Frankfurt. Der DFB-Pokalsieg der Eintracht gegen Bayern München lässt den Traditionsclub wieder von einer großen Zukunft träumen

    Was das Oktoberfest für die Münchner darstellt, ist für die Frankfurter ihr Wäldchestag. Ein Volksfest mitten im Stadtwald, nur einen Fußweg von der Arena entfernt, werden für vier Tage jedes Jahr über Pfingsten Kettenkarussell und Achterbahn, Fressbuden und Musikbühne aufgebaut. Am Pfingstsonntag bildete sich aus anderen Gründen am Nachmittag ein erheblicher Rückstau: Die Polizei sperrte den wichtigsten Übergang am Oberforsthaus, schließlich bahnte sich ein Autokorso mit Blaulicht und Hupkonzert den Weg vom Flughafen Richtung Innenstadt: Eintracht Frankfurt auf Triumphfahrt.

    Gleich im ersten schwarzen Wagen aus Münchner Fabrikation saß Niko Kovac und hielt selbst ein Smartphone, um zu verewigen, wie ein DFB-Pokalsieg in Frankfurt gefeiert wird. Später auf dem Römerberg bekam Anführer Kevin-Prince Boateng das Mikrofon und sollte unter dem Gejohle der Menge über den scheidenden Trainer ausrufen: „Ja, er geht zu Bayern. Aber er hat uns den Pokal geschenkt. Jetzt kann er auch gehen.“ Etwa drei Stunden bevor um 18.13 Uhr die glitzernde Trophäe auf dem Balkon vor den wartenden Massen zum Vorschein kam, musste der historische Platz wegen Überfüllung geschlossen werden.

    Es versammelten sich 12.000 Menschen, insgesamt war mindestens die fünf- oder sechsfache Zahl unterwegs, um irgendwo ein Selfie zu machen, einen der Helden zu berühren oder nur einen Blick zu erhaschen. Eine Stadt im Ausnahmezustand – so hatte es Sportvorstand Fredi Bobic vorhergesagt. Eintracht und Frankfurt feierten nicht nach vorgegebenem Programm. Alex Meier, der Frankfurter Fußballgott, der nach 14 Jahren wohl keinen neuen Vertrag bekommt, grölte spontan: „Wer nicht hüpft, ist Offenbacher. Hey, hey!“ Und der „Römer“ hüpfte. Torwarttrainer Manfred „Moppes“ Petz trällerte einen Frankfurter Gassenhauer („Der Lagerboogie“), den selbst Stammgäste einer Sachsenhäuser Ebbelwoi-Kneipe nicht zwangsläufig kennen.

    Ansonsten ist die multikulturelle Eintracht heute ein Spiegelbild ihrer Stadt, in der inzwischen mehr Ausländer als Deutsche leben. Die Torschützen sind ein Beispiel: Matchwinner Ante Rebic kommt aus Kroatien, Mijat Gacinovic aus Serbien. Fast dasselbe gilt für die Baumeister: Der gebürtige Berliner Kovac hat kroatische Wurzeln, Bobic wurde in Maribor, heute Slowenien, geboren. Eintracht betont diese Identitäten, weil sie die Frankfurter Realitäten widerspiegeln.

    Das Schöne der Pokalparty war: Nichts wirkte inszeniert, aufgesetzt oder gar gekünstelt. Echte, weil innige Freude. Was wiederum auch viel mit der Geschichte des Vereins – der letzte Titel war 30 Jahre her –, aber auch der Historie der Stadt zu tun hat. Frankfurt hatte es nicht immer leicht. Früher galt die Mainmetropole als Hochburg der Kriminalität. Schmutzig und dreckig dazu. Die launische Diva vom Main konnte immer nur vorübergehend das Image aufpolieren.

    Niemand hat das mehr im Jahre 2018 für möglich gehalten, was früher im alten Waldstadion eher die Regel als die Ausnahme war. Den Bayern die Lederhosen auszuziehen. Nationaltorhüter Sepp Maier bekam in Frankfurt so oft einen eingeschenkt, dass die Bayern sich irgendwann die Dienstreise nach Frankfurt schenken wollten. Doch dann verschoben sich allmählich die Kräfteverhältnisse. Bis zum völligen Ungleichgewicht in den vergangenen Jahren.

    Was Bayern heute im Merchandising umsetzt, ist bei den Hessen der Gesamtetat. Wie absurd die Unterschiede eigentlich geworden sind, trat vor drei Wochen hervor: Bayern gewann das Bundesligaspiel zwischen den Champions-League-Halbfinals gegen Real Ma­drid mit drei A-Jugendlichen und einem Amateurspieler locker mit 4:1.

    Frankfurt mit seinen rund 740.000 Einwohnern – Tendenz stark steigend – wird gerne als heimliche Fußball-Hauptstadt Deutschlands bezeichnet, weil der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und die Deutsche Fußball Liga (DFL) hier ihren Sitz haben. Bald entsteht auf dem Gelände der Galopprennbahn für mehr als 100 Millionen Euro die Akademie. Dann bündelt sich noch mehr Kompetenz und Macht in Frankfurt. Es wäre nicht gut, wenn die Eintracht nur eine graue Maus bliebe.

    Der Bundesligist hat seit diesem Jahr mehr als 50.000 Mitglieder. Die Teilnahme an der Europa League wird zum Treiber, endlich die internationale Strahlkraft zu vergrößern. Präsident Peter Fischer, bundesweit bekannt, seit er sich wortreich mit der AfD angelegt hat, bekannte nach den dramatischen Schlussminuten in Berlin: „Nachdem, was ich da erlebt habe, werde ich nie an einem Herzinfarkt sterben.“