Hamburg. Club profiliert sich in der Politik, auf dem US-Markt, bei der Suche nach Einnahmequellen. Das Team kämpft gegen den Abstieg – heute gegen Fürth

In dieser Woche setzte der FC St. Pauli wieder einmal eine politische Duftmarke. „Wenn Ihr also noch Kohlekunde seid oder Euren Ökostrom von einem Kohlekonzern wie Vattenfall bezieht, dann wechselt jetzt schnell und einfach zu KiezStrom“, forderte der Club auf seiner Homepage die Mitglieder und Anhänger auf. Dazu gab es den Aufruf, die Volksinitiative „Tschüss Kohle“ per Unterschrift zu unterstützen, um so die Schließung der Kohlekraftwerke Wedel, Tiefstack und Moorburg zu forcieren.

Schon vor zwei Jahren hatte sich der Verein als Retter der bedrohten Umwelt profiliert, publikumswirksam zwei Bienenvölker im Millerntor-Stadion angesiedelt und in Anspielung auf seinen Ex-Trainer und aktuellen Technischen Direktor „Ewald-Bienenhonig“ verkauft. Projekte wie diese sind es, die zum Image beitragen sollen, immer noch ein „etwas anderer Club“ zu sein.

Die Eigenvermarktung ist das nächste große Projekt

Diese umweltpolitischen Aktivitäten sind allerdings nur Marginalien zu anderen Projekten, die die Führungskräfte des Vereins intensiv betreiben. Nach dem Rückkauf der Merchandisingrechte für 1,265 Millionen Euro steht in naher Zukunft das Thema Eigenvermarktung auf der Agenda. War bisher die Agentur U! Sports damit beauftragt, Sponsoren zu akquirieren und zu betreuen, so soll dies künftig von Angestellten des Vereins bewerkstelligt werden.

Um neue Märkte zu erschließen und bestehende Partnerschaften (Under Armour, Levi’s) zu pflegen, werden Vereinsführung und Mannschaft im Anschluss an die Zweitligasaison in die USA reisen und Termine in der Hauptstadt Washington, in Detroit und Portland wahrnehmen.

Auch in der Verbandspolitik sind Vertreter St. Paulis schwer aktiv. Vor wenigen Wochen kamen Geschäftsführer Andreas Rettig und Präsident Oke Göttlich bundesweit in die Schlagzeilen, als sie bei der Versammlung der Deutschen Fußball Liga (DFL) mit einem überraschend gestellten Antrag zum Erhalt der 50+1-Regel, der eine Mehrheit bekam, einen Coup landeten.

Politisch und wirtschaftlich ist der FC St. Pauli also ganz weit vorn. Für das abgelaufene Geschäftsjahr wurden Rekordeinnahmen von 47,35 Millionen Euro ausgewiesen, an Fanartikeln verkauft der Club mehr als viele Erstligisten (8,71 Millionen Euro Einnahmen), dazu steigt die Mitgliederzahl seit Jahren.

War da sonst noch was? Ach ja, Fußball wird ja auch gelegentlich gespielt. Doch ist dies beim „Fußball Club Sankt Pauli von 1910 e.V.“ noch das Kerngeschäft? Kann sich die Clubführung angesichts all der genannten Projekte noch den Herausforderungen des Profifußballs im notwendigen Maße widmen?

Die Zweifel daran sind in den vergangenen Monaten bei Vereinsmitgliedern und Anhängern auch angesichts der dramatischen sportlichen Talfahrt des Zweitligateams deutlich gewachsen. Auch in der Fanszene entsteht immer mehr der Eindruck, dass Fußball nur noch ein Randaspekt ist. Frank Rath ist St.-Pauli-Fan seit 1985. Der 52-Jährige entfernt sich aber emotional von seinem Kiezclub. „Die St.-Pauli-Hasser sagen gern, man sei ein Mode-und Sozialunternehmen mit angeschlossener Fußballabteilung. Als Fan muss ich sagen: Ja, stimmt!“, sagt der gebürtige Hamburger.

Seit 2002 hat Rath eine Dauerkarte auf der Gegengeraden, in dieser Saison hat der ehemalige Allesfahrer sie nicht einmal genutzt, sondern an Freunde weitergegeben. „Ich empfinde es bei St. Pauli mittlerweile als langweilig. Außerhalb des Fußballs ist der Club so gut aufgestellt wie noch nie. Aber ich wünsche mir, dass wir auch im sportlichen Bereich wieder lauter werden, Ziele formulieren“, sagt Rath. „Ein Corny Littmann hat zu Regionalligazeiten 2007 gesagt, man wolle die Nummer eins in Hamburg werden. Das war charmanter Größenwahn, aber immerhin ein Ziel. Sein Nachfolger Stefan Orth hat formuliert, St. Pauli will dauerhaft in die Top 25 in Deutschland. Ich verstehe nicht, warum man sich davor scheut“, sagt Rath, der die Stimmung im Stadion „grauenhaft“ findet und dafür auch den Verzicht auf Charakterspieler verantwortlich macht.

Ähnlich sieht St. Paulis früherer Profi, Trainer und Vizepräsident Holger Stanislawski die Lage. „Es ist keine Philosophie zu erkennen, die über Jahre verfolgt wird“, sagte er jetzt in „Bild“ und kritisierte die vielen Aktivitäten neben dem Fußball. „Mein Kerngeschäft sind Brechbohnen und Tomaten. Wenn ich mich auch um Kühlschränke kümmern müsste, würde ich die Hauptsache aus den Augen verlieren“, sagte der heutige Supermarktleiter.

Beim Abstieg geht auch der Einfluss in der DFL verloren

Doch auch der Erfolg der Nebenaktivitäten wackelt. Bei einem Abstieg in die Dritte Liga hätte St. Pauli in der DFL, die noch die USA-Reise zum Teil finanziert, keine Stimme mehr und daher nichts mehr zu melden. Muss St. Pauli Mitte Mai die Relegationsspiele gegen den Drittligadritten bestreiten, fällt die Reise sogar komplett aus. Auch die politischen Botschaften des Clubs hätten als Drittligist bestenfalls noch regionale Relevanz. Dazu würde es zu einer Herkulesaufgabe werden, Sponsoren für einen Verein mit Absteigerimage zu gewinnen.

Stellung zu dieser Problematik wollten auf Anfrage des Abendblatts weder Präsident Oke Göttlich noch Geschäftsführer Andreas Rettig nehmen. Die übermittelte Begründung dafür: In dieser Woche solle angesichts der Situation ganz der Sport im Vordergrund stehen. Eine bemerkenswerte Erkenntnis vor dem vorentscheidenden Heimspiel an diesem Sonnabend (13 Uhr/Sky) gegen die SpVgg. Greuther Fürth.

FC St. Pauli: Himmelmann – Ziereis, L. Sobiech, Avevor – Nehrig, Buchtmann – Park, Möller Daehli, Dudziak – Schneider, Diamantakos.SpVgg. Greuther Fürth: Burchert – Hilbert, Maloca, M. Caligiuri, Wittek – Gugganig, J. Gjasula – Narey, Green, S. Ernst – Dursun.Schiedsrichter: Manuel Gräfe (Berlin).