Hamburg. Aufsichtsratschef glaubt an eine harte Zweitligasaison und will zeitnah einen Sportvorstand präsentieren. Kiels Becker ist ein Kandidat

Am Ende eines langen Tages danach hatte sich Bernd Hoffmann gefangen. „Natürlich dauert es länger als einen Tag, bis man das alles realisiert hat“, sagte der HSV-Aufsichtsratschef am Sonntagabend beim Abendblatt-Redaktionsbesuch. Nachdem er bereits den ganzen Tag über das Unerklärliche erklären musste, nahm sich Hoffmann von 18.30 Uhr an auch noch einmal eine Halbzeit lang Zeit, um live bei abendblatt.de über den ersten Abstieg der Clubgeschichte („sehr traurig“), die Zweite Liga („Der Weg wird schwierig werden“), die mögliche Zielsetzung Wiederaufstieg („Es ist nicht der Zeitpunkt, jetzt sportliche Zielsetzungen auszurufen“), die Fehler der Vergangenheit („Der HSV ist peinlich geworden“) und über seine Hoffnung für die Zukunft („Der HSV muss seine eigene Geschichte schreiben“) zu sprechen. Als sich Hoffmann nach knapp 45 Minuten verabschiedete, hatte der HSV-Präsident nur noch einen Wunsch: „Wir dürfen einfach nicht mehr so viel und so stark in den Rückspiegel schauen.“

Bereits am Morgen hatte Hoffmann einen ganz ähnlichen Wunsch formuliert. In der Hamburger-Weg-Loge im Volksparkstadion betonte der frühere Vorstandsvorsitzende, dass es in Zukunft vor allem nicht mehr nur um die Vergangenheit gehen solle. Es war eine skurrile Szenerie. An der einen Wand hingen Fotos von Erfolgstrainer Ernst Happel und von der Meisterschaft 1960. Die andere Wand dominierte ein überdimensionales Bild vom 25. Mai 1983, dem größten Moment der Vereins­geschichte, als Felix Magath das Siegtor im Finale des Europapokals der Landesmeister gegen Juventus Turin in Athen schoss. Und mittendrin in all der HSV-Nostalgie saß Hoffmann, blütenweißes Hemd, dunkelblaue Jeans, und wurde zur tristen Zweitligazukunft befragt.

„Das muss man erst einmal verdauen, auch wenn sich der Abstieg schon lange Zeit angekündigt hatte“, sagte der Ratschef, der auch am Morgen nach dem traurigsten Tag der Clubgeschichte leicht angeschlagen wirkte. Beim kurzen Blick aus dem Fenster konnte Hoffmann noch immer die zerknüllten HSV-Pappen auf der Nordtribüne sehen. „Es ist ein harter Schlag, dass auch die wirklich exzellente Arbeit von Trainer Christian Titz und die versammelten Emotionen der Stadt am Ende nicht ausgereicht haben, um das Klassenziel zu erreichen. Man gewöhnt sich nicht gern an den Zustand, dass der HSV in der Zweiten Liga spielt. Aber wir nehmen es vom heutigen Tag an an – als ein sicherlich nicht ganz normaler Zweitligist.“

Einerseits wollte Hoffmann bei seinem Medienmarathon keinen Hehl daraus machen, dass er und seine Aufsichtsratskollegen sich bereits in den letzten Wochen mit dem Fall der Fälle beschäftigt hatten. Und dass andererseits in den kommenden zweieinhalb Monaten viel Arbeit auf die HSV-Entscheider zukommen wird. „Wir haben insgesamt keine gesunde Struktur“, gab der 55-Jährige ehrlich zu. „Das muss man an einem solchen Tag auch mal sagen und intern in die Analyse gehen.“

