Hamburg . Englands Schwergewichtschampion muss am Sonnabend zunächst WBO-Weltmeister Joseph Parker besiegen.

500 Millionen Dollar sind eine Summe, die den meisten Menschen den Kopf verdrehen würde. Anthony Joshua lässt das viele Geld jedoch kalt. Das mag daran liegen, dass der Mann, der sich anschickt, die nächste Ära des Schwergewichtsboxens zu prägen, mit seinen Auftritten längst auch Millionengagen verdient. Wenn der 28 Jahre alte Brite an diesem Sonnabend (22.45 Uhr/live im Internet bei dazn.com) im Principality Stadium der walisischen Hauptstadt Cardiff seine WM-Gürtel nach Version von WBA und IBF in einer weltweit beachteten Titelvereinigung gegen WBO-Champion Joseph Parker (26/Neuseeland) aufs Spiel setzt, fließen rund 17 Millionen Euro auf sein Konto.

Nicht am Ende seiner Mission

Der Hauptgrund dafür, dass Joshua das eine halbe Milliarde schwere Angebot für einen Wechsel in die Käfigkampfliga UFC kürzlich freundlich ablehnte, ist indes ein anderer. Der Olympiasieger von 2012, der im April vergangenen Jahres in einer epischen Schlacht im Wembleystadion den Wahl-Hamburger Wladimir Klitschko (42) in die Boxrente schickte, fühlt sich längst nicht am Ende seiner Mission angekommen. „Die UFC interessiert mich, sie könnte auch ein Thema für mich werden. Aber erst nach dem Boxen. Du musst zunächst deinen eigenen Sport dominieren, bevor du dir neue Wege suchst. Und ich bin noch immer am Anfang, weit davon entfernt, sagen zu können, dass das Boxen für mich nur noch Routine ist“, sagt er. Diese Worte unterstreichen, dass die im Parker-Camp gehegte Hoffnung, Joshua könnte nach dem Hype um seinen K.-o.-Sieg über Klitschko ihren Mann genauso unterschätzen, wie Kritiker es ihm nach der mühsamen letzten Titelverteidigung im Oktober gegen den Kameruner Carlos Takam vorhielten, umsonst ist.

Auch wenn Parker („Ich mache mir überhaupt keine Sorgen. Alles, was ich für den Sieg tun muss, ist, in den Ring zu steigen und zu zeigen, wer ich bin“) sich auf der Pressekonferenz am Mittwoch überzeugt davon gab, auch psychologisch im Vorteil zu sein: Anthony Joshua weiß ganz genau, wie er auf seinem Weg zur Weltherrschaft in der Königsklasse des Berufsboxens jegliches Straucheln vermeiden kann. „Ich lasse mich von nichts ablenken“, sagt er, „und ich weiß, dass ich sehr diszipliniert sein muss, um meine Ziele zu erreichen.“

Als Zehnjähriger mit Boxen begonnen

Diese Ziele definiert der Mann, den die englische Sportpresse längst in eine Reihe mit Stars wie Lewis Hamilton (Formel 1), Andy Murray (Tennis) oder Rory McIlroy (Golf) stellt, nicht über Titel. „Die Gürtel sind toll, aber wenn es mir nur um Titel ginge, könnte ich ja aufhören. Ich will herausfinden, wie weit ich es bringen kann. Ich will der smarteste Boxer der Welt werden. Meine größte Herausforderung bin ich selbst“ , sagt der 198 Zentimeter große Athlet mit nigerianischen Wurzeln, der in Nord-London ein Haus mit seiner Mutter teilt. Dass Joseph Parker als Herausforderung jedoch ebenfalls taugt, daran gibt es keinen Zweifel. Der im sozial schwierigen Stadtteil South Auckland aufgewachsene Athlet begann als Zehnjähriger mit dem Boxen, weil sein Vater Dempsey, der wegen einer Beinbehinderung keinen Leistungssport treiben durfte, darauf bestand, obwohl der kleine Joseph eher Volleyball liebte.

Wendepunkt der Karriere

Die Teilnahme an der Amateur-WM 2009 war der Wendepunkt für den 193-Zentimeter-Mann, der fortan daran glaubte, in seinem Sport erfolgreich sein zu können. Parker, dessen deutscher Großvater in Samoa lebt, von wo aus seine Eltern nach Neuseeland auswanderten, holte sich im Dezember 2016 gegen Andy Ruiz jr. (USA) den vakanten WBO-Titel. Sein Manko ist, dass er bislang noch keinen Gegner vom Kaliber Joshuas vor den Fäusten hatte. Dennoch verspricht eine Titelvereinigung zweier unbesiegter Kämpfer – Joshua gewann alle seine 20 Profifights vorzeitig, Parker immerhin 18 von 24 durch Knockout – große Spannung. Das sehen auch deutsche Experten ähnlich. „Das wird ein spannender Kampf zwischen zwei sehr schnellen Schwergewichtlern, die beide eine enorme Schlagkraft haben“, glaubt Kalle Sauerland, Mitinhaber des Sauerland-Stalls, der live am Ring sitzen wird. Bernd Bönte, langjähriger Manager der Klitschko-Brüder, hält den Neuseeländer ebenfalls für gefährlich. „Er hat schnelle Hände und gute Nehmerfähigkeiten“, sagt er.

Klarer Favorit

Dennoch ist Joshua für beide der klare Favorit. „AJ hat klare Reichweitenvorteile, besitzt die größere Schlagkraft und den besten Aufwärtshaken der Welt. Außerdem hat er im Gegensatz zu Parker Erfahrung mit Kämpfen im Stadion und dem Hype um so ein Mega-Event“, sagt Bönte. Beide rechnen mit einem K.-o.-Sieg Joshuas in den Runden acht bis zehn. Ein solcher würde die Tür öffnen zu dem Kampf, den Joshua als logischen Schritt zur vollständigen Dominanz ansieht: das Duell mit WBC-Weltmeister Deontay Wilder (USA). „Dieser Kampf wird kommen“, sagt Joshuas Promoter Eddie Hearn, „aber Parker ist ein gefährlicher Gegner, deshalb schauen wir noch nicht weiter als bis zum Sonnabend.“ Das muss man nicht glauben, denn Anthony Joshua ist ein vorausschauender Mensch. Aber er weiß, dass nur ein Sieg über Joseph Parker die nächsten Schritte auf dem Weg zur Erfüllung seiner Mission ermöglicht.