Hamburg. Wer ist hier der Boss? Clubchef, Aufsichtsratschef, Sportchef, Finanzchef, Vereinschef und Cheftrainer kämpfen gegen die Führungskrise beim HSV

Das Sportliche war am Morgen nach dem 1:1 gegen Hannover 96 schnell abgehakt. 7:20 Minuten vor den Fernsehkameras und 8:28 Minuten vor den Printjournalisten brauchte Trainer Bernd Hollerbach, um die Lage der Liga zu erörtern. Die Hände in den Taschen, die Brust gespannt. Hollerbach sprach von den Tugenden „Kampfgeist“, „Einsatz“ und von „Moral“, die er am Vorabend auf dem Rasen gesehen haben wollte. Nun müsse man „hart arbeiten“, schlussfolgerte der fleißige Trainer, „dann kommen die Erfolgserlebnisse ganz von alleine.“

Mit Erfolgserlebnissen ist es beim HSV allerdings so eine Sache. Kaum zu glaubende 72 Tage ist mittlerweile der letzte HSV-Sieg bereits her. Ein rauschendes 3:0 gegen 1899 Hoffenheim. Trainer war damals noch Markus Gisdol, die FDP hatte gerade die Jamaika-Sondierungen platzen lassen und US-Präsident Donald Trump zwei Truthähne vor dem sicheren Thanksgiving-Tod gerettet.

Ob aber der letzte Bundesliga-Dino ähnlich viel Glück haben wird wie das amerikanische Geflügelpärchen Drum-stick und Wishbone wird man wohl erst im Mai dieses Jahres wissen. Allzu viel spricht in diesen Tagen allerdings nicht dafür, dass auch der HSV dem sicheren Tod noch einmal auf der Zielgeraden von der Schippe springt. „Nach 21 Spieltagen hat der HSV nicht nachgewiesen, dass der Club die Klasse für die Bundesliga hat“, sagte Sky-Experte Dietmar Hamann am Sonntag nach dem schmeichelhaften Remis gegen den Nordrivalen. „Wenn sich das Team weiter so verkauft wie heute, dann wird die Uhr im Mai abgestellt.“

Doch obwohl der HSV nun schon acht Partien in Folge nicht mehr gewinnen konnte, hat sich die chronisch erfolglose Mannschaft zuletzt deutlich besser als der Rest des Clubs verkauft. So gibt sich HSV-Chef Heribert Bruchhagen seit Monaten zwar größte Mühe, das Image des „Chaosclubs HSV“ zu revidieren. „Der Begriff Chaosclub ist nicht gerechtfertigt“, referierte Bruchhagen noch vor Kurzem. Nur innerhalb der eigenen vier Wände schien kaum einer zugehört zu haben.

Anders ist das Treiben der vergangenen Monate im Volkspark jedenfalls kaum zu erklären. Auf die Spitze wurde das alles in der vergangenen Woche getrieben, als zunächst eine interne Mail von Aufsichtsrat Felix Goedhart die Runde machte, dadurch öffentlich bekannt wurde, wie wenig Finanzvorstand Frank Wettstein von Vorstandskollege Bruchhagen und Sportchef Jens Todt hält und das Ganze in einer absurden Maulwurfsjagd gipfelte.

Ein Gutachten über die HSV-Führung soll sehr kritisch sein

Doch natürlich geht es heiter weiter. An diesem Dienstagmorgen um neun Uhr findet die verschobene Hauptversammlung im Stadion statt, auf der die AG-Anteilseigner einen neuen Aufsichtsrat verabschieden wollen. Und der eben noch gejagte Goedhart wird auf Wunsch von Präsident Jens Meier doch wieder antreten. Dem Vernehmen nach hat sich zudem Klaus-Michael Kühne höchstpersönlich angekündigt. Wer den streitbaren Milliardär kennt, der weiß, dass mit lautstarker Kritik kaum gespart werden dürfte.

