen. Den Henkelpott wolle man sich im nächsten Jahr zurückholen. Klopp singt eifrig mit. Er lacht. Die große Enttäuschung, die ihm nach dem Schlusspfiff im Olympiastadion in Kiew ins Gesicht geschrieben stand, war für einen Augenblick verflogen.

    Mit einer rauschenden Partynacht dürfte es nicht getan sein. Zu groß war die Trauer aufseiten des FC Liverpool. Es war ein Drama in mehreren Akten, das den Engländern im wichtigsten Spiels des europäischen Vereinsfußballs widerfuhr. Klopp hat nach 2013, als er mit Dortmund im Wembley-Stadion den Bayern 1:2 unterlag, sein zweites Endspiel in der Königsklasse verloren. Es war seine sechste Finalniederlage in Folge. Doch keine war für ihn und seine Spieler schmerzvoller. Sie wird den FC Liverpool noch lange beschäftigen. Allen voran Loris Karius (24).

    Der deutsche Torhüter der „Reds“ wurde zur tragischen Figur des Endspiels. Der ehemalige Mainzer leistete sich gleich zwei grobe Patzer, die Liverpools Traum vom ersten Champions-League-Sieg seit 2005 platzen ließen. Zu Beginn der zweiten Halbzeit fing er einen Ball vor Real-Stürmer Karim Benzema. Doch anstatt ihn zu einem Mitspieler zu werfen, traf er den Fuß des Franzosen. Von dort trudelte der Ball zum 1:0 ins Tor (51.). Ein Slapsticktreffer in einem Fußballspiel, das das Prädikat Weltklasse verdiente. Als Karius auch noch einen harmlosen Schuss des Doppeltorschützen Gareth Bale zum 3:1 (83.) durch die Hände gleiten ließ, war der Albtraum für ihn perfekt.

    Nach dem Spiel saß der Deutsche einsam in seinem Strafraum. Die Arme nach vorne gestreckt, den Rücken gebeugt, das Gesicht zum Boden gerichtet. Tränen flossen ihm über die Wangen, als er nach einigen Minuten aufstand. Als er sich vor die Fankurve der „Reds“ stellte, klopfte er sich immer wieder auf die Brust, um zu signalisieren, dass er verantwortlich für die Niederlage ist. „Es tut mir leid für jeden im Team, im Club, dass diese Fehler uns so teuer zu stehen kamen“, sagte er später. Der verhaltene Applaus der Fans entschädigte nicht für den Umstand, dass er zunächst von den Real-Stars und nicht von seinen Mitspielern getröstet wurde. Für seinen Stellenwert innerhalb der Mannschaft ist das kein gutes Zeichen.

    Karius erhielt immerhin Zuspruch aus der Heimat. Sein ehemaliger Club Mainz 05 und Kollegen wie Nationalspieler Jérôme Boateng spendeten ihm Trost. Auch sein Trainer fühlte mit ihm: „Das wünscht man seinem schlimmsten Feind nicht. Ganz hart, aber so ist das Leben“, sagte Klopp. Erst im Januar hatte er Karius zu seiner Nummer eins erklärt. Diese Maßnahme war umstritten. Der britische Fernsehexperte Jamie Redknapp bezeichnete den Deutschen wegen einiger Fehler in der Vergangenheit als „Flutschfinger“. Karius zahlte das Vertrauen Klopps mit Leistung zurück. In sechs Champions-League-Spielen blieb er ohne Gegentor. Dann kam das Finale. Redknapp dürfte sich in seiner Analyse bestätigt fühlen.

    Umso schwerer war es für Klopp, dass ausgerechnet sein Landsmann, den er vor zwei Jahren aus der Bundesliga auf die Insel lockte und dem er so lange den Rücken stärkte, derart patzte. Dafür wird er sich verantworten müssen. Zunächst muss der Coach entscheiden, ob er seiner Nummer eins auch in Zukunft vertraut. Sein Kontrahent, der Belgier Simon
    Mignolet, möchte den Verein verlassen. Ob Liverpool einen namhaften Mann oder nur einen Vertreter für Karius verpflichtet, wird davon abhängen, wie schnell der 24-Jährige das Drama von
    Kiew verarbeitet. Klopp gab ihm den Rat, erst mal keine Zeitungen zu lesen.

    Der ehemalige BVB-Trainer ist nun als Psychologe gefragt. Auch seinen Star muss Klopp aufbauen. Mohamed Salah war neben Karius der zweite Protagonist in Liverpools Tragödie. Real-Kapitän Sergio Ramos hatte den Ägypter rüde zu Boden gerissen – ihn dabei an der Schulter verletzt. Nach erster Diagnose muss der 25-Jährige aber nicht um seine WM-Teilnahme bangen. Es sei nichts gebrochen, möglicherweise seien Bänder angerissen, hieß es am Sonntag. Weinend verließ Englands Fußballer des Jahres in der 30. Minute den Platz. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Liverpool die Partie dominiert. Nach dem Salah-Aus verlor das Team den Faden und am Ende auch das Spiel. Sadio Manés Treffer zum zwischenzeitlichen 1:1 (55.) brachte die Hoffnung nur kurz zurück. Neun Minuten später traf Bale mit einem spektakulären Fallrückzieher zum 2:1 (64.). „Um ein Spiel gegen einen so guten Gegner zu gewinnen, benötigt man auch etwas Glück. Bei uns kam aber nur Unglück hinzu“, haderte Klopp.

    Reals Ramos war der Buhmann für Liverpool-Coach Klopp

    Er bemängelte auch den harten Einsatz von Ramos, der vom Schiedsrichter nicht als Foul geahndet wurde. Die Gangart des Spaniers, der sich aufgrund solcher Aktionen einen Namen als „Bad Boy“ gemacht hat, habe „etwas von Wrestling“ gehabt. „Ich weiß, dass man wie ein schlechter Verlierer klingt, wenn man so etwas nach einem verlorenen Spiel sagt. Er zieht ihn auf die Schulter, das ist schon brutal. Meine Spieler waren danach offensichtlich schockiert“, analysierte Klopp. Kurz nach dem Seitenwechsel rammte Ramos Karius den Ellenbogen an den Kopf, was der Schiedsrichter ebenfalls nicht bestrafte. Liverpools Torhüter wurde für einen Moment schwarz vor Augen, möglicherweise die Ursache für den folgenden Aussetzer zwei Minuten später.

    Die Aufbauarbeit im Fall Salah dürfte dem Trainer leichter fallen als bei Karius. Der Torschützenkönig der Premier League hat sich dank einer fabelhaften Saison in der Weltspitze etabliert. Er wird nach dieser Enttäuschung gestärkt zurückkommen. Klopps junge Mannschaft hat ohnehin das Grundgerüst, um auch in den kommenden Jahren im Kampf um Englands und Europas Krone ganz vorne mitzumischen. „Wir haben in dieser Saison und auch phasenweise in diesem Endspiel gezeigt, dass wir richtig gut kicken können“, sagte er. Ein Trost war das nicht.