Hamburg. Handballer des HSV Hamburg wahren komfortablen Drittliga-Vorsprung mit 20:19-Krimisieg gegen Rostock

40 Sekunden vor Schluss hielt es Martin Schwalb vor Anspannung nicht mehr aus. Der ehemalige Meistertrainer und heutige Sportchef des Handball Sport Vereins Hamburg sah, wie sein Team beim Stand von 19:19 im letzten Angriff des Spiels den Ball erneut ohne Druck auf die Rostocker Deckung hin- und herwarf. Schwalb konnte nicht anders: „Nimm die Auszeit! Nimm die Auszeit!“, schrie der 54-Jährige oben auf der Tribüne in der Sporthalle Hamburg in Richtung Trainerbank, wo Torsten Jansen die Grüne Karte bereits in der linken Hand hielt.

Beim dritten Mal fanden Schwalbs Worte Gehör. Auszeit, 30 Sekunden vor Spielende. Zeit genug, um den letzten Spielzug festzulegen und den drohenden Punktverlust noch zu vermeiden. Es gelang, weil Kevin Herbst sich im Rückraum ein Herz fasste. Der Linkshänder traf vorbei an Block und Torwart zum 20:19 (7:11)-Sieg. Für den Drittliga-Spitzenreiter war es die erste Führung im schon verloren geglaubten Spiel gegen den Tabellenvorletzten Empor Rostock. Der letzte verzweifelte Wurf des Gegners fiel in die Arme von HSV-Torwart Jan Peveling. Die Hamburger blieben auch im neunten Spiel in Folge siegreich, wahrten den komfortablen Vorsprung auf Verfolger TSV Altenholz und benötigen nun noch vier Siege aus sieben Spielen für den Aufstieg in die Zweite Liga.

„Kevin hat aus dem Spiel gelernt und bei diesem Wurf alles richtig gemacht. Er hat sich den Torwart ausgeguckt, nicht wie sonst nach links unten gezielt, wo der Keeper mit seinem Bein schon gedanklich war, sondern nach rechts oben. Das war stark“, lobte Schwalb den 23-Jährigen. Rostocks Schlussmann Leon Mehler hatte die Hamburger zuvor mit zwölf Paraden und starker Fußabwehr an den Rand der Verzweiflung getrieben. Sieben Tore zur Halbzeit – so schlecht traf der HSV in seiner Drittligahistorie noch nie. Trainer Jansen zählte 19 vergebene Wurfchancen „und zahlreiche Ballverluste“. Dass Herbst dennoch die Chance zum Siegtreffer bekam, lag allein an Torwart Peveling, für den überragende 17 Paraden notiert waren. „Peve hat uns heute überhaupt erst im Spiel gehalten“, sagte Kapitän Lukas Ossenkopp, „was wir heute abgeliefert haben, war einer Spitzenmannschaft unwürdig.“

Zweitligaabsteiger Rostock, bei dem der Ex-Hamburger Felix Mehrkens wegen einer Vertragsvereinbarung beider Clubs nicht spielen durfte, war der erwartet schwere Gegner. „Da darf man sich von der Tabellensituation nicht täuschen lassen“, sagte Kreisläufer Niklas Weller, „die waren heiß, vor dieser Kulisse dem großen Favoriten ein Bein zu stellen.“ Erstmals in dieser Saison war die Sporthalle Hamburg mit 3570 Zuschauern ausverkauft, nur zu den Weihnachtsspielen und zum Derby gegen Norderstedt im vergangenen Jahr, als ein weiterer Rang hinterm Tor geöffnet worden war und 3659 Fans Platz fanden, kamen mehr.

„Auch in der zweiten Halbzeit wurde unser Spiel nicht besser. Die Abwehr war okay, aber vorne – das geht gar nicht“, klagte Ossenkopp. Der Toptorjäger, der aus dem Spiel her­aus nur einmal traf, hatte wie seine Kollegen Probleme mit der offensiven Deckung der Rostocker. Nicht zum ersten Mal in dieser Saison fand der HSV kein probates Mittel. Eine Erklärung fiel den Spielern schwer. „Wir trainieren das ja, das Angriffsspiel gegen offensive Abwehrreihen. Aber im Spiel ist es dann einfach unangenehm“, sagte Herbst.

Trainer Jansen, der verschiedene Angriffsformationen ins Rennen schickte und nach 15 Minuten den Rückraum ohne seine etatmäßigen Stammkräfte Ossenkopp und Jan Forstbauer (null Tore) besetzte, hatte dagegen sehr wohl eine Erklärung. „Uns haben heute Kampf und Leidenschaft gefehlt“, monierte er. Statt den Ball um die Neun-Meter-Linie herum zu spielen, „muss man auch mal den Arsch in der Hose haben und in Eins-gegen-eins-Duelle gehen, um den Abschluss zu finden“. Und wenn sich die Gelegenheit frei vor dem HC-Schlussmann ergeben hatte, fehlte es an Konzentration. „Die Fehlwürfe haben uns das Selbstvertrauen genommen“, sagte Jansen. Er sei dennoch „stolz auf die Jungs“, die ein Spiel gewannen, „das du bei diesem Verlauf nicht gewinnen kannst“.

Den glücklichen Ausgang sah auch Kevin Herbst pragmatisch: „Am Saisonende fragt nach diesem dreckigen Sieg niemand mehr.“ Versöhnliche Worte gab es fürs Team von Sportchef Schwalb, der Verständnis für die schlechte Leistung nach dem spielfreien Wochenende zuvor aufbrachte. „In der Rückrunde hatten die Jungs so viel Druck, sie durften nicht verlieren. Dann kam das Spitzenspiel in Altenholz“, sagte er, „dass dann irgendwann mal die Spannung abfällt bei diesem jungen Team“, sei doch ganz normal.

Dem HSV fehlte gegen Rostock Rechtsaußen Stefan Schröder wegen Rückenproblemen. Zudem erlitt Ossenkopp einen Nasenbeinbruch und droht am Sonnabend (19.30 Uhr) beim HSV Hannover auszufallen.

HSV (Tore): Peveling (2), Plaue (nicht eingesetzt) – Tissier, Bauer (4), Weller (1), Ossenkopp (2/1 Siebenmeter), Fuchs (2), Forstbauer, Rix (5/3), Kleineidam, Herbst (4).