Leise, aber nicht weniger deutliche Kritik musste die Führung des HSV bereits vor Kurzem in schriftlicher Form über sich ergehen lassen. So hat Fredmund Malik, ein Experte für systemorientiertes Management, ein mehr als 170 Seiten dickes Dossier über die internen Abläufe beim HSV verfasst, in dem offenbar – vorsichtig formuliert – deutlich auf die gravierenden Missstände hinter den Kulissen hingewiesen wurde. Drei Tage lang hatte der österreichische Wirtschaftswissenschaftler mit Forschungsschwerpunkt Managementlehre die Führungskräfte aller HSV-Abteilungen Anfang November auf Initiative von Wettstein und Präsident Jens Meier zu einem internen Workshop geladen, in dem es um innerbetriebliche Abläufe und um die Fragestellung ging, was die größten Schwachstellen der AG seien.

Die Antwort soll dabei sehr viel deutlicher ausgefallen sein, als es manch einem lieb gewesen ist. Eine detaillierte Auskunft wollte der Club auf Nachfrage des Abendblatts zwar nicht geben, aber dem Vernehmen nach ist besonders die Führungsfrage ein zentrales Thema des ausführlichen Dossiers. Oder plakativ gefragt: Wer ist hier eigentlich der Boss?

Goedhart will trotz Mailaffäre Aufsichtsrat bleiben

Genau diese Frage sollen auch Kontrolleur Goedhart und Finanzvorstand Wettstein in ihrem einstündigen Gespräch in der vergangenen Woche erörtert haben. Dabei schien eine Antwort vor gerade erst sechs Wochen gefunden: Da wurde der im Sommer auslaufende Vertrag von Clubchef Bruchhagen noch um ein Jahr bis Sommer 2019 verlängert. Was zu dem Zeitpunkt aber noch niemand wusste: Schon bei der Verlängerung soll sich ein Großteil des Aufsichtsrats einig gewesen sein, dass der HSV im Sommer einen neuen Vorstandsvorsitzenden brauche, den man allerdings ohne Hast suchen wollte. Genauso wie einen neuen Sportchef.

Jens Todt, wie Bruchhagen erst seit einem Jahr im Amt, steht besonders unter Beobachtung. Hauptkritikpunkt: die naive Kaderzusammenstellung im Sommer, die trotz Ausgaben von knapp 20 Millionen Euro zu keiner Verbesserung geführt hat. Kritikpunkt Nummer zwei: Der gescheiterte Versuch, das Missgeschick im Winter auszugleichen. Und Kritikpunkt Nummer drei: die weitere Kaderplanung der kommenden Saison. So holte sich Todt im Aufsichtsrat einen deutlichen Korb, als er für den 30 Jahre alten Kreuzbandrissrekonvaleszenten Nicolai Müller einen Dreijahresvertrag (plus einjähriger Option mit einer Gehaltssteigerung um mehr als ein Drittel) vorlegte.

Um es kurz zu machen: Die Aussichten der Verantwortlichen haben sich den sportlichen Aussichten längst angepasst: Sportchef Todt? Auf der Kippe. Clubchef Bruchhagen? Auf Messers Schneide. Finanzchef Wettstein? In der Kritik. Aufsichtsratschef Andreas Peters? Soll an diesem Dienstag durch den Newcomer Michael Krall ersetzt werden. Und Vereinschef Meier? Droht auf der Mitgliederversammlung am 18. Februar die Abwahl.

Ach ja, die Wahl. Mitten in all dem Chaos der vergangenen Woche ließ es sich Meier-Kontrahent Bernd Hoffmann nicht nehmen, via Facebook an die Mitgliederversammlung „unseres HSV“ zu erinnern: „Endlich gibt es wieder Erbsensuppe!“, stand bei „Team Hoffmann“ geschrieben.

Eben alles eine Frage der Perspektive.