Kiew. Der Real-Star könnte zum dritten Mal in Folge die Champions League gewinnen

    Das Stadion in Kiew hätte Toni Kroos gern schon vor sechs Jahren gesehen. Es kam anders – und in der Heimat gab man ihm sogar einen Teil der Schuld dafür. Das Finale der EM 2012 stieg in der ukrainischen Hauptstadt, aber Deutschland verlor sein Halbfinale gegen Italien (1:2). Bundestrainer Joachim Löw hatte Kroos überraschend aufgeboten, um die Kreise des italienischen Stars Andrea Pirlo einzuengen. Funktionierte nicht. Kroos? Pfff, überschätzt. So sagte man. Sechs Jahre später ist Kroos ein anderer. Er ist selber ein Pirlo, ein über Zweifel erhabener Stratege, wie es sie im Weltfußball selten gibt, einer, den der Gegner auszuschalten versucht, weil er das Spiel so formidabel dirigiert.

    In jenem Stadion, das ihm damals verwehrt blieb, kann der Mittelfeldspieler nun seinen Namen in die lange und prachtvolle Historie des deutschen Fußballs meißeln. Dann nämlich, wenn er mit dem noblen Ensemble Real Madrids im Finale der Champions League den FC Liverpool besiegt. Für den spanischen Rekordmeister und seinen deutschen Star wäre es der dritte Triumph in Serie. Einmalig. Und für Kroos nach dem Gewinn 2013 mit Bayern München der vierte insgesamt. Weder Franz Beckenbauer, Gerd Müller noch Uli Hoeneß gewannen diesen Titel so oft.

    Kroos – der Allergrößte und Beste? „Natürlich nimmt man einen Platz in der Geschichte ein, der schon speziell ist“, sagte der Mittelfeldstar im Vorfeld des Spiels dem ZDF. Ein typischer Kroos-Satz. Lakonisch, trocken, zurückhaltend. Wenn er das Fliegen lernen würde, würde er es vermutlich niemandem erzählen. Er spielt in einem Club, in dem alles übertrieben ist und auch zu sein hat. Aber Kroos ist das Gegenteil davon: sachlich und ruhig. Auf und neben dem Platz. Er erdet das fliegende Spektakel um den königlichen Superstar Cristiano Ronaldo.

    „Er ist immer in seiner Mitte, ruht in sich, hat klare Vorstellungen und arbeitet sehr professionell“, sagt Bundestrainer Löw, der in Eppan/Südtirol im Trainingslager der deutschen Nationalmannschaft vor der WM in Russland auf seinen Strategen wartet. „Er ist seit Jahren ein absoluter Schlüsselspieler bei uns, der die Mannschaft aus seiner Position heraus anführt, indem er den Spielrhythmus bestimmt.“ Aus der Mitte des Spiels heraus. Aus der Mitte von sich selbst. Ausbalanciert, gelassen. „Er ist ein Spieler, der egal in welcher Situation keine Nerven zeigt“, schwärmt Löw weiter. „Er ist vor dem Champions-League-Finale oder dem WM-Finale genau so ausgeglichen wie vor einem Ligaspiel. Das macht ihn in seiner Art besonders.“

    Einen Teil dieser Begabung wollten oder konnten sie einst bei Bayern München nicht sehen. Dort ließ man Kroos 2014 ziehen. Geradezu lächerlich wirkende 30 Millionen Euro zahlte Real damals – und machte Kroos zu dem, der er heute ist. Und Kroos Real zu dem, was es heute ist: in der Königsklasse scheinbar unschlagbar. „Nach 2014 ist der Toni in Sachen Spielweise und Persönlichkeit unheimlich gereift“, urteilt Löw.

    Die Kollegen bei der Nationalmannschaft werden das Finale vor dem Fernseher in Eppan gemeinsam verfolgen. „Toni weiß, dass wir ihm die Daumen drücken“, sagt Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff. „Wir hoffen, dass er mit dem Pokal zurückkommt. Das würde ihm den Kopf frei machen und ein gutes Gefühl geben für die kommenden Tage.“ Tage, in denen Deutschland seinen Weltmeister-Titel verteidigen könnte. Das hat auch noch kein deutscher Spieler geschafft.