Berlin. Mit Jupp Heynckes verliert der deutsche Fußball nach dem Pokalfinale eine „moralische Instanz“

    Es braucht die Souveränität von Jupp Heynckes, dieser Situation die Brisanz zu nehmen. Dem Mann also, der mit seinen 73 Jahren so vieles erlebt hat, und der deswegen am Freitag im Olympiastadion in Berlin den etwas unbeholfenen Niko Kovac einfach zu sich zieht. Ihn umarmt. Lächelt. Fast so, als würde da der Vater den eigenen Sohn ermutigen, doch etwas lockerer zu sein.

    So stehen sie dann da. Heynckes, der Trainer des FC Bayern, der in Berlin mit dem DFB-Pokalfinale (Sbd., 20 Uhr, ARD) das letzte Fußballspiel seiner außergewöhnlichen Karriere bestreiten wird. Und Kovac, Trainer von Eintracht Frankfurt, heute Gegner von Heynckes, anschließend sein Nachfolger. Eine Konstellation, die Zündstoff bietet. „Aber, ich sehe das ganz locker“, meint Heynckes. Dann scherzt er mit dem ebenfalls anwesenden Bayern-Verteidiger Mats Hummels. Routine.

    Das Finale wird Heynckes letztes Profi-Spiel sein. Eine Karriere, fast so alt wie die Bundesliga, endet. Als Stürmer hat er fast jeden Titel in die Luft gestemmt, den man so in die Luft stemmen konnte. Auch als Trainer brauchte er viel Muskelkraft, für die weiteren Titel. Und als wäre dies nicht genug, hat Heynckes in dieser Saison auch noch einen strauchelnden FC Bayern beruhigt.

    Als ihn Präsident Uli Hoeneß im Oktober 2017 überraschend als Nachfolger für Carlos Ancelotti präsentierte, lag Bayern in der Bundesliga fünf Punkte hinter Borussia Dortmund. Es schien so, als könnten andere Clubs wieder näher heranrücken. Viele belächelten den wiederberufenen Fußball-Rentner Heynckes sogar. Doch vier Jahre nach seinem letzten Spiel machte Heynckes da weiter, wo er aufgehört hatte. Die Münchner überragten wieder, begossen schon Anfang April die Deutsche Meisterschaft mit Weißbier. Auch heute in Berlin wird nur darüber gegrübelt, wie hoch Bayern denn gegen Frankfurt gewinnt.

    Wie hat er das geschafft?

    Man kann die Frage aus sportlicher Sicht beantworten. Heynckes gab dem Team eine Struktur, er stellte die Spieler nach ihren Stärken auf. Doch es gibt noch die menschliche Sicht. Während der Profifußball immer aufgeregter wurde, entwickelte sich Heynckes in die andere Richtung. Das Alter schenkte ihm eine Gabe, die kein Laptop-Trainer büffeln kann: Gelassenheit.

    1965 betrat Heynckes im Alter von 20 Jahren die Bundesliga-Bühne. Er stürmte für Borussia Mönchengladbach, erarbeitete sich den Ruf als herausragender Torjäger. „Er war schon damals sehr ehrgeizig“, sagt Rainer Bonhof, Vize-Präsident bei Gladbach, in den 70er-Jahren Mitspieler, zum Abendblatt. Gladbach gewann Titel um Titel, Heynckes schoss Tor um Tor. Sogar seine Haare wurden länger.

    Als Heynckes 1978 abtrat, hatte er in 369 Bundesligaspielen über 220 Treffer bejubelt, er war Deutscher Meister, Uefa-Pokalsieger, Europameister, Weltmeister. Viel mehr ging nicht, aber Heynckes wollte mehr. Er wurde Trainer, verlangte Disziplin, seine Haare wurden wieder kürzer. Für Jupp Heynckes begann eine lange, komplizierte Trainerphase. Rainer Bonhof beschreibt es so: „Es ist wie bei einer Ehe, manchmal passt es, manchmal passt es nicht.“

    Dabei war es nicht so, dass Heynckes keine Erfolge feierte. Er wurde früh mit dem FC Bayern Deutscher Meister (1989, 1990), gewann mit Real Madrid die Champions League (1998). Doch immer wieder stand ihm sein Verhältnis zu den Profis im Weg. Heyn­ckes sei damals bei einer Niederlage persönlich beleidigt gewesen, heißt es von Ex-Spielern. Er flog beim FC Schalke raus (2004), bei Borussia Mönchengladbach trat er zurück (2007). Das war’s, meinten viele. Denkste. 2009 übernahm Heynckes Leverkusen. Simon Rolfes war Kapitän. „Er hatte die perfekte Mischung aus Ehrgeiz und Freiraum, führte viele Einzelgespräche“, schwärmt Rolfes. Heynckes entdeckte die Empathie.

    Die Mannschaft dankte es ihm. Leverkusen spielte so erfolgreich, dass der FC Bayern Heynckes 2011 wieder lockte. Hier gewann er 2013 das Triple. Heynckes weinte. Das war’s. Wieder: denkste. Nun kann er noch einmal das Double gewinnen. Dann verlässt er endgültig die Fußball-Bühne und kehrt auf seinen Bauernhof im Niederrhein zurück. „Die Bundesliga verliert eine moralische Instanz“, meint Rolfes.

    München: Ulreich – Kimmich, Süle, Hummels, Alaba – Martinez – Thiago, James – Müller, Lewandowski, Ribery. Frankfurt: Hradecky – Abraham, Hasebe, Salcedo – da Costa, Mascarell, Boateng, Willems – Wolf – Jovic, Rebic.
    Schiedsrichter: Felix Zwayer (Berlin)