Baku. Der Mercedes-Pilot hat in dieser Formel-1-Saison noch kein Rennen gewonnen. Beim Großen Preis von Aserbaidschan kann er trotzdem an Sebastian Vettel vorbeiziehen

Die Analyse, warum es gerade nicht so richtig läuft bei Lewis Hamilton, ist doch eine ganz einfache. Man braucht ja nur sein Instagram-Konto zu durchforsten. Mal posiert er vor dem Riesenrad beim „Coachella“-Musikfestival in Kalifornien, mal lässt er sich von Supermodel Gigi Hadid chauffieren. Viel „life“, viel „style“ – und wo bleibt die Formel 1? Es ist eine einfache These. Nur: Sie stimmt einfach so nicht.

Beim Durchscrollen von Hamiltons Fotos vor dem Großen Preis von Aserbaidschan (Sonntag, 14.10 Uhr MESZ/RTL) lassen sich auch andere Urteile als nur Vorurteile fällen: Denn da taucht auch ein nachdenkliches Schwarz-Weiß-Bild auf, mit dem er seinen Mechanikern huldigt. Oder ein perfekter Schnappschuss, der ihn zeigt, wie er mit einer Eisenkette um den Hals einen LKW-Reifen durch die Straßen zieht. Lewis Hamilton gehört eben nicht zu den Champions, die bloß ein einziges Gesicht zeigen, nur die Formel 1 im Kopf haben. Das macht ihn so anders, so besonders, wohl auch so erfolgreich.

Ach, der Erfolg. Die Ergebnisse der ersten drei Rennen machen ihm tatsächlich schwer zu schaffen: Zweiter, Dritter, Vierter. Dazu zweimal in der Qualifikation von seinem Adjutanden Valtteri Bottas geschlagen. Das ist ein Abwärtstrend auf höchstem Niveau. Vor zwei Jahren hatte er einen ähnlich durchwachsenen Saisonstart, der ihm am Ende die einzige Niederlage im WM-Kampf gegen Nico Rosberg einbrachte. Schon schlagen die Zweifler nach, wann es das letzte sieglose Grand-Prix-Jahr Hamiltons gab. Können sie sich sparen, es gab noch nie eins.

Was die Panik relativiert: Der Mann ist WM-Zweiter, neun Zähler hinter seinem Ferrari-Rivalen Sebastian Vettel, und jetzt treffen sie sich wieder zur Revanche auf den Straßen Bakus, wo der Heppenheimer sich im vergangenen Jahr ein übles Foul leistete – und dem Unfallgegner damit die beste Motivation für den Rest der Saison lieferte. Kaum ein anderer Fahrer ist so getrieben von seinen Emotionen wie der Mercedes-Pilot. Entscheidend ist aber die Basis: Er braucht ein Grundvertrauen in seine Umwelt und in seinen Rennwagen, dann hat er es auch in sich selbst. Weshalb sich die Frage stellt: Wer ist die größere Diva – das Auto oder der Fahrer?

Sehr gut lässt sich eine gewisse Verunsicherung an dem Fakt festmachen, dass die Vertragsverlängerung um mindestens zwei Jahre schon vor dem Saisonstart über die Bühne hätte gehen sollen. Nur noch die Details seien offen, versicherten beide Seiten. In Bahrain wurde neulich nachverhandelt, aber unterschrieben ist noch nichts. Hamilton pokert nicht nur um mehr Geld, er stellt sich immer wieder auch mal die Frage, ob und wie lange er überhaupt weiterfahren will: „Es wird der wichtigste Vertrag meiner Karriere.“ Weil es mit 33 vermutlich auch der letzte sein wird.

„Vor uns liegt ein harter Kampf“, ahnt Hamilton, „im Moment sind wir nur das zweit- oder drittschnellste Team. Wir müssen noch einiges verbessern.“ Es sind mal wieder die Reifen, die ihre Launen am Silberpfeil auslassen (oder umgekehrt). Dazu kamen technische Unzuverlässigkeiten und eine erstmals wackelnde Strategieabteilung. „Wir befinden uns noch in einem Lernprozess, was die Reifen, das Auto und die Stärke der Gegner angeht. Erst wenn wir alle Fragen beantwortet und verstanden haben, werden wir sehen, wie gut unser Auto ist“, analysiert Hamilton. Es ist insgesamt nicht das Bild, das der Branchenführer abgeben will, wenn mit Ferrari und Red-Bull-Renault plötzlich gleich zwei Rivalen unter bestimmten Bedingungen gleichauf oder vorbei sind.

Hamilton hat die Chance, sich erneut als Leader zu positionieren. Er weigert sich, sein Saisonziel – Titel Nummer fünf – auch nur anzuzweifeln. Im Gegenteil: „Diese Saison ist einfach noch schwieriger.“ Aber eine generelle Besorgnis hegt er nicht: „Die WM ist erst drei Rennen alt. Es gibt keinen Grund, sich Sorgen zu machen.“ Auch nicht darüber, dass der Stadtkurs in Aserbaidschan seine Angststrecke ist.