Minneapolis. Philadelphia gewinnt gegen New England zum ersten Mal den Super Bowl. Und Quarterback Nick Foles stiehlt Tom Brady die Show

Millionen Konfettiflocken flogen durch die Luft, Tom Brady verließ gefrustet und im Eilschritt den Platz. Der erfolgreichste Spieler in der Geschichte der nordamerikanischen Football-Liga NFL hatte verloren. Im Scheinwerferlicht stand statt dessen ein Mann, dem die Aufmerksamkeit unangenehm erschien: Quarterback Nick Foles hatte mit den Philadelphia Eagles erstmals den Super Bowl gewonnen – mit 41:33 gegen Brady und die New England Patriots. Eine Sensation vor einer Milliarde Fernsehzuschauern aus aller Welt.

Dabei schien der Spielverlauf wie von einem Starregisseur für den 40-jährigen Brady geschrieben. Zwei Minuten vor Schluss lagen die Patriots mit 33:38 zurück – nur ein Touchdown fehlte Brady zum sechsten Sieg im achten Endspiel. Doch im entscheidenden Moment war er unachtsam, ließ sich den Ball von Brandon Graham aus der Hand schlagen. „Fly Eagles fly“ sangen die Fans der Eagles.

Bradys enttäuschtes Gesicht fotografierten tausend Kameras. Aber auch den langen Trostkuss der Ehefrau, Supermodel Giselle Bündchen. Währenddessen knuddelte der neue Super Bowl-Held Foles Babytochter Lily (sieben Monate), die den Konfettiregen mit großen Augen und rosafarbenen Riesenkopfhörern verfolgte. Überhaupt war die Show dieses für die Amerikaner wichtigsten Sportereignisses wie immer eine Show der Superlative.

Der Schauspieler und Musiker Leslie Odom sang die inoffizielle Nationalhymne „America the beau­tiful“, Popsängerin Pink die offizielle. Die Frage, was sie unmittelbar vor dem ersten gesungenen Ton aus dem Mund nahm, schaffte es sogar in die Breaking News. Hinterher verriet sie íhr kleines Geheimnis: „Grippe – es war ein Hustenbonbon.“

Noch mehr erkälten konnte sie sich jedenfalls nicht. Draußen herrschten minus 20 Grad, im beheizten Stadion umhüllten 20 Grad Spieler und Zuschauer. Für Brandin Cooks von den Patriots war der lauschige Football-Abend nach einem brutalen Hit von Eagles-Verteidiger Malcolm Jenkins dennoch schnell beendet. Jenkins ist einer, der als Lieblingsspeise mutmaßlich Beton angibt. Cooks wurde minutenlang behandelt. Als er aufstand – ein Wunder, dass er das hinbekam – klatschten alle: Patriots-Fans, Eagles-Fans und alle Spieler – auch Jenkins. Fouls gehören dazu, Fairness aber auch.

Wie üblich wurde das Spiel von vielen Pausen unterbrochen, die nicht nur durch Werbespots, sondern Promi-Einblendungen überbrückt wurden. Währenddessen warteten die Spieler geduldig auf dem Feld, bis es weiterging. Business as usual. Schauspieler Bradley Cooper, mit Model-Freundin Irina Shayk in der Arena, trug ein Eagles-Trikot. Moderator Jimmy Fallon verschüttete gerade sein Getränk, als er auf einer der beiden Anzeigetafeln zu sehen war. Gelächter.

In der Pause, Philadelphia führte mit 22:12, verwandelten Hunderte Helfer den Rasenplatz in eine Konzerthalle. Stadionlicht aus, Disco-Licht an. Justin Timberlake betrat die Bühne. Zwischendurch ließ er Prince, den vor zwei Jahren verstorbenen Pop-Titan aus Minneapolis, als Hologramm auferstehen. Die Fans jubelten. In der zweiten Halbzeit wurde es ein Offensivspektakel. Beide Mannschaften bewegten den Ball über 1151 Yards – Rekord. In der 38. Minute passte Foles den Ball über 22 Yards zu Corey Clement – Touchdown zum 29:19. Doch stand Clement mit beiden Beinen im Spielfeld, als er den Ball fing? „The play is under review“, sagte Schiedsrichter Gene Stera­tore. Videobeweis.

Das Warten begann, doch es wurde diesmal nicht überbrückt durch den nächsten Fünf-Millionen-Dollar-Werbespot. Der Teil der 67.000 Zuschauer, der sich gerade nicht für neun Dollar ein Bier besorgte, sah im Stadion dieselben Zeitlupen wie der Schiedsrichter. Nach ein paar Minuten verkündet der: „The ruling on the field stands“. Die getroffene Entscheidung bleibt bestehen.

Es blieb spannend bis zum letzten Pass, und der strahlende Sieger war ein Mann mit der Ausstrahlung eines Studenten. „Ich würde nicht hier stehen, wenn ich auf meinem Weg nicht Tausende Fehler gemacht hätte“, sagte Foles, „Scheitern gehört dazu, wir sind Menschen.“ 2013 hatte der Quarterback der Eagles zuletzt ein gutes Jahr gespielt, danach folgten vier Jahre, in denen fast alles misslang. Er dachte ans Aufhören, gab sich klaglos mit der Rolle des Ersatz-Quarterbacks hinter Stammkraft Carson Wentz zufrieden, begann ein Studium. Wentz spielte die Saison seines Lebens, führte Philadelphia ins Play-off, doch er verletzte sich: Kreuzbandriss. Foles sprang ein – und überzeugte.

„Jeder hat an Nick gezweifelt. Doch er machte einfach weiter. Er ist ein ganz besonderer Spieler“, lobte sein Teamkollege Jay Ajayi. Cheftrainer Doug Pederson sagt: „Ich habe immer an ihn geglaubt.“ Und was, wenn sein Vorgänger wieder fit ist? „Ich lebe im Moment“, sagt Foles. „Ich mache mir über die Zukunft keine Sorgen. Ich freue mich, wenn Carson gesund zurückkehrt.“

Auf den traditionellen Besuch im Weißen Haus beim umstrittenen Präsidenten Donald Trump wollen Malcolm Jenkins, Chris Long und Torrey Smith von den Philadelphia Eagles dennoch aus Protest gegen Rassismus und ungerechtfertigte Polizeigewalt verzichten. Alles überdeckt so ein Sieg denn doch nicht.