Hamburg. Der HSV muss sich über einen nicht gegebenen Elfmeter ärgern, darf sich aber über ein spätes und glückliches 1:1 gegen Hannover 96 freuen

Am Ende blieb nur Stille. Als Schiedsrichter Sascha Stegemann nach 93 Minuten das Spiel des einst großen HSV (aus Hamburg) gegen den angeblich kleinen HSV (aus Hannover) abpfiff, glich das Volksparkstadion einem Schweigekloster. 1:1 war das eher dürftige Bruderduell ausgegangen – und keiner wusste danach so wirklich, ob man sich nun freuen durfte oder nicht. „Wenn man so kurz vor dem Schluss noch den Ausgleich macht, dann muss man wohl erst einmal zufrieden sein“, versuchte Aaron Hunt die ambivalente HSV-Gefühlswelt zusammenzufassen.

Dabei fing der Fußballabend im Volkspark durchaus feierlich an. Mit einem kollektiven „Happy Birthday“ wurde der 51. Ehrentag von Stadionbarde Lotto King Karl besungen, ehe nach einer Chaoswoche abseits des Rasens zur Abwechslung mal wirklich der Fußball ins Zentrum des HSV-Geschehens rückte. Und der Großteil des eben noch lautstarken 46.016-Mann-Geburtstagschors fand auch direkt am Duell HSV gegen HSV Gefallen. Fußballerisch wurde zwar eher Magerkost geboten, allerdings konnten zumindest die Hamburger zunächst mit sehr kontrolliertem Offensivfußball überzeugen. Otto Rehhagel, einst Vater der „kontrollierten Offensive“, hätte seine Freude gehabt.

Bernd Hollerbach, der vor seinem Wechsel als Spieler aus Kaiserslautern zum HSV 1996 den Trainer Rehhagel nur um wenige Monate verpasste, hatte sich wie schon in Leipzig für ein defensives 3-5-2-System entschieden, das seine Mannschaft allerdings auf bescheidenem Niveau offensiver als vor einer Woche interpretierte. Bobby Wood (10.), Douglas Santos (13.), Aaron Hunt (18.) und erneut Wood (30.) konnten sich sogar so etwas Ähnliches wie halbe Möglichkeiten herausspielen – ehe es nach 35 Minuten tatsächlich die erste echte Torchance zu bestaunen gab. Allerdings auf der anderen Seite.

Nur die Fingerspitzen von Torhüter Christian Mathenia und vor allem die Querlatte verhinderten beim Kniescheibenball von Felix Klaus Schlimmeres. Vorerst. Denn es dauerte nicht einmal 30 Sekunden, ehe weder Mathenia noch das Aluminium helfen konnten. Passend zum Tag bemühte Iver Fossum einen Sonntagsschuss aus 22 Metern – und plötzlich stand es 0:1. „Es ist schwer, wenn man immer einem Rückstand hinterherlaufen muss“, sagte später Hunt.

Dass es bei diesem Rückstand bis zur Pause blieb, lag vor allem am Aufreger des Spiels, der auch in den kommenden Tagen noch für ordentlichen Gesprächsstoff sorgen dürfte. Bereits in der Nachspielzeit der ersten Hälfte entschied sich Hannovers robuster Abwehrmann Salif Sané im eigenen Strafraum, zunächst Hamburgs Filip Kostic unsanft von den Beinen zu holen und erst dann den Ball zu spielen. „Da waren wir nicht gerade vom Glück begünstigt. Für mich war das ein klarer Elfmeter“, sagte Hollerbach, dem auch ein Großteil der 46.016 Zuschauer zustimmte.

Nur Schiedsrichter Stegemann, der zuvor auch schon ein Handspiel von Pirmin Schwegler im Strafraum übersehen hatte, war anderer Meinung – und blieb auch dabei, nachdem er mit dem in Köln sitzenden Videorichter Jochen Drews das Wort zum Sonntag ausgetauscht hatte. „In der Halbzeit hat der Schiedsrichter zu uns gesagt, dass Sané klar den Ball gespielt habe“, sagte Hunt und schüttelte den Kopf.

Nun ja. Dass man am Ende dann aber doch nicht von einem aus Hamburger Sicht komplett gebrauchten Sonntag sprechen konnte, lag vor allem an zwei Szenen in der zweiten Halbzeit. Zu Anfang des zweiten Durchgangs verpasste zunächst Ihlas Bebou den endgültigen Knockout (51.), was sich nach allgemein gültigen Fußball-Floskelregeln kurz vor Schluss rächen sollte: Der eingewechselte Sejad Salihovic flankte, der begnadigte Walace verlängerte, und Torjäger Filip Kostic traf (86.). Jubel, Trubel, Heiterkeit – ehe sich doch kurz nach dem Schlusspfiff allgemeine Ernüchterung breitmachte. „Einerseits fehlt uns momentan das Selbstvertrauen und die Leichtigkeit“, analysierte Trainer Hollerbach, „andererseits haben wir uns in das Spiel noch einmal reingebissen.“

An der Hamburger Einerseits-andererseits-Stimmung konnte auch der späte Platzverweis von Kyriakos Papadopoulos nichts ändern, der Sekunden vor Schluss mit Gelb-Rot vom Platz musste. „Natürlich wird er uns in der kommenden Woche in Dortmund fehlen“, sagte Hollerbach. „Aber irgendetwas werden wir uns schon einfallen lassen.“ Irgendwas also. Doch irgendwann, irgendwie, irgendwo muss der HSV auch mal wieder siegen. Vor allem dann auch mal wieder im Volkspark, wo der Club in elf Spielen gerade mal zwölf Punkte ergattern konnte. Denn sonst wird es bald ganz und gar still in Hamburg.