Pyeongchang. Rodler Felix Loch hatte den Sieg vor Augen. Doch der zweimalige Olympiasieger patzt im letzten Lauf

Im Auslauf hatten sie bereits alle Aufstellung genommen, um dem alten und neuen Rennrodel-Champion die Ehre zu erweisen; Trainer, Teammitglieder, Fans. Der historische Moment schien nur noch Augenblicke entfernt. In Vancouver 2010 und Sotschi 2014 hatte Felix Loch schon zweimal Gold im Einzel gewonnen. Nun wollte er es mit dem dritten Olympiasieg seinem Idol und Trainer Georg Hackl gleichtun. Doch ein kleiner Fehler eingangs der berüchtigten Kurve neun versetzte die versammelte Schar im Ziel in eine Art Schockstarre. Niemand hatte damit gerechnet, dass sich der nach drei Läufen führende Bayer diese Chance noch nehmen lässt.

Er selbst konnte seinen Patzer, der ihn wertvolle Zeit kostete und sogar nur den fünften Platz einbrachte, am wenigsten fassen. Lange saß Loch noch auf dem Schlitten, das Gesicht in den Händen vergraben. Immer wieder schüttelte er fassungslos den Kopf. Der Mann, der die Konkurrenz mit seiner fahrerischen Perfektion und Konstanz jahrelang vor allem bei den Saisonhöhepunkten beherrscht hatte, war konsterniert. Auch sein Mentor Hackl konnte es nicht glauben: „Der Felix war super unterwegs. Ich war mir sehr sicher, dass er’s macht. Aber Fehler können jedem passieren.“

Den ersten Trost spendete Vater und Cheftrainer Norbert Loch. Er nahm seinen wie ein Häufchen Elend auf dem Schlitten sitzenden Sohn fest in die Arme. „Felix hätte bloß gerade runterfahren müssen. Aber so etwas kann mal passieren. Da muss man ihm beistehen“, sagte er. Und selbst Teamkollege Johannes Ludwig, der dadurch überraschend die Bronzemedaille gewann, wusste im Ziel zunächst nicht, ob er sich freuen, weinen oder Mitleid mit dem Superstar der Szene haben müsste. „Meine Gefühle haben völlig verrückt gespielt“, erklärte er. „Aber Felix hat schon so viel gewonnen. Er wird es verschmerzen. Und es zeigt, dass auch er nur ein Mensch ist.“ Olympiasieger wurde sensationell der Österreicher David Gleirscher vor dem US-Amerikaner Chris Mazdzer.

Während das Überraschungstrio jubelte, verschwand Loch zerknirscht und zunächst wortlos in der Kabine. Nach der Dopingprobe und einem langen Telefonat mit seiner Frau gab er noch einen kleinen Einblick in sein Seelenleben: „Das ist sicher traurig. Aber ich wusste, dass so etwas irgendwann einmal passieren kann. Schon in Kurve zwölf merkte ich, das wird nichts mehr“, verriet der 28-Jährige. Ans Aufgeben denkt er dennoch nicht. In vier Jahren bei den Spielen in Peking will er es noch einmal versuchen.

Ludwig konnte derweil nach ein paar Sekunden der Besinnung sein Glück kaum fassen. 2010 und 2014 hatte der Thüringer in der internen deutschen Qualifikation die Olympiateilnahme zweimal knapp verpasst – und vor drei Jahren sogar ans Karriereende gedacht. „Ich hatte mich damals gefragt, ob das alles noch Sinn macht“, gestand er. Doch die Neuformierung seines heimischen Oberhofer Teams brachte den Spaß zurück – und der sich einstellende Erfolg in der Eisrinne auch neue Lust aufs Weitermachen.

Dass es bei seinem olympischen Debüt nun gleich zu einer Medaille reichte, wühlte den ruhigen Familienvater mächtig auf: „Ich kann vermutlich gar nicht einschlafen“, verriet er. In den frühen Morgenstunden ging es ins Deutsche Haus, wo er sich ein, zwei Pils und deftige Brezeln gönnte. Zu Hause stieg im Oberhofer Berghotel eine weitere Feier. Familie, Freunde und Vereinsmitglieder hatten sich den Bronzecoup gemeinsam angeschaut. Es könnten sogar noch mehr Medaillen werden: Als bester Deutscher ist er für die Teamstaffel am Donnerstag gesetzt. Loch, ganz Sportsmann, wünschte Ludwig dafür alles Gute – und Gold.

Bei den Frauen sind die Deutschen ebenfalls Favoriten. Am heutigen Montag (11.50 Uhr MEZ) und Dienstag (11.30 Uhr) fahren die einstigen Rivalinnen Natalie Geisenberger und Tatjana Hüfner in je zwei Läufen um die Goldmedaille. Für Olympia haben sie sich zusammengerauft, respektieren sich, wie sie sagen. Dritte deutsche Starterin ist Dajana Eitberger. Auch Summer Britcher (USA) und Alex Gough (Kanada) haben Chancen auf Edelmetall.