Leipzig/Hamburg. Unter dem Gisdol-Nachfolger erkämpft sich der runderneuerte HSV ein Pünktchen in Leipzig und ein Fünkchen Hoffnung im Abstiegskampf

Viel hat Bernd Hollerbach nicht geschlafen. Und gut schon mal gar nicht. Ernsthafte Schlüsse über das Bundesligadebüt des neuen HSV-Trainers bei RB Leipzig konnte man in Anbetracht von Hollerbachs Schlafgewohnheiten dann aber auch nicht ziehen. „Nach einem Spiel schlafe ich immer schlecht“, relativierte der 48 Jahre alte Franke am Morgen nach dem 1:1. „Ich bin dann immer sehr aufgewühlt.“ Deswegen habe er auch bis tief in die Nacht Videosequenzen vom Auftritt seines neuen Teams angeschaut, bevor er die Protagonisten vom Vortag wenige Stunden später um 8.30 Uhr im Volkspark wieder begrüßte.

Nach der kurzen Hotelnacht des Drüberschlafens blieb der Fußballlehrer aber bei seiner Meinung, die er bereits direkt nach seinen ersten 90 Minuten als HSV-Coach kundgetan hatte. „Wir haben einen großen Fight geliefert“, sagte Hollerbach. So richtig reingebissen hätte sich seine Mannschaft, lobte der frühere Kämpfer – und zählte auf, was ihm gut gefallen habe: Einheit, Disziplin und natürlich Ordnung. Eben typisch Hollerbach, könnte man sagen. Oder: ein „echter Hollerbach-Punkt“.

Er wisse zwar nicht, was „ein echter Hollerbach-Punkt“ sei, sagte Heribert Bruchhagen nach dem „Hollerbach-Punkt“. Aber grundsätzlich würde er zustimmen, dass ein erster Schritt in die richtige Richtung gemacht sei. Dabei wollte der HSV-Chef auch gar nicht verhehlen, dass die Partie in Leipzig nach dem frühen Rückstand durch Bruma auch ganz anders hätte ausgehen können: „Nach zehn Minuten ist mir das Gleiche durch den Kopf gegangen wie Ihnen. Sie können also einfach schreiben, was Ihnen durch den Kopf gegangen ist. Aber Sie müssen ja schreiben, was mir durch den Kopf gegangen ist, obwohl es genau das Gleiche war“, philosophierte Bruchhagen.

Nun ja, die Gedanken sind ja bekanntermaßen frei. Das galt Mitte des 19. Jahrhunderts für Dichter August Heinrich Hoffmann von Fallersleben – und das galt am Sonnabend auch für Neu-HSV-Coach Hollerbach. Der überraschte bei seinem ersten Spiel vor allem damit, dass er so ziemlich alle und jeden überraschte: Der Nachfolger des beurlaubten Markus Gisdol entschied sich mit Christian Mathenia statt Julian Pollersbeck für einen Torhüterwechsel („eine sehr schwere Entscheidung“), für ein ultradefensives 3-5-2-System („kompakt stehen“) und mit Walace, Rick van Drongelen, Mathenia und Immer-noch-Kapitän Gotoku Sakai gleich für vier 2018-Debütanten. Und besonders für den einstigen Problemprofi Walace hatte Hollerbach anschließend nur lobende Worte übrig. Der Brasilianer sei halt ein Familienmensch, der sehr sensibel sei. Aber auf dem Platz habe dieser baumlange Kerl eine unglaubliche Präsenz, sei sehr aggressiv. „Er ist so ein Spieler, wie ich ihn mag“, sagte Hollerbach, der dem einstigen „Streikprofi“ auch direkt versprach, dass er für ein paar Tage nach Brasilien dürfe, sobald die Geburt seines zweiten Kindes ansteht.

Zuckerbrot und Peitsche eben. Gerade mal eine Woche ist der neue Trainer im Amt, scheint aber trotz (oder wegen) seiner Devise („Arbeit first“) bei den Profis anzukommen. „Dieser neue Gemeinschaftsgeist ist wichtig für uns“, sagte van Drongelen nach dem 1:1. „Wir müssen jetzt jeden Morgen um 8.30 Uhr zusammen frühstücken. Vorher war egal, wann wir kamen. Jetzt müssen wir alles gemeinsam machen. Wir müssen sogar alle die gleichen Klamotten tragen. Im Training darf nicht einer lange und der andere kurze Hosen tragen“, gab der Niederländer einen Werkstattbericht aus dem Inneren des Mannschaftskerns. „Mir gefällt das. Das gibt einem ein gutes Gefühl, dass man in schweren Zeiten zusammensteht.“

Dank Filip Kostic sind diese schweren immerhin keine hyperschweren Zeiten. Der Flügelflitzer, den Hollerbach („mit allen Freiheiten“) in den Sturm beorderte, hatte den schönsten HSV-Angriff des Spiels (und den einzigen der ersten Halbzeit) mit dem 1:1-Tor abgeschlossen. Dass der Serbe dabei knapp im Abseits gestanden hatte: geschenkt.

Dass aber Hoffnungsträger Hollerbach keinesfalls geschenkt ist, musste Bruchhagen am Sonntag zerknirscht einräumen. „Eine Möglichkeit ist, dass wir ein Ablösespiel in Würzburg machen und die Einnahmen bei den Kickers bleiben. Sollte das Spiel nicht stattfinden, gibt es eine Ausgleichszahlung unsererseits“, gab der HSV-Chef bei Sky zu. Alles im Leben – und in der Bundesliga sowieso – hat eben seinen Preis.