Hamburg. Marlies Stüwe arbeitet seit 16 Jahren ehrenamtlich für den Arbeiter-Wassersport-Verein von 1909 – wie ihre Eltern und ihr Ehemann

Marlies Stüwe muss einen Augenblick lang überlegen, wägt ihre Worte ab. Dann sagt sie: „Es war für mich immer klar, dass ich irgendwann in unserem Verein ehrenamtlich arbeiten werde. Das hat in unserer Familie schließlich Tradition.“ Verantwortung zu übernehmen sei für sie eine selbstverständliche Verpflichtung, kein Zwang. „Meine Eltern haben nie Druck ausgeübt. Es war bei uns gelebte Normalität, dass wir uns im Verein engagieren.“

21 Jahre ist sie alt, als sie im November 1991 kommissarisch zur Schriftführerin des Arbeiter-Wassersport-Vereins 09 (AWV) bestellt wird. Vor acht Jahren, im April 2010, wird sie die Vorsitzende. Sie folgt ihrem Vater Horst Jagemann nach, der dieses Amt 30 Jahre lang innehat. Ihre Mutter Charlotte leitet von 1980 bis 2006 die Geschäftsstelle. Selten hat wohl der Satz, der Verein ist meine Familie, besser gepasst. Einen Pfennig oder Cent Lohn sehen sie für ihre Arbeit nie. „Das kam und kommt für uns nicht infrage“, sagt Marlies Stüwe. Selbst Worte des Dankes fallen nur selten. „Das ist auch nicht unsere Motivation. Wir freuen uns vielmehr über unsere intakte Gemeinschaft, den respektvollen und inspirierenden Umgang zwischen Jung und Alt, dass wir nicht als Dienstleister wahrgenommen werden, sondern dass es bei uns ein reges Vereinsleben gibt.“

Ihren Ehemann Frank lernt Marlies Stüwe, wo auch sonst, im Club kennen. Er ist erst Pressewart, leitet seit 2008 das Vereinshaus an der Elbe, das seine Eltern Karl-Heinz und Vera Stüwe bis 1982 führen. Mehr Familienbetrieb geht nicht. Die Ehe von Frank und Marlies Stüwe bleibt kinderlos. „Es hat wohl nicht sollen sein“, sagt Marlies Stüwe. „Kinder aber hätten an unserem Einsatz für den Club nichts geändert.“

Der AWV hat rund 650 Mitglieder. Er bietet (Baby-)Schwimmen, Wasserball, Synchronschwimmen an, als einziger Hamburger Club im Barmbeker Bartholomäusbad auch Wasserspringen. Zudem stellt er in Hörnum auf Sylt die Rettungs­wache für Kinder des dortigen Fünf-Städte-Heimes. Prunkstück ist das riesige Elbgrundstück im Südosten Hamburgs. Die Pacht läuft vorerst bis 2040.

Zwischen den beiden Weltkriegen werden in Deutschland zahlreiche Arbeitervereine gegründet. Im Gegensatz zu den bürgerlichen Clubs, die vornehmlich Leistungssport treiben, setzen sie auf Breitensport, auf Erholung vom stressigen Alltag. „Das ist in der Tendenz bis heute so geblieben“, sagt Marlies Stüwe.

Sie arbeitet in der Hamburger Innenstadt als Assistentin der Geschäftsführung für eine Personalberatungsfirma. Der Verein ist quasi ihr zweiter Arbeitgeber, nur dass er nichts zahlt. Täglich mindestens eine Stunde, bei Sitzungen mehr, am Wochenende öfter mal den halben Tag müht sie sich – mit Unterstützung ihrer Vorstandskollegen – der wachsenden Bürokratie Herr werden; zurzeit ist es die aufwendige Umsetzung europäischer Richtlinien für den Datenschutz. „Lieber stünde ich am Beckenrand, lehrte Kindern das Schwimmen“, sagt sie.

Menschen, die ehrenamtlich im Sport arbeiten, klagen meist nicht. Sie wollen helfen, ihrem Verein etwas zurückzugeben, weil der sich einst auch um sie kümmerte, zum Beispiel Jugendfreizeiten organisierte, wie es der AWV auch heute noch regelmäßig tut. Gern würde Marlies Stüwe mehr Kinder und Jugendliche in den Verein holen, die Wasserzeiten aber, die ihnen die Stadt zuteilt, setzen enge Grenzen. „Wir kaufen bereits Zeiten dazu, das reicht jedoch immer noch nicht“, sagt sie. Die Vergaberegel lautet: Je leistungsstärker der Verein ist, desto mehr Bahnen stehen ihm zu. Stüwe kritisiert das: „Wir möchten auch Kinder betreuen, die einfach nur Spaß am Schwimmen haben wollen. Die Sportstadt Hamburg ist hier gefordert.“

Marlies Stüwe will sich noch viele Jahre für ihren Verein einsetzen, ehrenamtlich, das versteht sich. „Wir gehen im AWV schon mit der Zeit“, sagt sie, „wir verschließen uns keinen Entwicklungen, wir zahlen inzwischen Trainerentgelte, was früher bei uns nicht üblich war. Wenn aber in einem Verein alles mit Geld geregelt wird, droht der wichtigste Wert verloren zu gehen: dass wir eine Gemeinschaft, eine große Familie sind.“ Dafür lohne es sich weiter zu engagieren, sagt Marlies Stüwe – und strahlt.