Shanghai. Ricciardo gewinnt Großen Preis von China. Vettel nach Unfall nur Achter, aber in der Gesamtwertung noch vorn

Jetzt ist auch Sebastian Vettel ein Opfer der Überraschungs-Formel geworden: Von der Poleposition aus seinem scheinbar sicheren 50. Grand-Prix-Sieg entgegenfahrend, kippt der Große Preis von China zur Rennhälfte. Aber auch Mercedes-Pilot Valtteri Bottas (Finnland) wird nicht zum Siegerpfeil – der Australier Daniel Ricciardo holt sich im dritten WM-Lauf des Jahres mit einem unglaublichen Comeback den verdienten Sieg. Vettel wird im Ferrari nur Achter, nachdem ihn der Niederländer Max Verstappen abgeschossen hat, und ist ähnlich frus­triert wie Titelverteidiger Lewis Hamilton (England) auf Rang vier. Aber der Formel 1 kann gar nichts Besseres passieren als das neuerliche Chaos.

Als die Nationalhymnen erklingen, reiben sich alle drei auf dem Podest die Augen: Ricciardo, weil er überwältigt ist von seinem Erfolg. Bottas, weil er in seinem 100. Rennen erneut viel Schweiß ohne richtigen Lohn vergossen hat, der Finne Kimi Räikkönen als Dritter, weil er nicht weiß, wie er es überhaupt nach oben geschafft hat. „Ich kann wohl nie ein normales Rennen gewinnen“, gesteht der von Rang sechs gestartete Australier, bevor er den Champagner aus seinem Rennschuh kredenzt, „aber dieser Erfolg ist eine Belohnung für unsere Mechaniker.“

Es braucht immer nur drei Zutaten, damit auf der Rennstrecke nichts mehr so kommt, wie es kommen sollte: Reifen, Taktik und ein Safety Car. In Shanghai nimmt erst alles seinen gewohnten Lauf. Vettel, der mit 54 Punkten weiter die Gesamtwertung anführt, zieht weg, Bottas geht an Räikkönen vorbei, das gleiche Duell wie vor Wochenfrist – mit noch mehr Selbst­bewusstsein bei Ferrari. Doch diesmal locken die Mercedes-Strategen die Italiener in die Falle, mit einem vorgezogenen Stopp („Undercut“) geht Bottas in der Boxengasse am Rivalen vorbei. Die Frage ist eigentlich nur noch, ob auch Hamilton es aufs Podium schafft – und Mercedes sich damit selbst aus der Krise zieht.

Doch kurz nach der Rennmitte beschert ein peinlicher Crash der Toro-Rosso-Hoffnungen Pierre Gasly und Brendon Hartley dem Mutterteam des Red-Bull-Konzerns eine unverhoffte Renaissance: Renndirektor Charlie Whiting neutralisiert das Rennen, weil zu viele Karbonsplitter auf dem Asphalt liegen. In dem Moment, als die Safety-Car-Phase ausgerufen wird, ist Vettel gerade an der Box vorbei, und auch Hamilton kann nicht mehr abbiegen, um frische Reifen zu holen. Einzig Verstappen und Ricciardo schaffen das, sie werden direkt hintereinander abgefertigt – diese Meisterleistung der Mechaniker ist der Schlüssel zum Sieg. Denn mit den weichen, schnellen Pneus ist auch das Führungsduo auf den letzten 20 Runden nicht mehr unerreichbar. Ricciardo probiert das gleich mit Räikkönen aus, Verstappen rammt im Übermut fast Hamilton.

Aber das ist nur das Vorspiel. Ricciardo täuscht den Weltmeister und zirkelt sich eleganter am Mercedes vorbei. „Vettel ist der Nächste“, souffliert Red-Bull-Teamchef Christian Horner. Es ist pures Vergnügen, dieser Aufholjagd zuzugucken. Außer, man ist direkt Betroffener wie der Heppenheimer. Pardon: Getroffener. Denn Verstappen gibt einmal mehr den Crashpiloten, schießt in einer Kurve in den Ferrari, beide Autos drehen sich. Dafür bekommt der Niederländer zehn Sekunden Zeitstrafe aufgebrummt, aber Vettels Rennen ist endgültig ruiniert. Er flucht nur leise über Boxenfunk: „Dazu muss ich ja wohl nichts sagen.“

Nutznießer ist Ricciardo: Der schnappt sich mit Leichtigkeit auch Bottas und fährt einem einsamen Erfolg entgegen, seinem erst sechsten in der Formel 1. Red Bull vereint damit Himmel und Hölle in einem Team, an einem Wochenende. Verstappen ist einmal mehr der Störenfried, und nur die Aussprache, die es schon vor dem Wochenende zwischen ihm und den anderen Fahrern gegeben hatte, verhinderte wohl Handgreiflichkeiten. Ungewohnt kleinlaut gesteht der 20-Jährige: „Ich bin sauer auf mich selbst. Es war natürlich meine Schuld, ich hätte noch eine Runde warten müssen.“

Für Vettel ist das nur ein schwacher Trost: „Ich ärgere mich mehr über den verpatzten Boxenstopp, denn wir hatten alles im Griff bis dahin.“ Er weiß schon nach drei von 21 Rennen, dass im großen Dreikampf jeder verlorene Punkt den Ausschlag geben kann.