Hamburg. Nach dem 1:2 gegen Leverkusen können nur Siege in Bremen und gegen Mainz für eine Resthoffnung sorgen

Stefan Walther

Es war frostig, als die HSV-Profis am Sonntagmorgen mit einer Verspätung von einer Dreiviertelstunde aus ihrer Kabine trabten. Das lag weniger an der enttäuschenden 1:2-Niederlage gegen Bayer Leverkusen vom Vortag als vielmehr an der klirrenden Kälte, die rund 20 Fans trotzdem nicht vom sonntäglichen Trainings­besuch abhielt. „Das ist alles nur noch traurig“, sagte einer, der sich aber keine große Mühe machte, seinen Unmut den durch den Volkspark joggenden Fußballern zu übermitteln. Zwei Ordner und ein zusätzlicher Sicherheitsmann waren vor Ort, gebraucht wurden sie im Gegensatz zum Vortag (siehe Text unten) allerdings nicht.

Rund 18 Stunden zuvor war die Stimmungslage im Volkspark noch eine andere. „Es ist ein ganz schwerer Tag für uns“, sagte Sportchef Jens Todt, während sich ein ganzes Bataillon an Ordnungsdiensten vor den Kabinen postierte. Im Stadion versuchten gerade ein paar Chaoten den Rasen zu stürmen, direkt vor der Arena wurden den Profis allerlei Nettigkeiten entgegengeschleudert. Und genau dazwischen stand Todt, nachdem er sich direkt nach dem Spiel zunächst einmal für eine Reflektionszigarette zurückziehen musste. Als sich der Rauch verzogen hatte, blieb nur Resignation. Was er denn zum statistisch schlechtesten HSV aller Zeiten nach dem 23. Spieltag sage?, wurde der Sportchef gefragt. „Das ist eine unheimlich schwierige Situation“, sagte Todt bedächtig, um doch noch in den Kampfmodus zurückzufinden: „Die vergangenen Jahre waren reich an schwierigen Situationen, wir haben sie alle gemeistert und bleiben optimistisch, dass wir es auch diesmal schaffen.“

Woraus Todt seinen unerschütterlichen Optimismus zog, konnte der Manager nach den vorausgegangenen 90 Minuten aber nicht erklären. Selbst Trainer Bernd Hollerbach wirkte noch am Tag danach an gleicher Stelle ratlos, als er über das Geschehen auf dem Rasen befragt wurde. „Die ersten 60 Minuten waren nicht in Ordnung“, antwortete Hollerbach am Sonntagmittag deutlich. „Wir waren viel zu gehemmt. Wir haben uns nichts getraut. Im letzten Drittel haben wir schlampig agiert.“

Besonders in der ersten Halbzeit enttäuschte die seit zehn Spielen sieglose Mannschaft die 45.691 Zuschauer maßlos. Das 0:1 durch den heraus­ragenden Leon Bailey nach einem haarsträubenden Fehler Douglas Santos‘ (40.) und Kai Havertz’ 0:2 (50.) waren die logische Folge. Alles andere als logisch war dagegen, was danach passierte. „Nach dem 0:2 hat das Team Moral gezeigt und alles reingeschmissen“, sagte Hollerbach, der sich aber nur noch über den hübsch herausgespielten Anschlusstreffer des eingewechselten André Hahn freuen durfte (70.).

Viel mehr Grund zur Freude gab es an diesem Wochenende für den HSV nicht – ganz im Gegenteil. Konkurrent Werder Bremen verlor zwar ebenfalls beim SC Freiburg (0:1), der FSV Mainz 05 konnte sich allerdings mit einem überraschenden 2:0-Sieg bei Hertha BSC weiter absetzen. Hamburgs Lieblingstabellenplatz 16, der immerhin noch zur Relegation berechtigt, ist damit bereits sechs Punkte entfernt. Und sogar das Schlusslicht aus Köln, das mit einem 1:1 gegen Hannover 96 punkten konnte, rückt dem HSV auf die Pelle. Um es einmal ganz deutlich zu formulieren: Das Ende naht.

„Wir sind noch nicht abgestiegen“, erinnerte Clubchef Heribert Bruchhagen, der mathematisch natürlich recht hatte. Allerdings wollte auch der Vorstandsvorsitzende nicht verhehlen, dass der Klassenerhalt zunehmend schwieriger wird. „Es gibt jetzt keine Alternative dazu, dass wir gegen die unmittelbaren Konkurrenten punkten müssen.“

Der Zufall, oder besser: der Spielplan will es nun so, dass diese unmittelbaren Konkurrenten in den beiden nächsten Spielen auf den HSV warten. Am kommenden Sonnabend müssen die Hamburger beim Tabellen-15. Werder Bremen antreten, eine Woche später gastiert Mainz 05 im Volkspark. „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, sagte der frühere Bremer Aaron Hunt, der die Dramatik der Situation vor seiner Rückkehr an seine alte Wirkungsstätte nicht verschweigen wollte: „Die Enttäuschung ist riesig und wächst von Woche zu Woche, wenn wir die Ergebnisse und Punkte nicht holen.“

Für diese Ergebnisse und Punkte will nun Bernd Hollerbach sorgen. Dabei ist die Aufbruchstimmung um den Nachfolger von Trainer Markus Gisdol längst verflogen. Viermal trat der HSV unter Hollerbach an – gegen Leipzig (1:1), Hannover (1:1), Dortmund (0:2) und Leverkusen (1:2) – und viermal wollte kein Sieg gelingen. Noch schlimmer: Club- und ligaübergreifend ist Hollerbach, der trotz freiwilligen Rücktritts für 200.000 Euro Garantieablöse von den Würzburger Kickers kam, bereits seit 21 Spielen ohne Sieg.

„Uns fehlt ein Erfolgserlebnis“, sagte Hollerbach am Sonntag, ehe er sich auf den Weg zur Mitgliederversammlung des HSV e. V. machte (siehe Seite 21). Zumindest dort gab es aufmunternde Worte für den noch sieglosen HSV-Trainer: „Danke für deinen Einsatz, Bernd“, sagte ein Mitglied am Nachmittag. Und als ein ungläubiges Raunen durch die Kuppel ging, stellte das Mitglied klar: „Gemeint ist nicht Bernd Hoffmann, sondern Bernd Hollerbach.“