Hamburg. Der Uhlenhorster HC war für Kais al Saadi wie eine Familie. Nach 25 Jahren endet im Juni seine Karriere als Hockeytrainer.

Für die meisten ist es der Rückrundenstart in der Feldhockey-Bundesliga, für Kais al Saadi (41) ist es der Start in einen neuen Lebensabschnitt. Nach dieser Saison tritt der Cheftrainer der Herren des Uhlenhorster HC von seinem Amt zurück und versucht, sein Leben zu entschleunigen. Das Angebot, seine Zweidrittelstelle als Personalverantwortlicher bei der N+F Handelsgesellschaft aufzustocken, hat er abgelehnt. „Ich werde versuchen, die entstehende Lücke Lücke sein zu lassen und zu schauen, wohin mich die Reise führt“, sagt der 41-Jährige vor dem Wiederbeginn der Saison 2017/18, zu dem am Sonnabend (14 Uhr) der Crefelder HTC am Wesselblek gastiert.

Herr al Saadi, spätestens am 10. Juni ist Ihre Hockeykarriere beim UHC beendet. Wie lang wird es dauern, bis Sie Ihre Entscheidung bereuen?

Kais al Saadi: Nicht lang. Ich weiß bereits heute, dass ich den UHC unheimlich vermissen werde. Der Club ist seit 1984 meine Heimat, er hat die erste Hälfte meines Lebens geprägt. Ich durfte sehr viel gestalten und erleben, deshalb verspüre ich eine tiefe Verbundenheit und Dankbarkeit für die tolle Zeit.

Der Verein würde Sie gern halten...

Die Entscheidung ist mir nicht spontan unter der Dusche eingefallen, sie hat sich über Monate entwickelt. Nach über 25 schönen, aber auch sehr intensiven Jahren als Jugend-, dann Damen- und zuletzt Herrentrainer ist der Akku einfach leer. Zusätzlich habe ich vor fünf Jahren das Angebot aus der freien Wirtschaft angenommen, als One-Man-Personalabteilung der N+F Handelsgesellschaft zu arbeiten. Dieses Pensum kann und möchte ich nicht länger leisten. Früher war ich mein eigenes Perpetuum mobile, der Sport hat mir mehr Energie gegeben, als ich jemals hineinstecken konnte. Aber durch völlig natürliche Abnutzungserscheinungen und die Doppelbelastung drohte diese Energiebilanz zu kippen. Wer so etwas nicht ernst nimmt, wird krank, körperlich oder psychisch. Also wurde es Zeit, eine Entscheidung zu fällen.

Haben Sie sich bewusst gegen Hockey und für den anderen Job entschieden?

Hockey ist meine große Leidenschaft. Der UHC und die vielen großartigen Menschen dort sind meine Familie. Jetzt habe ich das Gefühl, dass dieser Zyklus abgeschlossen ist. Ich habe keinen Plan B, nehme mir den Luxus heraus, alles Weitere auf mich zukommen zu lassen, erstmal zu entschleunigen und Raum und Zeit für Neues zu haben.

Sie gelten als Trainer mit höchsten Ansprüchen an sich selbst und an die Spieler. Hätten Sie nicht mit etwas weniger als 110 Prozent Einsatz weitermachen und dadurch auch Entschleunigung erreichen können?

Ich muss zugeben, dass ich es schon seit Jahren nicht mehr schaffe, alles mit 110 Prozent zu machen. Ich habe allerdings 110 Prozent Einsatz dafür gegeben, es möglichst so aussehen zu lassen. (lacht) Nein, es wird Zeit, Abende für sich zu haben und am Wochenende private Dinge unternehmen zu können.

Immerhin wirkten Sie in den vergangenen Monaten deutlich entspannter.

Tatsächlich habe ich versucht, den Druck, den ich mir gemacht habe, nicht ungefiltert weiterzugeben.

Anfang Februar haben Sie den ersten Titel mit den UHC-Herren geholt, nachdem Sie zuvor mehrfach knapp gescheitert waren. Ausgerechnet, als Sie Lockerheit zugelassen und ein Team aus erfahrenen Altstars und jungen Talenten aufgestellt haben, klappte es mit dem Hallenmeistertitel. Was haben Sie daraus gelernt?

Dass es einen Punkt gibt, an dem du zulassen musst, dass die letzten zehn Prozent nicht steuerbar sind und die perfekte Balance zwischen Leidenschaft und Emotionalität einerseits sowie Sachlichkeit und Aufgabenorientiertheit andererseits, gepaart mit der nötigen Lockerheit, entscheidend ist. Beides war uns zwar nicht neu, aber in dieser Hallenrunde ist es uns spürbar leichter gefallen, gemeinsam Spaß zu haben.

Warum?