Während sich ein Großteil der 296 Mitarbeiter des HSV laut Hoffmann zunächst keine Sorgen um die eigene Zukunft zu machen braucht, soll die Führungsstruktur des Clubs zeitnah neu justiert werden. Ähnlich wie die Spieler haben alle leitenden Mitarbeiter in ihren Verträgen festgeschrieben, dass sie im Falle des Abstiegs auf 30 bis 40 Prozent ihres Gehalts verzichten müssen. Neben den Finanzen geht es Hoffmann auch um Inhalte: „Wir brauchen ein funktionierendes Team aus einem Trainer und einem Sportvorstand. Davon hängt am Ende das sportliche Wohl und Wehe dieses Clubs ab“, sagte Hoffmann, der in finalen Gesprächen mit zwei Kandidaten für die Stelle des Sportvorstands sein soll. Ein Kandidat soll Kiels erfolgreicher Geschäftsführer Ralf Becker sein, der kurioserweise vor ziemlich genau einem Jahr auch schon mal beim FC St. Pauli im Gespräch gewesen sein soll.

Sicherlich kein Kandidat – auch das machte Hoffmann sehr deutlich – bleibt Sportdirektor Bernhard Peters. „Jeder darf seine Ambitionen intern äußern“, antworte der Präsident auf Nachfrage. Dass Peters sein Interesse im Abendblatt geäußert hatte, habe er mit dem ehemaligen Hockey-Bundestrainer geklärt. Mit welchem Ergebnis? „Das bleibt intern“, so Hoffmann.

Kritik wird sich bei der angekündigten internen Analyse allerdings auch Noch-Alleinvorstand Frank Wettstein gefallen lassen müssen. „Die Tatsache, dass wir die Lizenz für die kommende Zweitligasaison erhalten haben, ist ja kein Nachweis für totale wirtschaftliche Gesundung“, sagte Hoffmann, der deutlich machte, dass er mit der HSV-Finanzpolitik der vergangenen Jahre überhaupt nicht einverstanden war: „Das Preis-Leistungs-Verhältnis können wir ablesen in den Bilanzen der vergangenen vier Jahre. Wir hatten fast in jedem Jahr ein zweistelliges Minus gemacht.“ Nur zur Erinnerung: Wettstein ist seit vier Jahren Finanzvorstand.

Neben den Finanzen war und ist Wettstein in den vergangenen Monaten auch für die bilateralen Beziehungen mit Investor Klaus-Michael Kühne zuständig. „Fakt ist, dass Herr Kühne auch in der Zweiten Liga HSV-Gesellschafter und Riesen-HSV-Fan bleibt“, sagte Hoffmann, der sich mit Kühne in der vergangenen Woche auf Mallorca getroffen haben soll. „Das Kernproblem beim HSV war, dass man immer am Ende einer Transferperiode überlegt hat, nach Zürich zu fahren und Herrn Kühne Geld aus dem Kreuz zu leiern, um die sportlichen Fehlentscheidungen der abgelaufenen Saison zu korrigieren. Das darf nicht sein. Das müssen wir mit eigener Kreativität hinkommen, diese Bittstellerei darf nicht wiederkommen“, sagte Hoffmann bei Sky – und ergänzte in der Hamburger-Weg-Loge: „Inwiefern es über die Rolle als Anteilseigner und Fan eine Zusammenarbeit mit Herrn Kühne gibt, wissen wir derzeit noch nicht.“

Hoffmann verspricht mehr als 15 Prozent Preisnachlass

Definitiv weiter zusammenarbeiten wollen Hoffmann und Co. mit Trainer Titz, dessen neuer Vertrag als Cheftrainer spätestens morgen unterschrieben werden soll: „Wir sind sehr froh, dass wir mit der Personalie Christian Titz schon einen entscheidenden Baustein für die nächste Saison geklärt haben. Er wird die Truppe anführen und mit dem noch zu benennenden Sportvorstand in den nächsten Wochen die Mannschaft so zusammenstellen, dass wir mit Bescheidenheit und Engagement die Mission Zweite Liga angehen können.“

Immerhin: An einem Wochenende voller schlechter Nachrichten konnte Hoffmann am Ende seines Abendblatt-Interviews zumindest noch eine kleine gute Nachricht verkünden: Für Dauerkarten in der kommenden Saison versprach der Kontrollchef einen Preisnachlass von mindestens 15 Prozent. Am Donnerstag startet der Vorverkauf – und das traurige Projekt Zweite Liga.