Hamburg. Der HSV verliert seinen letzten Trumpf im Abstiegskampf: die Unterstützung der Fans. Gegen Mainz drohen erneute Ausschreitungen

Heribert Bruchhagen wollte am frühen Montagmorgen keine Zeit verlieren. Bereits um 9 Uhr zog sich der HSV-Chef mit seinem Vorstandskollegen Frank Wettstein, Stadionchef Kurt Krägel und dem leitenden Fanbeauftragten Joachim Ranau zum Achtaugengespräch zurück. Das Gesprächsthema: die Ausschreitungen vom Wochenende. So musste das Nordderby gegen Werder dreimal unterbrochen werden, kurz vor Schluss drohte sogar ein Spielabbruch. „Wir können nur an die selbstzerstörerischen Elemente im HSV appellieren, ihrem eigenen Club keinen Schaden zuzufügen“, sagte Bruchhagen anschließend im Abendblatt-Gespräch.

Der Vorstandsvorsitzende weiß, wovon er spricht. Es ist eine ganze Weile her, dass Bruchhagen schon einmal mit einer vergleichbaren Situation konfrontiert wurde. Im Sommer 2011 war es, als der damalige Eintracht-Chef nach massiven Ausschreitungen einiger Frankfurt-Chaoten sagte, dass „uns das noch acht Jahre lang verfolgen wird.“

Sechs Jahre später sitzt Bruchhagen in seinem Büro im Volksparkstadion und sagt: „Es stimmt. Die Problematik damals war immens – und erinnert ein wenig an die aktuellen Vorkommnisse.“

Rückblick: In Frankfurts Abstiegssaison 2010/11 eskaliert die Lage schon früh: Am 5. März wird das Spiel gegen den 1. FC Kaiserslautern mit 30-minütiger Verspätung angepfiffen, weil Hooligans aus beiden Clubs sich die schwersten Ausschreitungen seit Jahren leisten. Es ist der Anfang vom Ende: Am 30. April wollen Eintracht-Ultras die eigene Mannschaft nach einer 0:3-Niederlage gegen Mainz gewaltsam zur Rede stellen. Die Polizei greift ein, es fällt sogar ein Warnschuss. Eine Woche später kontern die Ultras mit einem Platzsturm nach einer erneuten Niederlage gegen Köln. Am letzten Spieltag wird im Frankfurter Fanblock in Dortmund ein Transparent mit klarer Botschaft entrollt: „Deutscher Randalemeister 2011“.

Um diesen inoffiziellen Titel im Jahr 2018 bewirbt sich nun sehr nachdrücklich eine Gruppe gewaltbereiterer HSV-Ultras. Zunächst wurde beim vergangenen Heimspiel gegen Leverkusen ein Banner mit der Botschaft „Bevor die Uhr ausgeht, jagen wir euch durch die Stadt“ aufgehängt. Dann folgte die Pyro-Randale in Bremen. Und nach Abendblatt-Informationen aus der Szene sind beim Heimspiel gegen Mainz am Sonnabend im Falle einer weiteren Niederlage die nächsten Aktionen geplant.

„Selbstverständlich werden wir unsere Sicherheitskräfte beim kommenden Heimspiel verstärken. Aber letztendlich ist es leider sehr schwierig, konzertierte Aktionen wie in Bremen auszuschließen“, sagt Bruchhagen, der wie schon vor sechs Jahren in Frankfurt erneut einen konkreten Maßnahmenkatalog für diesen Mittwoch ankündigt.

Bleibt die Frage: Was bringen derartige Maßnahmenkataloge wirklich? So ist es nicht einmal ein Jahr her, dass der HSV schon einmal auf Konfrontationskurs mit seinen eigenen Ultras gegangen ist. Nachdem das Heimspiel gegen Darmstadt wegen Pyrotechnik unterbrochen werden musste, verhängte der HSV gegen die Ultras öffentlichwirksam ein Materialverbot – Banner, Blockfahnen, Schwenkfahnen – und sprach ihnen zudem ein Verbot von Choreografien oder Spruchbändern aus. Das Machtwort hielt allerdings nicht lange. Bereits vor dem Heimspiel darauf wurde das Verbot still und heimlich zurückgenommen. Eine Gruppe mit zehn Ultras durfte die Profis – kurioserweise ebenfalls vor dem Mainz-Spiel – sogar im Mannschaftshotel besuchen.

Einen derartigen Besuch im geplanten Rettertrainingslager (siehe unten) wird es kein zweites Mal geben. Aber anders als vor einem Jahr ist eine Entspannung der Lage nicht in Sicht. Während es seinerzeit noch einen dünnen Gesprächsfaden zwischen Club und Ultras gab, ist dieser mittlerweile gerissen.

Ohnehin ist ein Dialog mit den meist jugendlichen Mitgliedern von Poptown, Castaways und Clique du Nord nur schwer bis gar nicht möglich – ganz im Gegenteil zu der 2014 aufgelösten Ultra-Fraktion Chosen Few. „Viele werden erst später merken, wie wichtig Chosen Few für den HSV war“, sagte bereits vor vier Jahren der Fanbeauftragte Ranau, der sich zu den Ausschreitungen vom Wochenende nun genauso wenig äußern will wie zu der komplizierten Gemengelage im Ultralager. So kann man die Täter von Bremen keinesfalls nur einer der drei großen Gruppierungen zuordnen. Nach Abendblatt-Informationen haben sich einzelne, gewaltbereite Mitglieder aus allen drei Verbindungen zusammengetan.

Ähnlich wie im Frankfurter Sommer 2011 ist auch die Mischung im Hamburger Winter 2018 höchst explosiv. Denn damals wie heute drohen und drohten die wiederholten Ausschreitungen zu ernsthaften wirtschaftlichen Konsequenzen zu führen. „Die Ereignisse der vergangenen Saison haben uns zum Nachdenken gebracht“, hatte Constantin Alsheimer, Vorstandsvorsitzender vom Eintracht-Sponsor Mainova AG, 2011 offen eingeräumt. Und auch im Hamburger Hier und Jetzt hat Clubchef Bruchhagen jede Menge damit zu tun, die Wogen bei besorgten Sponsoren zu glätten. „Natürlich haben es Unternehmen nicht gerne, wenn ihr Image durch derartige Vorkommnisse beschädigt werden könnte“, sagt Bruchhagen.

Der HSV-Chef steht vor einer „Mission Impossible“. So ist die Sorge im Club ohnehin groß, dass viele Sponsoren ihr jährliches Kündigungsrecht wegen der verheerenden sportlichen Situation wahrnehmen. „Selbstverständlich bemühe ich mich, dass uns jeder Partner erhalten bleibt – unabhängig vom Ausgang der Saison“, sagt Bruchhagen.

Am Montagabend gab der HSV derweil die ersten Sofortmaßnahmen bekannt: das Mainz-Spiel wurde zum Sicherheitsspiel mit einer Sektorentrennung der Fangruppen erklärt. Die härteste Einschränkung: Gegen Mainz werde es nur alkoholfreies Bier geben.

Darauf ein trauriges: Prost.

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