Bremen/Hamburg. Nach dem 0:1 in Bremen will der abgeschlagene HSV das Unvermeidliche – mal wieder – mit einem Rettungstrainingslager vermeiden

Wenn es tatsächlich stimmt, dass schwere Zeiten drastische Maßnahmen erfordern, dann war am Sonntag in Hamburg der Punkt x erreicht. „Schluss mit diesem ganzen Demokratie-Schnickschnack“, schimpfte ein hartgesottener HSV-Anhänger im Schneegestöber am Sonntagmorgen im Volkspark. „Jetzt muss der Bernd endlich mal so richtig durchgreifen.“

Ob mit „dem Bernd“ nun der Neu-Trainer-Bernd (Hollerbach) oder der Neu-Präsident-Bernd (Hoffmann) gemeint war, ließ der dick eingepackte Fan allerdings offen. Doch so oder so konnte sich der Anhänger am Tag nach dem 0:1 gegen Werder Bremen sicher sein, dass zumindest an der Bernd-Front weitergekämpft wird. Während der eine (Hoffmann) seine erste Aufsichtsratssitzung an diesem Montag und die damit verbundene Revolution vorbereitete, nährte der andere (Hollerbach) eine Herde von Phrasenschweinen. Es fehle nur ein Erfolgserlebnis, sagte der Coach, aber seine Mannschaft habe großen Aufwand betrieben. Natürlich. Und: „Irgendwann kommt das Glück zurück.“ Und dann noch dieser Satz: „Der Knoten wird platzen.“

Nun denn. Ob der vom Trainer beschworene Knoten nach dem erneut enttäuschenden Nordderby in Bremen nun ausgerechnet beim „Endspiel-Endspiel“ gegen Mainz 05 platzt, darf zunehmend bezweifelt werden. „Zweite Liga, Hamburg ist dabei“, sang am späten Sonnabend nahezu das ganze Weserstadion, das nach dem glücklichen 1:0-Sieg gleich zweierlei Dinge zu feiern hatte: Werders Sprung von Relegationsrang 16 auf den rettenden 14. Platz. Und: Den rein statistisch fast schon sicheren Abstieg des verhassten Lokalrivalen.

Der HSV hat nach 24 Spielen nur 17 Punkte gesammelt. Vereinsnegativrekord. Dabei haben die Hamburger traurige 18 Tore erzielt. Auch das ein Negativrekord. Und: Nie in der Geschichte der Bundesliga hat sich ein Club noch gerettet, der zu diesem Zeitpunkt sieben Punkte Rückstand hatte. Und Hollerbach? Der zuckte am Sonntag nur mit den Schultern. „Ärmel hoch und weiter“, floskelte der Trainer-Bernd.

Die Frage, was man in einer ausweglosen Situation wie dieser noch machen kann, mussten die Verantwort­lichen beim HSV in den vergangenen Jahren schon häufig beantworten: ein Rettertrainingslager natürlich. „Es gibt die Überlegungen, dass wir in ein Kurztrainingslager fahren. Wir wollen den Kreis klein halten, fokussiert arbeiten“, erklärte Hollerbach kurz und knapp.

2015 setzte der HSV auf einen Kurztrainingslager-Hattrick: Erst ging es nach Rotenburg an der Wümme, dann zweimal nach Malente, ehe Marcelo Díaz („Tomorrow, my friend“) den HSV in der buchstäblich letzten Sekunde rettete. Im November 2016 setzte Markus Gisdol auf den Geist von Barsinghausen – und rettete den HSV am letzten Spieltag. Und nun will „Diktator Bernd“ („das war meine Entscheidung alleine“) spätestens ab Donnerstag den nächsten Versuch wagen. Das Problem: weder Malente noch Barsinghausen, Rotenburg oder sonst irgendein Platz in Norddeutschland haben (mit Ausnahme der Proficlubs) eine Rasenheizung und sind damit gegen die vorausgesagten Frösteltemperaturen von bis zu minus 15 Grad gewappnet. Eine Entscheidung über den Hollerbach-Wunsch wurde auf diesen Montag vertagt.

Doch auch unabhängig von den Frösteltemperaturen ist die Stimmung beim HSV nach der Niederlage im Derby auf dem Nullpunkt. „Es reicht halt im Augenblick nicht“, sagte der gefrustete Clubchef Heribert Bruchhagen. „Das ist ja nicht das erste Mal. Wir verlieren das siebte, achte Spiel mit einem Tor Unterschied. Das ist am Ende eine Frage der ...“ Qualität. Das ist das Wort, das Bruchhagen nicht aussprechen wollte. Und das ist das Rezept, das dem HSV in dieser Saison so dramatisch fehlt.

Nur ein paar Beispiele: Im ach so wichtigen Wir-stoßen-den-Bock-um-Derby konnten die Hamburger gegen schwache Werderaner gerade einmal 63 Prozent ihrer Pässe zum Mitspieler bringen, der HSV erkämpfte sich eine echte Torchance (Jatta/17.) und versuchte nicht einmal auf Sieg zu spielen, als Bremen sich längst mit einem 0:0 zufriedengegeben hatte. „Wenn wir mit einem 0:0 aus dem Derby nach Hause fahren, dann tut uns das einfach gut“, sagte André Hahn, der erstmals unter Hollerbach als Sturmspitze von Anfang an ran durfte und lediglich an einem Torschuss beteiligt war. Doch Angst vor dem ersten Abstieg der Clubgeschichte hat er trotzdem nicht. „Wir sind der HSV, wir haben es immer geschafft.“

Doch alles hat bekanntlich ein Ende, weiß auch der gelernte Schlachter Hollerbach. Nur die Wurst hat zwei.