Pyeongchang. Wada-Chefermittler Günter Younger sieht wichtige Fortschritte im Antidopingkampf – auch bei IOC-Chef Bach

Früher spürte er für Interpol Drogenhändler auf, danach machte er beim Landeskriminalamt (LKA) Jagd auf Cyberkriminelle, jetzt ist er Chefermittler der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada): Der 50 Jahre alte Bayer Günter Younger, der den Nachnamen seiner neuseeländischen Frau trägt, hat den Dopingskandal um russische Sportler untersucht und erklärt, wer vom IOC gesperrt werden muss und wer bei den Winterspielen von Pyeongchang unter olympischer Flagge an den Start gehen darf. Ein Gespräch über Medaillenspiegel, Thomas Bach und Whistleblower.

Herr Younger, schauen Sie sich eigentlich den Medaillenspiegel an?

Günter Younger: Na klar! Ich kann mir aber denken, worauf Sie anspielen.

Ja?

Ihre Frage tendiert dahin, wie unsere olympischen neutralen Athleten aus Russland abschneiden.

Und was denken Sie?

Dank unseres Systems, mit dem wir die Athleten herausgefiltert haben, gegen die wir irgendwelche Beweise oder Verdächtigungen haben, habe ich auch nichts dagegen, wenn die hier anwesenden Russen Medaillen gewinnen. Aber wie viele am Ende dort stehen, interessiert mich als Ermittler weniger.

Uns würde aber interessieren: Sind im Umkehrschluss die als sauber geltenden Russen in Pyeongchang sportlich chancenlos?

Das würde ich so nicht sagen. Schauen Sie doch mal auf die Deutschen: Bei denen gibt es ein sehr dichtes und gutes Testsystem, und die Sportler gewinnen trotzdem viele Medaillen. Man muss sich immer wieder zurücknehmen, was den Generalverdacht betrifft.

Der Internationale Sportgerichtshof Cas hat das IOC-Urteil, russische Sportler nach Ihren Empfehlungen zum Teil lebenslang zu sperren, einkassiert. Waren die Beweise zu schwierig zu erbringen?

Bisher hat man immer die Einzelschuld nachweisen müssen. Jetzt hat man festgestellt, es gab ein Dopingsystem in Russland. Ein wesentliches Merkmal dieses Systems war es, diese Beweise zu vernichten. Da wird es später schwierig, einem einzelnen Athleten die Schuld nachzuweisen.

IOC-Präsident Thomas Bach hat bereits häufig die Wada mit ihrem schottischen Chef Craig Reedie angegriffen. Tut das IOC genug im Kampf gegen Doping?

Die Zusammenarbeit im Panel, bei dem auch jemand vom IOC dabei war, war sehr harmonisch. Generell gesagt: Ich denke, Herr Bach wird sicherlich den zukünftigen Antidopingkampf mit den Erkenntnissen, die wir aus den zurückliegenden Ermittlungen gewonnen haben, auch etwas anders gestalten, gestalten müssen. Es gibt ein anderes Denken im Sport als noch vor drei Jahren.

Glauben Sie an einen sauberen Sport?

Als Polizist lernt man, dass eine Gesellschaft ohne Kriminalität unmöglich ist.

Ist das System der Russen beispiellos oder ist mit ähnlichem Ausmaß anderswo zu rechnen?

Weil Russland eines der größten Länder der Erde mit entsprechendem Potenzial ist, war dies hoffentlich eine Ausnahme. Gedopt wird vermutlich aber überall. Wir sind jedoch vorbereitet, wir haben aus den Ermittlungen gegen Russland gelernt, wie so ein System aufgebaut werden kann. Nun stecken wir Energie in die Gewinnung von Informanten, weil die vor Ort am ehesten uns sagen können, was los ist.

Erkennen Sie größere Bereitschaft, Betrug aufzuklären und zu helfen?

Wir binden inzwischen mehr Polizei ein, denn: Wenn wir keine Druckmittel haben, wieso soll dann derjenige zugeben, dass er etwas gemacht hat? Wenn Sie einen Verdachtsmoment bei der Polizei haben, steht ihnen ein ganz anderer Maßnahmenkatalog zur Verfügung.

Und was passiert bei den Sportverbänden?

Mit der Datenbank aus dem Moskauer Labor haben wir mehr als 60 internationale Föderationen versorgt, um auch herauszufinden, wo die ermittlungstechnischen Stärken und Schwächen der Organisationen sind. Mit einer Anleitung von uns und Grigorij Rodtschenkow (er lieferte der Wada die Moskauer Datenbank, die Red.), damit Ermittler wissen, wie sie die Datenbank zu interpretieren haben.

Ihr stärkste Waffe sind die Whistleblower. Steigt die Bereitschaft von Insidern auszupacken?

Wir haben im März vergangenen Jahres unser Speak-up-Programm aufgelegt, das man als App herunterladen kann. Im ersten Jahr konnten rund 200 Verdächtigungen registriert werden. Wir müssen uns einen guten Ruf aufbauen, dass wir effizient sind.

Journalisten helfen häufig als Dopingaufklärer. Könnten Sie jemanden wie den ARD-Dopingexperten Hajo Seppelt in Ihrem Team gebrauchen?

Ich habe mit ihm ja schon in Russland zusammengearbeitet. Journalisten haben mit die besten Quellen.

Mit Ihnen zusammenzuarbeiten, kann weitreichende Konsequenzen haben. Julia und Witalij Stepanowa, die das Russen-Doping entlarvt haben, und Rodtschenkow müssen sich versteckt halten.

Meine Philosophie für die Whistleblower, die ich zu verantworten habe, ist: vermeiden, dass sie öffentlich gemacht werden. Sobald sie medial bekannt sind, ist es schwierig, sie zu schützen. Da kann dann auch die Wada nichts mehr leisten. Und wer will schon in ständiger Angst leben, dass jemand hinter der nächsten Ecke einem etwas antun könnte?