Diese Lockerheit entsteht nur dann, wenn jeder im Team seine Rolle mag und mit Zufriedenheit ausführt. Das war bei uns der Fall. Natürlich haben wir auch in dieser Saison hart gearbeitet, aber eben ohne zu verkrampfen. Das sagt sich immer so leicht, aber war für mich und mein Team eine Entwicklung. Manche waren im Nachgang der Meinung, dass wir „endlich mal dran“ gewesen wären, was ich für völligen Unsinn halte. Im Sport fängst du immer wieder bei null an, da gibt es kein Drehbuch mit Happy End und erst recht kein Jeder-darf-mal. Der Titel hat nun etwas Druck vom Kessel genommen, denn fünf Jahre ganz ohne Titel mit diesem fantastischen Team mitsamt Betreuerstab hätten mir schon wehgetan.

Ist Teamspirit also wichtiger, als die besten Einzelspieler zu haben?

Man braucht beides. Aber die größere Ansammlung herausragender Einzelspieler hatten sicherlich andere. Wir hatten dagegen großen Spaß daran, als Team der maximal unangenehme Gegner zu sein. Es kann kein Zufall sein, dass fast alle Gegner nach den Spielen gegen uns sagten, das sei ihr schwächstes Saisonspiel gewesen. Für mich das größte Kompliment, das man meinem Team machen konnte.

Sie selbst werden in der Szene sehr geschätzt. Allgemein jedoch ist der Trainerberuf in Deutschland in den Randsportarten noch immer deutlich unterbezahlt und viel zu wenig anerkannt. Was hätte Sie dazu bewegen können, den Zweitberuf wieder aufzugeben und nur Trainer zu sein?

In meinem kleinen Mikrokosmos habe ich immer viel Wertschätzung erfahren, mich hat es nicht nach mehr öffentlicher Wahrnehmung gedürstet. Deshalb sage ich ehrlich: Nur die Perspektive, meine Familie und mich finanziell so aufzustellen, dass ich mir über nichts Gedanken machen müsste, hätte mich dazu bewegen können. Ein Trainer in der Fußball-Bundesliga kommt nicht auf so dumme Ideen, einen Zweitjob anzunehmen. Aber selbst im Profifußball gibt es ja eine Tendenz, dass sich sogar hochbezahlte Trainer Auszeiten nehmen, um emotional und auch körperlich wieder aufzutanken.

Liegt das auch daran, dass der Job immer komplexer geworden ist?

Diese wiederkehrenden Muster gibt es in jedem Beruf. Tatsächlich ist die Intensität aber deutlich gewachsen. Der moderne Cheftrainer ist kein Vorturner mehr, sondern eher Leiter eines vernetzten Kompetenzteams, dessen Mitglieder in ihren Bereichen oft deutlich besser sind als der Chef selbst.

Der Einzug technischer Hilfsmittel hat Ihren Job aber doch auch revolutioniert und dadurch intensiviert.

Das stimmt, aber Hockey war Innovationen gegenüber schon immer sehr zugewandt. Schon auf meinem ersten U16-Nationalmannschaftslehrgang als Spieler 1992 gehörten Laktatwertmessungen und tägliche Videoanalysen längst zum etablierten Alltag. Wir haben finanziell gesehen immer den Notstand verwalten müssen und deshalb nach Hilfsmitteln gesucht. Dieses Prinzip, aus minimalen Mitteln das Maximum für den Spitzensport herauszuholen, hat uns zu Innovationsfreundlichkeit erzogen.

Namhafte Hockeytrainer wie Markus Weise oder Bernhard Peters sind zum Fußball gewechselt. Wäre das auch etwas für Sie?

Im Fußball kennt niemand meinen Namen. Aber ich habe eine sehr große Fantasie. Vorstellen kann ich mir fast alles. Auch in eine andere Sportart zu gehen.

Es ist also auch vorstellbar, wieder zum Hockey zurückzukehren und für einen anderen Club zu arbeiten, oder als Nationaltrainer für ein anderes Land?

Na klar. Ich habe bewusst nicht gesagt: nie wieder Hockey! Hockey bleibt für mich die schönste Nebensache der Welt, und ich gehe ja nicht im Groll. Nur direkt zu einem anderen Bundesligaclub zu wechseln und nächste Saison gegen meine alten Mannschaften zu coachen, das schließe ich aus.

Was erwarten Sie nun noch vom Rest der Feldsaison mit den Herren?

Nicht allzu viel. Nicht, weil ich es dem Team nicht zutraue, sondern weil ich durch den Erfolg der Herren und der Mädchen (Meister mit der U16, d. Red.) in der Halle gelernt habe, dass eine zu hohe Erwartungshaltung einem keine Spiele gewinnt. Natürlich wünsche ich mir, dass wir in Schlagdistanz zu den Final-Four-Plätzen bleiben. Dafür brauchen wir eine Siegesserie, um die sechs Punkte Rückstand auf Rang vier aufzuholen. Aber es wäre nicht das erste Mal, dass mein Team das schafft. Außerdem möchte ich in den letzten Monaten noch einige unserer großen Talente im Herrenbereich ankommen lassen, denn das sollte weiterhin die Handschrift unseres Vereins sein.

Was wünschen Sie sich zum Abschied von Ihrem Team?

Entweder eine geile deutsche Endrunde, oder, falls wir das Final-Four nicht mehr erreichen sollten, ein spektakuläres und hoffentlich erfolgreiches letztes Bundesligaspiel am 3. Juni beim HTHC.