Gastkommentar vonAndreas Rettig,dem Geschäftsführer des FC St. Pauli, zur Diskussion um die Zukunft des Profifußballs

Martin Kind, der Präsident von Hannover 96, hat seinen im September des vergangenen Jahres gestellten Antrag (umgangssprachlich) auf Übernahme des Vereins „ruhen lassen“. Damit bleibt es zunächst bei drei Ausnahmegenehmigungen (VW, Hopp, Bayer AG). Mit weiteren Ausnahmen ist in den nächsten Jahren nicht zu rechnen, da bei Antragstellung eine mehr als 20-jährige ununterbrochene Förderung des zu übernehmenden Vereins vorausgesetzt ist. Hiermit soll ein „Investoren-Hopping“, wie es in anderen Ländern bereits vollzogen wird, verhindert werden. Die 36 Clubs der Ersten und Zweiten Liga haben dieses in der Satzung ihres Verbandes explizit verankert und auch die Leitlinien im Dezember 2014 mit 36:0 Stimmen, also auch mit Zustimmung von Herrn Kind und Hannover 96, beschlossen.

Dieser hat rechtliche Schritte angekündigt, sollte zu einem späteren Zeitpunkt sein Antrag abgelehnt werden. Dies ist sein gutes Recht, auch wenn es vor dem Hintergrund verwundert, dass das von ihm vor vielen Jahren angestrengte Schiedsgerichtsverfahren, in dem er die 50+1-Regel zunächst dem Grunde nach angegriffen hatte, mit einem Kompromiss und dem Wegfall der sogenannten Stichtagsregel im Jahr 2001 einvernehmlich abgeschlossen wurde. Ob es dem Fairplay- Gedanken, vor allen Dingen auch der Solidarität allen anderen Clubs gegenüber entspricht, die 50+1-Regel wieder dem Grunde nach infrage zu stellen, erscheint fragwürdig.

In der Öffentlichkeit ist in der jüngsten Zeit der Eindruck entstanden, dass diese Regel vor staatlichen Gerichten und dem EuGH nicht Bestand haben würde. Darüber besteht unter Juristen keineswegs Konsens. Zwischen der Wirtschaft und dem Profifußball gibt es gravierende Unterschiede. So kommt das „Produkt Bundesligafußball“ erst durch den branchen-internen Wettbewerb zustande. Der FC Bayern braucht – anders als VW im Automobilbereich – seine Wettbewerber, um gegen sie zu spielen.

Auch das kürzlich vom Bundesarbeitsgericht gefällte Grundsatzurteil zum Arbeitsrecht im Profifußball unterstreicht die Besonderheiten. Ebenso die Entscheidung des Bundeskartellamtes in Hinblick auf die Zen­tralvermarktung der Medienrechte. Der Ausgang eines gerichtlichen Verfahrens ist somit völlig offen. Zumal die Verbandsautonomie der Sportverbände nach Artikel 9 grundgesetzlich geschützt und europarechtlich anerkannt wird.

Die 50+1-Regel ist keine Frage einer ausschließlich rechtlichen Bewertung, sondern eine vom DFB-Bundestag und den Clubs getroffene sportpolitische Entscheidung. Sie ist elementarer Grundpfeiler und Garant deutscher Fußballkultur als schützenswertes Gut. So mahnte seinerzeit das Schiedsgericht, dass trotz Zulassung von lizenzierten Kapitalgesellschaften „die historischen, kulturellen und sozialen Wurzeln des auf ehrenamtliche Tätigkeit beruhenden Fußballvereins nicht gelöst werden dürfen“. Für mich stellt diese Regel ein letztes Stoppschild für die immer weiter fortschreitende Kommerzialisierung dar.

Mitbestimmung und Teilhabe der Vereinsmitglieder stellen ein hohes Gut dar. Beim Wegfall der 50+1-Regel beginnt die Jagd nach dem reichsten Oligarchen, und die Bundesligatabelle wird zu einer Art Forbes-Tabelle mutieren. Es ist eine irrige Annahme zu glauben, dass durch die komplette Öffnung für Investoren die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Clubs im internationalen Vergleich steigen würde. Der Wettstreit unserer Clubs, die mit wirtschaftlicher Vernunft agieren, gegen arabische Staatsfonds, Oligarchen, Heuschrecken und staatlich geförderte chinesische Konzerne ist nicht zu gewinnen. Auch dem jüngst vorgetragenen Vorschlag, jeder Club möge selbst entscheiden, ob er sich an 50+1 hält oder nicht, ist eine Absage zu erteilen, da der Profifußball nur reguliert funktioniert. So würde eine Liberalisierung dazu führen, dass Vereine zugunsten des Wettbewerbs die Prinzipien des Vereinswesens opfern würden. Zudem käme es auch hier zu einer Ungleichbehandlung, da bisherige Anteilsverkäufe unter der Maßgabe der bestehenden Regel umgesetzt wurden.

Über allem steht die Ethik des sportlichen Wettbewerbs, dass jeder Club unter normierten – also auf Basis der Satzung vorgegebenen, für alle gleich geltenden – Regeln seinen Spielraum nutzt, um sportlichen Erfolg zu haben. Hier setzte im Übrigen der von unserem Verein 2016 gestellte Antrag an, nach dem die drei durch Ausnahmegenehmigungen bevorteilten Clubs für diesen eingeräumten Wettbewerbsvorteil einen Ausgleich zu schaffen hätten. Gerade weil ja mithilfe von Investorengeld sportlicher Erfolg erreicht wird, der einen höheren Anteil bei der Geldverteilung bewirkt. Somit wäre man auch der Integrität des Wettbewerbs sowie der Ausgeglichenheit ein Stück nähergekommen.

Ungehemmte und nur schwer zu kontrollierende Geldflüsse stellen zudem die Integrität des Wettbewerbs infrage, wenn nicht zweifelsfrei ist, wer tatsächlicher Kapitalgeber ist. Hier sind die undurchsichtigen Besitzverhältnisse der 9,2-Prozent-Beteiligung des chinesischen Konzerns HNA bei der Deutschen Bank ein Warnsignal.

Fußball ist und bleibt ein schützenwertes Kulturgut, für dessen Erhalt es sich zu kämpfen lohnt. Hier würde ich mir auch ein klares Bekenntnis des DFB-Präsidenten Reinhard Grindel wünschen. Ein Wegfall der Regel beschleunigt das Auseinanderdriften von Amateuren und Profis und entzieht dem Verband der Fußballvereine absehbar die Existenzgrundlage.