Kiel. Nach dem Bundesliga-Relegationshinspiel in Wolfsburg schöpft der Zweitliga-Dritte vor allem aus der Schlussphase Hoffnung

    Marvin Ducksch hatte das Trikot ausgezogen, unkonventionell über den Kopf gekrempelt. Es war trotzdem eher eine imaginäre Last, die dem Torjäger von Holstein Kiel nach dem mit 1:3 verlorenen Relegationshinspiel beim VfL Wolfsburg das Haupt hat senken lassen. „Eine kurze Nacht“ stehe ihm bevor, presste er hervor, „ich werde mir das ganze Spiel noch mal anschauen“. Das Videostudium, das sich der 24-Jährige nach jeder Begegnung daheim selbst verordnet, dürfte die Erkenntnis nur vertiefen: Da wäre mehr möglich gewesen für den Außenseiter.

    Der gebürtige Dortmunder war nach Abpfiff wie vom Blitz getroffen zu Boden gegangen, dann hatte er mit den Fäusten den Rasen malträtiert. Aus lauter Schuldgefühlen. Der vom FC St. Pauli ausgeliehene Zweitliga-Torschützenkönig hatte in der vom Gast bestimmten Schlussphase eine von mehreren guten Gelegenheiten ausgelassen. „Unsere Chancen sind 50:50“, beteuerte Kiels Nummer zehn dennoch. Nun werde man im Rückspiel am Pfingstmontag (20.30 Uhr, Eurosport) im Holstein-Stadion noch einmal alles raushauen, „vor unserer Kulisse, vor unseren Fans“.

    Dass der „Anpassungsprozess“ ans Bundesliga-Niveau, wie ihn Trainer Markus Anfang nannte, fast eine Stunde dauerte, ermöglichte dem Werksclub dank seiner individuellen Qualitäten durch Divock Origi (14.), Josip Brekalo (40.) und Yunus Malli (56.) drei Treffer. Dennoch saugten die Kieler weniger aus dem zwischenzeitlichen Ausgleich durch Kingsley Schindler (34.), sondern aus der letzten halben Stunde fast mehr Honig als ein Bienenschwarm aus einer Blumenwiese Schleswig-Holsteins.

    „Glaubt dran, glaubt dran!“, rief der unsicher wirkende Kieler Keeper Kenneth Kronholm beim Gang in die Kabinen. „Die letzten 30 Minuten geben uns Mut“, versprach der nimmermüde Antreiber Dominick Drechsler.

    Der impulsive Markus Anfang schien froh zu sein, dass sich ein Millionenpublikum in einem der besten Relegationsspiele der jüngeren Vergangenheit von den Kieler Qualitäten überzeugen konnte. „Wir wollen Fußball spielen. Das ist unsere Art, und das wollen wir auch gegen einen Bundesligisten hinbekommen“, sagte der Holstein-Coach, der binnen zwei Jahren Drittligaspieler erfolgreich an die Schwelle zum Erstligaanspruch geführt hat.

    Der tapfere Zweitligadritte führte gegen den Bundesligadrittletzten vor, warum dieser von Sportchef Ralf Becker zu klug zusammengebastelte Kader ans Tor zur ersten Liga klopft. Weil es eine eigene Interpretation vom dominanten Vorwärtsspiel gibt, das nicht frei von Risiken und Nebenwirkungen ist. Bei einer reinen Verhinderungstaktik wären die VfL-Treffer vielleicht nicht gefallen.

    Anfang weiß aber auch, dass am Montag im etwas altertümlichen Stadion eine Ära endet. „Es wird für uns ein besonderes Spiel, weil wir in dieser Konstellation nie wieder zusammen sein werden.“ Viele Stützen verlassen den Club, und so wird der Höhenflug kaum weitergehen. Der Erfolg frisst ligaunabhängig schon diesen Sommer seine Kinder: Der Trainer selbst nimmt lieber das Projekt Wiederaufstieg in Köln an, den Manager zieht es möglicherweise zum HSV.