Varazdin. Nach dem EM-Debakel steht der Handball-Bundestrainer unter Druck – Verband gibt (noch) Rückendeckung

Ein paar Stunden Schlaf hatten die Laune nicht verbessert. Wortkarg stiegen die deutschen Handballer am Donnerstagmorgen in den Bus, der sie zum Flughafen nach Zagreb brachte. Die Europameisterschaft in Kroatien war für das deutsche Team beendet, seit es das entscheidende letzte Hauptrundenspiel gegen Spanien 27:31 verloren und damit ein desaströses Abschneiden mit Platz neun besiegelt hatte. „Ist doch kein Medientermin“, waren einige der wenigen Worte, die man Kapitän Uwe Gensheimer entlocken konnte. Der Rest der Spieler schwieg.

Auch die Verantwortlichen hatten keine richtigen Antworten auf die Fragen, die seit dem späten Mittwochabend kursierten: Wie konnte das passieren? Wie konnte man das Spiel gegen die Spanier nach einer guten ersten Halbzeit in den zweiten 30 Minuten so vergeigen und als gestandene Profis minutenlang wie eine Truppe Amateure auftreten, die acht teils kuriose Tore hintereinander kassierte? „Wir haben die Bälle vorne wie eine Schülermannschaft ins Aus geschmissen“, hatte Torwart Andreas Wolff über jene Phase gewütet, in der all die Verunsicherung in geballter Form auftrat, die während des gesamten Turnierverlaufs zu spüren war.

Immerhin: Christian Prokop versuchte sich am Donnerstagmorgen an einer Erklärung. Der Bundestrainer sprach von der Leistungsdichte in diesem Turnier. Von der Bürde der Rolle des Titelverteidigers. Vom Nervenkostüm, das in den entscheidenden Phasen flatterte.

Prokop sieht im Ausscheiden eine wichtige Erfahrung

„Wir haben dem Druck nicht standgehalten.“ Woran auch Prokop seinen Anteil hat. Der zum Amtsantritt gefeierte 39-Jährige hat im Laufe des Turniers viel Kritik einstecken müssen. Wegen des anfänglichen Verzichts auf Abwehrchef Finn Lemke. Wegen seiner schnellen und häufigen Auswechslungen in den Spielen und wegen manch taktischen Fehlgriffs. Auch für die nach außen nicht immer stimmig wirkende Teamchemie wird er verantwortlich gemacht. „Ich habe viele Erfahrungen in diesem Turnier gesammelt. Auch viele negative“, sagte der Bundestrainer am Donnerstag.

Rücktrittsgedanken hegt der 39-Jährige aber keine. „Erst bin ich in den Zeitungen der ,Julian Nagelsmann des Handballs‘, und jetzt soll ich zurücktreten? Da muss man auch mal realistisch bleiben. Ich habe noch Großes vor“, sagte Prokop. Es war eine Mischung aus Trotz und Optimismus. Bis 2022 steht der Mann aus Sachsen-Anhalt noch unter Vertrag beim Deutschen Handball-Bund (DHB). Und kommenden Januar steht nicht irgendeine Weltmeisterschaft an, sondern die gemeinsam ausgerichtete WM von Deutschland und Dänemark mit den Spielorten Köln, Berlin, Hamburg und München. Im Jahr darauf steigen die Olympischen Spiele in Japan. Das Ziel ist nicht weniger als die Goldmedaille. „Der Trainer steht nicht zur Disposition. Das Ziel ist es, mit ihm weiterzumachen“, sagte Bob Hanning, Vizepräsident des DHB.

Bis zu den kommenden Großereignissen hat der Bundestrainer allerdings noch sehr viel Arbeit vor sich. „Lasst uns vier bis sechs Wochen Zeit für eine ausführliche Analyse“, bat Hanning. „Angefangen bei mir bis hin zum Trainerstab und jedem einzelnen Spieler.“ Viele Dinge waren ohnehin offensichtlich: Als Team haben die deutschen Spieler nie so zusammengefunden wie beim EM-Triumph 2016. Im Rückraum fehlt ein konstant starker Spielmacher. EM-Debütant Philipp Weber (25) hat riesiges Potenzial, war dem Druck aber nicht gewachsen.

Überhaupt der Rückraum: Hier spielten Steffen Weinhold, Steffen Fäth und Kai Häfner unkonstant, Julius Kühn kam erst in den letzten beiden Spielen auf Betriebstemperatur. Linksaußen Gensheimer, derzeit einziger Nationalspieler im Dienste eines Spitzenclubs jenseits der deutschen Grenzen (Paris SG), spielte völlig unter Normalform. Was dem eher ruhigen Charakter nach außen auch in seiner Rolle als Kapitän schadete.

In der Abwehr sorgte Nachzügler Lemke für Stabilität. Aber der 2,10-Meter-Hüne ist eben ein reiner Abwehrspieler. Ein Spezialist, für den es in Prokops Interpretation des modernen Handballs eigentlich keinen Platz mehr gibt. „Wir brauchen ein System, in dem es nicht nur Spezialisten in Angriff und Abwehr gibt“, sagt Prokop. Ihm gefalle Norwegen mit seinem schnellen Umschaltspiel aus der Abwehr. Die Norweger sind bei der EM übrigens ebenfalls draußen, sie wurden Siebter. Nur zwei bedeutungslose Ränge besser als die Deutschen.