Melbourne. Die Schwäche des Hamburger Tennisprofis bei Grand-Slam-Turnieren hält auch in Melbourne an

An einem sehr großen Ziel für die Zukunft hatte Alexander Zverev jüngst keinen Zweifel gelassen. Als er zu Jahresbeginn beim Hopman-Cup in Perth gefragt wurde, was er besser machen wolle, sagte der deutsche Senkrechtstarter: „Erfolgreicher sein bei den Grand Slams. Vielleicht sogar bald mal eins dieser Turniere gewinnen.“ Er sagte es auch, weil es im zurückliegenden Jahr ein Schönheitsfehler im großen Aufschwung gewesen war, jene auffällige Schwäche bei den Majors. 2017 gab es einen meist begeisternden Zverev im regulären Touralltag. Und einen Zverev, der leicht verkrampft wirkte, wenn es galt, mit der Größe der Grand-Slam-Aufgaben zu wachsen.

Am Sonnabend hätte der 20 Jahre alte Hamburger bei den Australian Open 2018 gerne einen neuen Aufbruch bilanziert. Doch als er am frühen Abend aus der Rod-Laver-Arena herausmarschierte, hatte er gerade einen bitteren Rückschlag erlebt. Im letzten Durchgang seines Drittrundenduells mit seinem südkoreanischen Generationskollegen Hyeun Chung war Zverev abgekanzelt worden wie kaum zuvor in seiner Profikarriere. Zu null! Es war eine Bloßstellung für den Hamburger, dessen Ergebniskrise auf Grand-Slam-Niveau in Melbourne­ mit dem 7:5, 6:7 (3:7), 6:2, 3:6, 0:6-Knockout eine unangenehme Fortsetzung fand.

Zverev sprach später davon, er hätte das Spiel auch in vier Sätzen gewinnen können, überhaupt sei das Niveau bis auf den fatalen letzten Abschnitt „sehr gut“ gewesen. Aber den Kern der Probleme berührte er damit zunächst nicht, seine schwierige mentale Verfassung bei den Grand-Slam-Turnieren, das ungelöste Rätsel, geordneten Widerstand zu organisieren, wenn die Luft dünn wird auf dem Centre-Court. In der Schlussphase stürzte der Weltranglistenvierte regelrecht in sich zusammen.

Natürlich hatte Zverev später völlig recht, als er sagte, er sei erst 20 Jahre alt, und in diesem Abschnitt der Karriere hätten nur „ganz wenige“ schon einen Grand Slam gewonnen. Doch es ist keineswegs so, dass es nur einen Druck von außen auf Zverev gäbe, bereits jetzt etwas sehr Außergewöhnliches zu erreichen. Der Druck kommt vor allem von ihm selbst, er ist nicht der Geduldigste der sogenannten Next Generation, der zukünftigen Machtelite. In Melbourne wollte er am liebsten im Handumdrehen die Geschichte seiner Grand-Slam-Vorstellungen umdrehen, doch schon die Prüfung gegen den stabilen Chung, den Sieger des NextGen-Finales 2017 in Mailand, erwies sich als zu komplex für den deutschen Spitzenspieler. Er verlor aufs Neue beides gegen den Asiaten: Die Kontrolle über sich selbst – und dann das Match. „Man hatte nicht den Eindruck, dass es einen Plan B oder C gab, als der Plan A nicht aufging“, befand Boris Becker, Herren-Abteilungsleiter des DTB.

Zverev hat den gewichtigsten Aufstieg in der engeren Weltspitze geschafft. In der modernen Tenniswelt freilich zählen die Majors mehr denn je, sie bestimmen nicht nur einen vordergründigen Marktwert, sie definieren überhaupt den Tennisprofi. Aber in dieser Königsdisziplin läuft Zverev bislang eher mit. Er ist noch kein Machtfaktor, keine bestimmende Kraft. Er ist vielmehr ein Suchender, einer, der immer noch am Zusammenbau des großen Puzzles bastelt. Er ist auch ein Getriebener, von Umweltfaktoren ebenso wie von sich selbst. „Ich bin noch nicht da, wo ich hinwill bei den Slams“, sagt Zverev, „ich will manches vielleicht auch zu viel und zu schnell.“

Zverev berichtete, er habe zudem mit Roger Federer in der Kabine gesprochen, gleich nach der eigenen Nieder­lage. Es waren tröstende, aufbauende, einordnende Worte von Federer, auch die Mahnung, nicht zu viel von sich zu verlangen. Schließlich hat der Schweizer selbst erlebt, was Zverev gerade durchmacht – allerdings in einer nicht ganz so aufgeregten Zeit, ohne diese machtvollen Stimmen, die nun auch aus allen Richtungen der sozialen Netzwerke über einen Mann wie Zverev hereinbrechen. Man konnte es nach dieser Niederlage auch wieder lesen, das aufgeregte Geraune: Zverev sei überbewertet, arrogant, kein Fightertyp bei den Grand Slams, verschleudere seine Potenziale.

Bis zu seinem Wimbledonsieg 2003 hatte Federer Ähnliches gehört, dann, mit einem magischen Turniersieg am wichtigsten Schauplatz überhaupt, war der Bann gebrochen. Die Traumstory des 36 Jahre alten Superstars wird sich nicht wiederholen. Aber Zverev muss bei den Grand Slams irgendwann zu mehr Gelassenheit und Gleichmaß finden, wenn er denn je die ultimative Schlagkraft entwickeln will.

Angelique Kerber (29/Kiel) spielte nach ihrem überragenden 6:1, 6:3-Drittrundensieg über die Russin Maria Scharapowa (30) in der Nacht zu diesem Montag im Achtelfinale gegen Hsieh Su-Wei aus Taiwan.