Hamburg. St. Paulis Trainer darf trotz der Negativserie weitermachen. Was spricht dafür und was dagegen, dass die Wende noch gelingt. Eine Analyse

„Ich bin im Abstiegskampf geboren“, hat Markus Kauczinski kürzlich einmal gesagt, als es um die Frage ging, welche Erfahrung er damit hat, ein strauchelndes Team, das eigentlich viel höhere Ambitionen hat, vor dem drohenden Abstieg zu bewahren. Der Trainer des FC St. Pauli spielte damit darauf an, dass er vor Jahren beim Karlsruher SC zweimal bei der Profimannschaft als Interimstrainer einsprang. „Dazu kommt man nicht, wenn es gut läuft“, sagt Kauczinski, der später beim KSC Cheftrainer wurde.

Gut läuft es beim FC St. Pauli unter seiner Regie auch ganz und gar nicht. Andernorts wäre Kauczinski womöglich jetzt, nach sieben sieglosen Spielen in Folge, davon zuletzt drei Niederlagen, und dem Sturz auf Platz 16 abgelöst und durch einen Interimstrainer, wie er es seinerzeit selbst war, ersetzt worden. Die Führung des FC St. Pauli aber hat sich bekanntlich nach dem jüngsten 1:3 beim SSV Jahn Regensburg anders entschieden. „Der Trainer ist nicht Gegenstand der Diskussionen. Unser Trainer ist und bleibt Markus Kauczinski. Wir sind von seiner Arbeit überzeugt“, stellte Sportchef Uwe Stöver klar und betonte, dass dies nicht nur seine Meinung, sondern auch die des Präsidiums sei.

Auch wenn offenblieb, für welchen Zeitraum dieser Treueschwur gilt und ob es nach einer erneuten Niederlage am kommenden Sonnabend (13 Uhr) im wegweisenden Heimspiel gegen Greu­ther Fürth zu einer anderen Bewertung kommen kann, ist dieser Vertrauens­beweis ein bemerkenswerter Vorgang. Die nackten Zahlen sprechen nicht zwingend dafür, dass die bisherige Arbeit von Kauczinski Früchte trägt. Dies belegt auch die „Kauczinski-Tabelle“ (siehe unten), also die Tabelle der Zweiten Liga zwischen dem 17. und dem jetzt absolvierten 31. Spieltag. In den 15 Spielen unter seiner Regie gewann St. Pauli nur vier Spiele und holte lediglich 17 Punkte. Das entspricht einem Schnitt von 1,13 Punkten pro Spiel. Kauczinskis Vorgänger Olaf Janßen kam in den ersten 16 Zweitligaspielen dieser Saison immerhin noch auf 20 Punkte (1,25), was damals den 14. Platz bedeutete.

Während Janßen nach dieser Bilanz den Verein Anfang Dezember verlassen musste, wären die Verantwortlichen heute froh, wenn die Mannschaft jetzt und am Saisonende auch wieder den 14. Platz belegen würde. Die Realität aber ist drei Spieltage vor dem Saisonende Rang 16, der die Relegation gegen den Drittligadritten zur Folge hätte.

Was also kann die Hoffnung schüren, dass Trainer Kauczinski jetzt den Trend stoppt und die Wende herbeiführt? Ein Aspekt ist die Aussicht, dass Kapitän Bernd Nehrig nach seiner Wadenverletzung am Donnerstag wieder ins Teamtraining einsteigt und in den Spielkader für die Partie gegen Fürth zurückkehren könnte. Gleiches gilt für Offensivakteur Waldemar Sobota, und auch Abwehrchef und Vizekapitän Lasse Sobiech sollte seinen grippalen Infekt bis dahin überwunden haben.

Mit den Führungskräften Nehrig und Sobiech im Spielkader wird es Kauczinski womöglich leichter als zuletzt gelingen, seine Vorstellungen ins Team hineinzutragen. Beide werden zudem dabei helfen, auch dem letzten Kollegen zu vermitteln, dass es jetzt um die Existenz des Clubs im Profifußball geht.

Im Herbst 2015 hatte Kauczinski nach einem schwachen Saisonstart mit Karlsruhe (zwei Siege aus zehn Spielen) bereits einmal die sportliche Wende geschafft und die Saison auf Rang sieben beendet. Und auch bei St. Pauli führte er das Team nach seiner Amtsübernahme mit sieben Punkten aus den ersten drei Spielen zunächst nach oben.

Auf der anderen Seite bleiben Zweifel. Auch wenn die Mannschaft bis Freitag unter Ausschluss der Öffentlichkeit trainieren wird, ist kaum zu erwarten, dass sie danach mit einem innovativen Spielsystem oder überraschenden Freistoß- und Eckenvarianten aufwarten wird. Warum sollte in einer knappen Woche etwas zur Wettkampfreife einstudiert werden können, was zuvor monatelang nicht umgesetzt wurde.

Wichtiger als solche taktischen und fußballerischen Elemente wird die Einstellung sein, mit der die St.-Pauli-Profis ins Spiel gegen die ebenfalls gefährdeten Fürther gehen. Zuletzt war beim Heimspiel gegen Union Berlin anfangs eine Steigerung in dieser Hinsicht zu sehen. Dies schien darauf zurückzuführen zu sein, dass das Team intern diskutiert und sich eingeschworen hatte. Viele Anhänger halten Kauczinski vor, er wirke bei den Spielen, im Training und in Interviews lethargisch und fast leidenschaftslos. Auch wenn diese Vokabeln übertrieben sein mögen, so ist es nicht ganz abwegig, dass das vergleichsweise ruhige Verhalten des Trainers kaum geeignet ist, noch einmal zusätzliche Kräfte bei seinen Spielern zu aktivieren.

Unterstützung vonSt.-Pauli-Idol Stanislawski

In dieser Hinsicht haben es aber alle Nachfolger von Fanliebling Ewald Lienen schwer. Kauczinski wird auch viereinhalb Monate nach Amtsantritt von vielen Sympathisanten des Clubs angekreidet, er wirke zu spröde. Auch wenn die Beschreibung so nicht zutrifft, ist dieses Image in Verbindung mit sportlichem Misserfolg eine Belastung.

Beistand erhielten Kauczinski und die Vereinsführung von St. Paulis ehemaligem Spieler, Trainer und Funktionär Holger Stanislawski. Bei einer Veranstaltung von ARD und ZDF bezeichnete er einen Trainerwechsel als „absolut sinnlos“. „Drei Tage vor Schluss noch mal die Reißleine zu ziehen ist nicht der richtige Weg“, sagte er.