Hamburg. Nach 15 erfolglosen Spielen feiert der HSV beim 3:2 gegen Schalke endlich einen Sieg – und glaubt plötzlich wieder an das Wunder

Die Szenerie im Volkspark wirkte schon fast ein wenig kitschig am Sonntagvormittag. 20 Grad und blauer Himmel, Vogelgezwitscher, gut gelaunte Fans, Rückkehrer Nicolai Müller wieder mit der Mannschaft am Ball, dazu ein glücklicher Trainer nach seinem ersten Sieg als Chefcoach der HSV-Profis. „Die Sonne lacht wieder“, sagte Christian Titz, als er um 10.30 Uhr Richtung Trainingsplatz ging und sich dabei Zeit nahm, die Glückwünsche der Fans persönlich entgegenzunehmen.

„Der HSV lacht wieder“, hieß es nur 14 Stunden zuvor, als Titz dank des 3:2 (1:1) gegen den FC Schalke 04 mit den Hamburgern den ersten Sieg seit 15 erfolglosen Spielen feierte und im Volkspark Frühlingsgefühle entfachte. Genau 132 Tage hatte der HSV warten müssen, ehe Schiedsrichter Christian Dingert mit seinem Schlusspfiff den Großteil der 54.137 Zuschauer in Hamburg erlöste. „Wir leben noch“, sagte Verteidiger Douglas Santos und brachte damit die Stimmungslage auf den Punkt.

Der HSV, der den Rückstand auf den Relegationsplatz 16 von sieben auf fünf Punkte reduzieren konnte, glaubt plötzlich wieder an das, was zwischenzeitlich nicht mehr möglich erschien: die Rettung. Das Wunder. Den Klassenerhalt. „Wir können das noch packen“, sagte Innenverteidiger Rick van Drongelen. Und Aaron Hunt, der mit seinem Traumtor zum 3:2 in der 84. Minute das beste HSV-Spiel der Saison gekrönt hatte, antwortete auf die Frage, ob sein Team es noch schaffe, energisch: „Ja!“

Christian Titz erinnerte sich an Jugendstürmer Aaron Hunt

Dabei war es weniger der Sieg gegen den Tabellenzweiten aus Gelsenkirchen, der den Glauben in Hamburg zurückbrachte. Es ist vielmehr die Art und Weise, die die Stimmung innerhalb kurzer Zeit drehen ließ. Der HSV spielt unter Trainer Titz Fußball. Mutigen Fußball. Und das honorieren die Fans. Von der ersten Minute an schaffte es die Mannschaft, das zuletzt zerstrittene Hamburger Publikum geschlossen hinter sich zu bringen. „Dieses Zusammenspiel ist viel besser, als dass wir uns gegenseitig auf die Fresse hauen“, sagte der wiedererstarkte Lewis Holtby, der die zwischenzeitliche 2:1-Führung erzielte – sein zweites Tor innerhalb einer Woche.

Von einer emotionalen Achterbahnfahrt sprach Trainer Titz. Der HSV war zunächst trotz einer starken Anfangsphase in Rückstand geraten, weil Schalkes Naldo beim 0:1 (9.) nicht nur seinen Kopf, sondern auch die Hand zu Hilfe genommen hatte. Der Videoschiedsrichter griff nicht ein. Dass über diese strittige Szene nach dem Spiel kaum diskutiert wurde, lag am HSV, der sich trotz des Gegentores nicht entmutigen ließ und mit einem Kopfball von Filip Kostic nach einem langen Santos-Einwurf den schnellen Ausgleich schaffte (17.). Ein Tor, das Titz seinen Co-Trainern Soner Uysal und Matthias Kreutzer gutschrieb. „Sie haben analysiert, dass in diesen Räumen Möglichkeiten entstehen.“ Am Freitag hatte der HSV die Einwurf-Varianten unter Ausschluss der Öffentlichkeit trainiert.

Aber auch die weiteren taktischen Ideen von Titz griffen. Der Trainer setzte gegen die nach sechs Siegen in Folge mit großem Selbstbewusstsein angereisten Schalker von Beginn an auf ein hohes Pressing mit einem überraschenden Anläufer: Aaron Hunt. Der 31 Jahre alte Mittelfeldspieler durfte wie zu Bremer Jugendzeiten als Sturmspitze auflaufen. Titz hatte sich an Hunts Fähigkeiten im Angriff erinnert. Als A-Jugend-Trainer von Alemannia Aachen traf Titz vor vielen Jahren auf die Bremer Junioren mit Stürmer Hunt.

„Er hat damals viele Tore geschossen. Ich habe ihm gesagt, den Aaron Hunt würde ich gerne beim HSV sehen. Das hat ihn richtig angespornt“, sagte Titz. Ein weiterer Faktor: „Aaron ist ein sehr guter Anlaufspieler, er hat das Timing und den richtigen Laufweg. Er war als Signalgeber für das Mannschaftsverhalten wichtig“, so Titz. Neben Hunt stach dabei der kleine Japaner Tatsuya Ito (siehe unten) hervor – nicht nur wegen seiner überragenden Vorarbeit zum Holtby-Tor. „Der HSV hat all das umgesetzt, was wir uns vorgenommen haben“, analysierte Schalkes Trainer Domenico Tedesco. „Wir wollten den Gegner hoch pressen und zu Fehlern zwingen. Doch diejenigen, die die Fehler gemacht haben, waren wir. Der HSV hat uns den Schneid abgekauft.“

Am Ende entschied Hunts Hammer aus 26 Metern in den Winkel ein packendes Spiel mit einem verdienten Sieger. „Für unsere Psyche war das wahnsinnig wichtig“, sagte der Schütze. Um den Glauben weiter zu stärken, will sich die Mannschaft in dieser Woche erneut beim Griechen treffen. Kyriakos Papadopoulos hatte sein Team nach seiner Trainerkritik als Entschuldigung in ein Heimatlokal eingeladen und versprochen, den Abend zu wiederholen, sollte der HSV Schalke schlagen. Gesagt, getan. „Wir rufen jetzt die griechischen Wochen aus“, sagte Titz am Sonntag.

Will der HSV tatsächlich noch das Unmögliche möglich machen, muss er in den letzten fünf Wochen allerdings noch viele Punkte holen und griechisch essen gehen. Am Freitag hatte Trainer Titz in der Teamsitzung an das Beispiel Mönchengladbach erinnert. 2011 unter Lucien Favre rettete sich die Borussia in einer ähnlichen Ausgangslage noch in die Relegation. Und Wunder, das weiß man nicht erst seit Katja Ebstein, gibt es immer wieder. Vor allem in Hamburg.