Pyeongchang. Südkoreas Präsident trifft auf der Eröffnungsfeier mit der Schwester von Nordkoreas Diktator zusammen. Jubel für Koreas gemeinsames Team

Plötzlich kam Bewegung in die Menschen auf den Sitzen. Innerhalb von wenigen Sekunden waren etliche Zuschauer im C-Block aufgesprungen und zückten aufgeregt ihre Handys. Wer das Objekt ihrer Begierde war, ließ sich erst erkennen, als die Menschentraube von den herbeigeeilten Ordnern aufgelöst wurde. Doppelgänger von US-Präsident Donald Trump (mit roter Kappe und roter Krawatte) und Nordkoreas Diktator Kim Jong-un (ganz in Schwarz) hatten sich unter das Publikum gemischt und dort mächtig für Wirbel gesorgt. Seite an Seite stiegen sie die Treppen empor und verschwanden – von mehreren Volunteers eskortiert – kurz darauf in den Katakomben. Während die beiden Doubles am Rande der Eröffnungszeremonie der Olympischen Winterspiele am Freitagabend im Olympiastadion von Pyeongchang auf humorvolle Weise Einigkeit demonstrierten, kam es auf der Bühne zu einem ernsten historischen Moment. Beim Einmarsch der teilnehmenden Nationen waren die süd- und nordkoreanischen Sportler als ein Team Korea aufgetreten. Die nordkoreanische Eishockeyspielerin Hwang Chung-gum und der südkoreanische Bobfahrer Won Yun-jong führten unter dem Jubel der 35.000 Besucher die gemeinsame Mannschaft an und schwenkten auch zusammen eine weiße Fahne, auf der in Blau das gesamte Land abgebildet war.

Die zur Schau gestellte Versöhnung setzte sich auf der Tribüne fort: Nicht nur, dass Kim Yo-jong, die einflussreiche Schwester von Nordkoreas Diktator und gleichzeitig dessen Propagandaministerin, den Feierlichkeiten beiwohnte. Erstmals reiste mit ihr ein Mitglied der seit drei Generationen in Nordkorea herrschenden Kim-Familie in den verfeindeten Bruderstaat. Die 30-Jährige sowie Südkoreas Präsident Moon Jae-in gaben sich demonstrativ die Hand und sendeten der Welt damit ein Zeichen der Annäherung – und nicht zuletzt eine Botschaft des Friedens. Neben ihnen hatten unter anderem auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und US-Vizepräsident Mike Pence Platz genommen. Die Politprominenz begrüßte die Athleten der 92 an den Winterspielen teilnehmenden Nationen.

Traditionell führte Griechenland die bunte Parade an. Vor der Schar der 162 zur Zeremonie anwesenden deutschen Aktiven, Trainer und Offiziellen schwenkte der Nordische Kombinierer Eric Frenzel (Oberwiesenthal) die Fahne. Lautstarke, poppige Rhythmen begleiteten den schwungvollen Stadionrundgang. Allerdings fehlte die fünfmalige Eisschnelllauf-Olympiasiegerin Claudia Pechstein (Berlin), die die Abstimmung um die Rolle des Fahnenträgers gegen Frenzel verloren hatte. Wie der Chef de Mission Dirk Schimmelpfennig erläuterte, verzichtete die ­45-Jährige aus „sportfachlichen Gründen“ auf ihre Teilnahme. Pechstein startet an diesem Sonnabend in der Eishalle von Gangneung über 3000 Meter.

Punkt 21.42 Uhr Ortszeit erklärte Südkoreas Präsident Moon Jae-in die Spiele mit der traditionellen Formel für eröffnet. Eiskunstlauf-Olympiasiegerin Kim Yuna entzündete als Schlussläuferin des 101 Tage währenden Fackellaufs die olympische Flamme. Zu den Fackelläufern hatte auch Fechterin und Asien-Expertin Britta Heidemann gehört. Die vor Kurzem zurückgetretene Olympiasiegerin von Peking 2008 legte am frühen Donnerstagabend ihr Teilstück des Weges zurück. Die Gesamtstrecke hatte 2018 Kilometer betragen. 7500 Läufer waren beteiligt und trugen auch die olympische Botschaft über die Ländergrenzen hinweg.

Trotz der beeindruckenden Musik- und Lichtshow, mit der die Gastgeber die Verbindung zwischen Tradition und Moderne in ihrem Land symbolisieren wollten, blieb das Publikum lange zurückhaltend. Zwar waren alle Zuschauer mit „Sogos“, den beliebten koreanischen Handtrommeln, ausgestattet. Doch richtig laut wurde es erst, als Pita Taufatofua im Bastrock und mit freiem Oberkörper sein Tonga präsentierte. Schon in Rio vor zwei Jahren hatte der Athlet, der damals im Taekwondo antrat, „oben ohne“ für Aufsehen gesorgt. Doch an der Copacabana herrschten damals keine zwei Grad unter null. In Pyeongchang wird der 34-Jährige im Skilanglauf an den Start gehen.

Damit die Besucher nicht frieren mussten, hatten die Organisatoren Mützen, Decken und kleine Wärmekissen verteilt. Ein Service am Eingang, der sichtlich gut ankam. Nach den 130 bewegenden Minuten nahmen die Menschen aber vor allem eines mit nach Hause: neue Hoffnung auf ein friedliches Sportfest.

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