Hamburg. Die Übungen sind keine Wundermittel. Gründer des Berliner Yoga-Zentrums räumt mit Klischees auf. Aktionstage in Hamburger Vereinen.

Martin Soder (67) ist Arzt und Yogalehrer. Zum Yoga kam er schon als Student eher zufällig: Er hatte Rückenschmerzen. Aus dem Gefühl, sich Gutes zu tun, wurde schnell mehr. Soder ging nach Indien, entdeckte die Therapiemethode des Yogameisters T. K. V. Desikachar und verband seine Fertigkeiten als Arzt mit denen eines Yogalehrers. Mit seiner Lebensgefährtin, der Ärztin Imogen Dalmann, gründete er 1995 das Berliner Yoga Zentrum und ist seither ein bundesweit gefragter Experte und Aufklärer. Ein Gespräch darüber, warum Yoga weder Erleuchtung bringt noch Spontanheilung kann, aber gut ist für Körper und Geist

Martin Soder (67), Gründer des  Berliner Yoga Zentrums
Martin Soder (67), Gründer des Berliner Yoga Zentrums © Martin Soder | Martin Soder

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Herr Soder, macht Yoga Menschen glücklicher?

Martin Soder: So einfach ist es leider nicht. Vor allem gibt es beim Yoga, was seine verschiedenen Körperhaltungen angeht, keine eindeutig definierte Wirkung. Das ist ein Irrglaube.

Es heißt aber doch, dass manche Übungen gegen Angst und Depressionen helfen? Stichwort Herzöffner.

Soder: Allein das Erleben einer Übung ist individuell verschieden. Nicht jeder Mensch hat das Gefühl, er öffnet sich, wenn er den Brutkorb weitet und die Arme seitlich ausstreckt. Im Umkehrschluss bedeuten verschränkte Arme auch nicht zwingend Abwehr oder Beklemmung.

Warum soll ich dann Yoga machen, wenn es keine Wirkung hat?

Soder: Weil eine Yogapraxis in ihrer Gesamtheit sehr wohl etwas bewirkt. Forschungen zeigen, dass etwas für sich selbst tun die Selbstheilungskräfte des Körpers unterstützt. Yoga kann helfen, Dinge zu verbessern, die nicht rundlaufen.

Theoretisch kann ich das aber auch mit Golf oder Tennis schaffen? Dabei mache ich auch etwas für mich ...

Soder: Das stimmt. Und wenn man diese Sportarten ohne Wettkampf und den Vergleich mit anderen betreibt, dann tun sie auch gut. Aber Yoga funktioniert anders. Es geht um den sorgsamen Umgang mit dem Körper, um bewusste Atemtechniken, um Achtsamkeit. So beeinflusst beispielsweise der Atem die vegetative Ebene, reduziert Stresshormone. Und manche Übungen helfen dem Bewegungssystem, beweglich zu bleiben oder zu werden. Aber Erleuchtung und Spontanheilung, falls Sie das suchen, finden Sie nicht.

Das ist jetzt aber ein bisschen enttäuschend. In jeder Frauenzeitschrift ist zu lesen, dass mich Yoga nicht nur körperlich fit macht, sondern auch auf eine neue Bewusstseinsebene hebt. Ein Alleskönner sozusagen. Das Ganze dann noch unter Saunabedingungen beim Hot-Yoga ...

Soder:... ein gutes Beispiel dafür, wo es in die falsche Richtung geht. Beim sogenannten Bikram-Yoga passieren die meisten Unfälle, das ist statistisch erwiesen ...

... und Bikram Choudhury, nach dem diese Yogarichtung benannt ist, wurde wegen sexueller Belästigung verurteilt. Nebenbei wurde er reich mit teuren Ausbildungssystemen.

Soder: Ja, das sind Ausprägungen, die dem Image des Yoga schaden. Ebenso wie die Verknüpfung mit religiösen oder esoterischen Elementen. Aber hier in Deutschland ist das noch harmlos. In den USA existieren schon lange riesige Industrien.

Dennoch ist Yoga auch hierzulande ein Trend. In Studios, die mit immer skurrileren Kombinationen um Kunden werben, wird unter anderem Poledance, also das Tanzen an Stangen, neben Yoga angeboten. Woher weiß ich bei diesem Wildwuchs, was ein guter oder ein schlechter Lehrer ist?

Soder: Dazu reichen gesunder Menschenverstand und ein kritischer Blick. Wenn mein Yogalehrer eine erweiterte Wochenendausbildung hat, ist Vorsicht angeraten. Eine richtige Ausbildung umfasst 400 bis 500 Stunden. Danach kann und sollte man fragen. Außerdem ist wichtig, dass sich der Kursleiter individuell um seine Schüler kümmert und nicht einfach vor der Gruppe sein Programm abspult.

Die Werbung suggeriert, dass man jung und schlank sein sollte, wenn man Yoga machen möchte ...?

Soder: Wenn man kompetente Lehrer hat, sind weder Alter noch Gewicht ein Problem. Wir haben in unseren Kursen Hocker bereitstehen für diejenigen, die nicht mehr so mobil sind. Und es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass Übungen keine Verschlechterung hervorrufen dürfen. Grundsätzlich ist Yoga etwas für jeden Menschen. Man muss die Übungen nur individuell anpassen.

Yoga passt perfekt in diese Zeit, in der Selbstoptimierung ein großes Thema ist.

Soder: Die Erkenntnis, selbst etwas tun zu müssen, um das eigene Verhalten oder einen körperlichen Zustand zu ändern, ist grundsätzlich richtig. Zudem schult es die Eigenverantwortung. Aber wenn man Dinge nur tut, um einem äußeren Anspruch gerecht zu werden und einem Ranking in irgendeiner App zu genügen, dann ist das genau nicht das, was Yoga ausmacht.

Der Hamburger Verband für Turnen und Freizeit propagiert im Rahmen seiner Kampagne „Entdecke Neues im Verein“ den Schwerpunkt Yoga als Gesundheitssport. Macht das Sinn angesichts des bereits bestehenden Angebots in den Studios?

Soder: Auf jeden Fall, wenn die Vereine, wie schon angedeutet, auf seriöse Ausbildung ihrer Trainer achten. Die große Vielfalt, die Yoga bereithält, passt gut ins Konzept einer Vereinsarbeit, die zumeist breit gefächert ist. Ob man es sportiv macht oder eher mit dem Fokus auf Konzentration, muss dann jeder für sich herausfinden.

Und wie mache ich das, wenn ich keine Ahnung vom Yoga habe?

Soder: Auch das kennzeichnet einen kompetenten Anbieter. In einem Vorgespräch lässt sich klären, was für Möglichkeiten es gibt und für wen diese in Betracht kommen.

Was bedeutet Ihnen persönlich Yoga? Sie praktizieren seit 30 Jahren?

Soder: Für mich ist Yoga eine wunderbare Methode, meinem Körper Gutes zu tun, Abstand zu gewinnen und daran zu arbeiten, offen zu bleiben für Überraschungen aller Art, die jeder Tag für mich bereithält.