Hamburg. Nach den Krawallen im Fanblock kündigen Polizei und Club hartes Vorgehen gegen die Täter an. Viel Lob von allen Seiten für die HSV-Fans

Am vergangenen Mittwoch trafen sich auf dem Kiez zwei HSV-Ultras. Beim Fantalk in der Kneipe „Tankstelle“ saß ein Mitglied der Ultragruppierung Castaways auf dem Podium. Es ging um den bevorstehenden Abstieg des HSV und mögliche Aktionen der Fans. Der Ultra der Cast­aways stimmte sich kurz ab mit einem Ultra der Gruppierung Poptown, der im Publikum saß, und sagte schließlich: „Nö, es ist nichts Besonderes geplant.“

Nun könnte man sagen, dass das Zünden von Pyrotechnik beim HSV schon lange nichts Besonderes mehr ist. Doch die Szenen, die sich am Sonnabend um 17.15 Uhr auf der Nordtribüne ereigneten, überschatteten alles bisher Gewesene. Kurz vor dem Schlusspfiff flogen aus dem Block der Ultragruppen des HSV minutenlang Feuerwerkskörper auf das Spielfeld, dichte Rauchschwaden stiegen auf, Böller explodierten in einer Lautstärke, die das riesige Feuerwerk am Sonnabend auf dem Hamburger Hafengeburtstag übertraf. Schiedsrichter Felix Brych musste das Spiel für rund 20 Minuten unterbrechen. „Wir haben hässliche Szenen gesehen“, sagte Hamburgs Innen- und Sportsenator Andy Grote, der das Spiel auf der Tribüne verfolgt hatte.

Hässliche Szenen, die einen „würdevollen Abschied des HSV aus der Bundesliga überlagert haben“, wie Bernd Hoffmann sagte. Der Aufsichtsratschef kündigte genau wie Grote ein hartes Vorgehen gegen die Straftäter an. „Da kann es keine Kompromisse geben“, sagte Hoffmann am Sonntag mit einer Nacht Abstand.

Aber was war da am Sonnabend eigentlich genau passiert? Es lief die zweite Halbzeit, der HSV führte gegen Mönchengladbach mit 2:1, doch das Zwischenergebnis aus Wolfsburg hatte sich herumgesprochen. Der Abstieg war schon in der 71. Minute quasi besiegelt, als der VfL im Fernduell gegen Köln mit 3:1 in Führung gegangen war. Die Fans im Stadion stimmten lautstark das HSV-Lied „Mein Hamburg lieb ich sehr“ an. Ein Gänsehaut-Moment.

Doch bereits in diesen Minuten begann eine Gruppe von rund 100 Ultras hinter dem Tor, sich mit schwarzen T-Shirts zu bekleiden und sich unter einer großen, schwarzen Blockfahne zu vermummen. An den Gesängen beteiligte sich die Gruppe nicht. Stattdessen begann in der letzten Spielminute das Abbrennen einer großen Menge von Pyrotechnik. Hunderte Ordner und Polizisten formierten sich vor dem Fanblock. Eine Reiterstaffel rückte auf das Spielfeld, während sich die Mannschaften auf der anderen Seite des Platzes aufhielten. „Holt sie raus“, riefen die HSV-Fans und forderten die Polizei dazu auf, den Block zu stürmen.

Doch dazu kam es nicht. Senator Grote erklärte die Strategie der Polizei: „Das Abfackeln der Pyrotechnik hätte nicht verhindert werden können.“ Durch ein Einschreiten innerhalb des Blocks hätten „sehr schnell“ unübersichtliche Situationen entstehen können. Auch so müssten die Täter nun mit Strafverfolgung rechnen. „Ich gehe davon aus, dass wir eine Menge Bildmaterial haben, um einen Teil der verantwortlichen Personen identifizieren zu können“, sagte Grote.

Es waren groteske Szenen. Als die Ultragruppen noch vor dem Wiederanpfiff das Stadion verließen, wurden sie von den restlichen HSV-Fans ausgepfiffen und beschimpft. Währenddessen stürmte die Polizei durch einen Seitenausgang aus dem Stadion, um die Täter zu stellen. 16 Männer wurden in Gewahrsam genommen. „Wir haben das erste Mal erlebt, dass diese Gruppierung isoliert wurde“, sagte Vereinschef Hoffmann und kündigte einen dreistufigen Prozess an. „Der zweite Schritt nach der Isolierung ist die Identifizierung. Damit ist schon begonnen worden. Der dritte Schritt kann nur der Rausschmiss aus allen Stadien sein“, sagte Hoffmann.

Bereits seit Monaten schwelte im HSV der Streit mit den eigenen Ultragruppen. In jedem Auswärtsspiel in diesem Jahr brannten diese im Fanblock Pyrotechnik ab. Der Club wird in dieser Saison voraussichtlich eine Rekordsumme von mehr als 100.000 Euro an Strafgeldern an den DFB gezahlt haben.

Nach dem erneuten Vorfall wird auf den HSV eine weitere Strafe zukommen. Ein Zuschauerverbot in der kommenden Zweitligasaison ist dagegen unwahrscheinlich, nachdem DFB-Chef Reinhard Grindel das Aussetzen von Kollektivstrafen durchgesetzt hatte.

Doch die Ultragruppen reichte das offenbar nicht aus. Sie protestierten mit ihren Aktionen gegen Stadionverbote und überhöhte Sicherheitsmaßnahmen im Stadion. Immer wieder wurde zuletzt im HSV-Fanblock auf Transparenten und mit Sprechchören der Rauswurf von Stadionchef Kurt Krägel gefordert. Nun will der HSV alles daran setzen, die Pyro-Chaoten mit lebenslangen Stadionverboten zu sanktionieren.

HSV-Chef Hoffmann betonte aber auch, nicht alle Ultra- und Fangruppen über einen Kamm zu scheren. Kapitän Gotoku Sakai äußerte sogar Verständnis: „Es gibt eine Linie, die man nicht überschreiten darf. Aber ich kann auch nachvollziehen, dass manche Fans frustriert sind.“ Senator Grote lobte die HSV-Fans für ihr Verhalten nach dem Spiel. „Es war eigentlich eine Gänsehaut-Atmosphäre, das Stadion stand hinter der Mannschaft. Dass jetzt andere Bilder in den Nachrichten transportiert werden, macht mich wütend.“

Grote lobte den besonnenen Einsatz der Ordner und der Polizisten. So hätten ein Platzsturm und Zusammenstöße gegnerischer Fangruppen verhindert werden können. „Es war ehrlicherweise noch Schlimmeres befürchtet worden“, sagte er. „Das war eine sehr ordentliche Leistung der Polizei heute“, sagte Grote.

Auch Schiedsrichter Brych erhielt Lob für seine Entscheidung, das Spiel fortzusetzen, nachdem die Ultras das Stadion verlassen hatten. „Ich wollte auch verhindern, dass die Chaoten dafür sorgen, dass das Spiel abgebrochen wird. Dabei wurde ich von den Spielern und Clubverantwortlichen toll unterstützt“, sagte Brych, der das Spiel für zehn Sekunden weiterlaufen ließ, ehe er mit dem endgültigen Schlusspfiff den Abstieg des HSV besiegelte.