Hamburg. Nach dem Spiel gegen 96 entscheidet die DFL über den Kind-Antrag. Doch wie positioniert sich der HSV?

Es war schon relativ spät am Mittwoch, als Frank Wettstein das Podium auf der Spobis betrat. Bei Europas größtem alljährlichen Branchentreffen des Sports in Düsseldorf lieferte sich der HSV-Vorstand einen durchaus unterhaltsamen Schlagabtausch mit St. Paulis Geschäftsführer Andreas Rettig, von dem es ein „Best of“ in alle Redaktionen Deutschlands schaffte. Da war vom „ehrenwerten Kaufmann Kühne“ (Rettig) und von „Geld, das aus der Prostitution kommt“ (Wettstein) die Rede. Nur die entscheidenden Sätze gerieten bei dieser spaßigen Verbalkabbelei in den Hintergrund. So bezog Wettstein ganz im Ernst eine durchaus überraschende Position in der laufenden 50+1-Debatte: „Ich plädiere dafür, dass jeder Club über seine möglichen Investoren selbst entscheidet“, sagte der HSV-Vorstand, der sich damit als einer der ersten Bundesliga-Entscheider auf die Seite von Hannovers Martin Kind schlug.

Tatsächlich gibt es im deutschen Fußball derzeit kein größeres Thema als die Debatte um die 50+1-Regel, die es Investoren verbietet, Bundesligaclubs mehrheitlich zu übernehmen. Oder besser: die es den meisten Investoren verbietet, Clubs mehrheitlich zu übernehmen. Denn genau an dieser Stelle ist die Krux. „Wir haben bei 50+1 doch schon viel zu viele Ausnahmen“, sagte Wettstein auf der großen Bühne. „Die Regel ist schon lange ausgehebelt, auch durch RB Leipzig. Die etablierten Clubs werden behindert.“ Sein Fazit: Über 50+1 solle statt von der DFL von den Clubs selbst entschieden werden.

Ähnlich sieht es auch Hannovers Martin Kind, kurioserweise am Wochenende als Gegner im Volkspark, der ein Vorreiter in Sachen 50+1-Revolution ist. Seit Jahren kämpft der 96-Chef darum, die Investorenregel zu kippen. Und schon an diesem Montag oder Dienstag, wenn das Präsidium der Deutschen Fußball-Liga über seinen Antrag entscheidet, könnte der Hannoveraner sein Ziel erreicht haben.

„Die Debatte muss bei uns überhaupt erst einmal geführt werden“, sagt Kind nun im Interview mit der „Frankfurter Rundschau“. Sollte sein Antrag aber abschlägig beschieden werden, droht der Clubchef der Niedersachsen, den Rechtsweg einzuschlagen. Und sollte der Mann mit dem markanten Kinn seine Ankündigung wahr machen und die 50+1-Regel sogar vor einem ordentlichen Gericht kontrollieren lassen, könnte das ganze System kippen. Experten sind sich einig, dass die 1998 von Wolfgang Holzhäuser erfundene Regelung einer rechtlichen Überprüfung kaum standhalten würde.

Aus Hamburger Sicht wird es spätestens an dieser Stelle spannend. Die entscheidende Frage: Hat die HSV Fußball AG eigentlich eine Strategie für den Fall der Fälle? Mit einem deutlichen „Nein“ antwortete ebenfalls am Mittwoch Clubchef Heribert Bruchhagen, der auch in Düsseldorf bei der Spobis war. „Mir fehlt das Vorstellungsvermögen, dass ein Investor, der sich in Gänze einen Verein einverleiben möchte, die Zustimmung der Mitglieder und der Stadt erhielte“, sagte Bruchhagen bei der Spobis. „Die Zeit ist bei uns noch nicht reif dafür.“

Doch stimmt das überhaupt? „Ob man will oder nicht, die 50+1-Regel wird früher oder später kippen“, ist sich Bernd Hoffmann sicher. Der Präsidentschaftskandidat ist derzeit auf Wahlkampftour. Am Montag bat er Medienvertreter in den sechsten Stock des Astraturms. Hoffmann redete über den HSV e.V., über die AG-Struktur, über Besitzverhältnisse – und über das mögliche Ende der seit 1998 geltenden 50+1-Regel. „Auf diesen Moment muss man als Club vorbereitet sein.“

Bislang hat der HSV 23,81 Prozent seiner Anteile verkauft. Das theoretische Szenario, dass im Falle einer 50+1-Revolution ein externer Investor beim HSV einsteigt, erscheint angesichts des bisherigen Anteilverkaufs ganz praktisch ohnehin als ausgeschlossen. Denn kaum ein Investor dürfte beim HSV einsteigen wollen, solange Minderheitsaktionär Klaus-Michael Kühne, der 20,57 Prozent der AG-Anteile erworben hat, zumindest eine Nebenrolle beim HSV spielt(siehe Rand unten).

Ob nun aber die 50+1-Regel ein Segen oder ein Fluch für den deutschen Fußball ist, darüber kann man natürlich ganz trefflich streiten. „Fällt die 50+1-Regel, wird sich ein Sturzbach über den Fußball hierzulande ergießen und die Vorstellungen, die wir in Deutschland von ihm haben, völlig durcheinander bringen“, sagt der Berliner Sportphilosoph Gunter Gebauer. Einerseits. Andererseits kontert Hannovers Martin Kind, dass „Investoren in der Regel für ein professionelles Management in den Clubs sorgen.“

Warum ihn trotzdem kaum ein anderer Club unterstützt, wurde Kind von der „Frankfurter Rundschau“ gefragt. „Ich sage es mal ganz deutlich“, antwortete der 96-Chef: „Die meisten haben keinen Mut.“ Die Clubchefs hätten vor der Öffentlichkeit Angst. „Im privaten Gespräch geben sie mir recht und finden auch, dass die Vereine selbst bestimmen sollten, welchen Weg sie gehen wollen. Aber sie trauen sich nicht, dass dann auch laut zu sagen.“

Doch manchmal geht es bekanntermaßen schneller als man denkt. Geschrien hat Wettstein zwar nicht. Laut genug war er aber allemal.