Hamburg/Valencia. Am Wochenende muss das deutsche Team mit Alexander Zverev im Daviscup-Viertelfinale im spanischen Valencia antreten

Eines weiß Jan-Lennard Struff, bevor die ersten Bälle gewechselt sind: Dass dieser besondere Druck sein Begleiter sein wird, den er nur spürt, wenn er für Deutschland im Daviscup antritt. „Der Druck im Daviscup ist größer als auf der ATP-Tour“, sagt der 27 Jahre alte Warsteiner, der an diesem Wochenende im Viertelfinale gegen Spanien in Valencia im Einzel und Doppel zum Einsatz kommen könnte. „Auch wenn es eine Ehre ist, für sein Land zu spielen, ist die Situation sehr speziell, denn man möchte unbedingt für das Team gewinnen, den Erwartungen standhalten.“

Einen Monat ist es her, dass Per Mertesacker (33/Arsenal) in einem „Spiegel“-Interview öffentlich machte, wie sehr er körperlich und psychisch unter den Anforderungen, für sein Land erfolgreich sein zu müssen, gelitten hat. Eine Frage drängte sich danach auf: Ist es für Einzelsportler noch schwieriger, mit diesem Druck fertigzuwerden?

Nicolas Kiefer ist überzeugt, dass diese These zutrifft. „Tennisspieler kennen den Druck, den Ansprüchen von Eltern, Trainern, vor allem aber ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Aber sie haben nicht den Vorteil, sich hinter einer Mannschaft verstecken zu können“, sagt der 40-Jährige, der zwischen 1998 und 2009 in 15 Daviscup­Partien aufschlug und heute als Nachwuchscoach an der TennisBase Hannover arbeitet. Er selber habe den Erfolgsdruck, für sein Land anzutreten, auch gespürt: „Ich habe ihn immer als besondere Herausforderung empfunden, als einen Extrakick an Motivation, den ich geliebt habe. Aber ich weiß, dass es nicht jedem so geht.“

Michael Stich hat ähnliche Erfahrungen gemacht. 1993 zählte der 49-Jährige zu dem Team, das letztmals den Mannschaftswettbewerb für Deutschland gewinnen konnte (4:1 gegen Australien). „Natürlich ist es eine besondere Belastung, für sein Land siegen zu müssen. Aber ich glaube, dass das in Einzel- und Teamsport sehr ähnlich ist“, sagt der Hamburger, der persönlich nur ein einziges Mal von seinen eigenen Ansprüchen gelähmt war – im Finale der French Open 1996. „Im Daviscup-Finale 1993 war ich dagegen sehr ruhig. Das erste Einzel gegen Stoltenberg war schlecht gelaufen, obwohl ich gewonnen hatte. Trotzdem war ich vor dem Doppel so entspannt, dass Patrik Kühnen noch heute davon erzählt“, sagt er.

Ein Vorteil mag sein, dass Einzelsportler von der Jugend an stetig damit konfrontiert sind, allein im Mittelpunkt zu stehen. Dass diese Sportler grundsätzlich mental stabiler seien als Teamsportler, weist Andy Fahlke allerdings zurück. Der 38-Jährige (1997-02 selbst Tennisprofi) arbeitet im Nordschwarzwald als Psychologe. Er sagt: „Niemand sucht sich seinen Sport aus, weil die eigene mentale Stabilität dazu passt. Deshalb gibt es in jedem Sport ganz unterschiedliche Charaktere, die alle individuell mit Druck umgehen.“

Entscheidender Faktor dafür, mit der besonderen Belastung umgehen zu können, für sein Land siegen zu müssen, sei Erfahrung. „Du kannst eine Drucksituation wie die, in Spanien vor 10.000 heißblütigen Fans das entscheidende Daviscup-Match gewinnen zu müssen, nicht trainieren. Aber du kannst durch Erleben von Drucksituationen immer neue Erfahrungen sammeln, die helfen“, sagt er. Außerdem sei wichtig, Spitzenathleten zu vermitteln, dass lästiger Druck immer nur in ihnen selbst entsteht: „Wer es schafft, die Ansprüche von außen zu genießen, wird niemals unter Druck leiden, sofern er gut vorbereitet ist und sich nichts vorzuwerfen hat.“

Daran arbeitet Nicolas Kiefer mit seinen Talenten in Hannover. „Viele werden leider immer noch an der Erwartungshaltung aus den Zeiten von Graf, Becker und Stich gemessen. Wir müssen sie davor schützen“, sagt der Holzmindener, „sie müssen nicht so trainieren, dass sie ausbrennen.“ Das sieht auch Michael Stich ähnlich, der die Entwicklung in der Sportpsychologie sehr schätzt. „Ich hatte diese Betreuung nicht. Aber ich denke, dass sie auch auf mich positive Auswirkungen hätte haben können“, sagt der Wimbledonsieger von 1991. Er habe sich stets von der Frage leiten lassen, ob er mit einem Scheitern leben könne. „Wer das nicht kann, wird Druck immer negativ empfinden.“

Jan-Lennard Struff hat sich mit dem Bereich der mentalen Leistungssteigerung schon länger beschäftigt. „Die Gedanken kontrollieren zu können ist genauso wichtig wie Fitness- oder Schlagtraining“, sagt er.