Melbourne. Der Hamburger Alexander Zverev ist einer der Tennisprofis, die die Altstars Federer und Nadal ablösen können

Alexander Zverev weiß genau, was ihn bei einem Grand-Slam-Turnier wie den Australian Open inzwischen mit großer Selbstverständlichkeit erwartet. Natürlich die heftige Gegenwehr seiner Konkurrenten, der 20-Jährige ist längst nicht mehr der Jäger in der großen Karawane der Tennisprofis, sondern der Gejagte, der Mann auf Platz vier der Weltrangliste, gegen den es zu siegen lohnt. Aber da sind auch die hohen Ansprüche, die sich mit seinem Namen verbinden.

„Ich höre nicht drauf, es hat keine Bedeutung für mich“, sagt der gebürtige Hamburger, wenn er mit diesen Prognosen konfrontiert wird, „es hat schon so viele Wunderkinder gegeben, potenzielle Nummer-eins-Spieler, aus denen nichts geworden ist.“ Also sei es am besten, „man macht seine Arbeit, tut jeden Tag das Bestmögliche, um einmal ganz vorne zu stehen. Im Alltag kann ich mich nicht um diese Dinge kümmern.“

Alexander Zverev ist der Stärkste und Beste aus einer Altersgruppe von jungen Spielern, die von der Herrentennisorganisation ATP gern im Marketingsprech als „NextGen“-Truppe bezeichnet wird. Im vergangenen Jahr veranstaltete die ATP sogar eine eigene Welt- meisterschaft für die Stars von morgen in Mailand. Zverev allerdings, der Vorzeigespieler, war gar nicht dabei, er hatte es zum regulären ATP-Finale nach London geschafft. Dort gewann der Bulgare Grigor Dimitrow, dessen Karriere dadurch geprägt war, dass man ihn schon seit vielen Jahren als nächsten Topmann bezeichnete, und der die versammelte Expertenschaft dann ebenso regelmäßig falsch liegen ließ und enttäuschte.

Das Kuriose am Beispiel Dimitrow ist womöglich, dass man in ihm trotzdem noch einen Vertreter der „nächsten Generation“ vor sich haben könnte – in einer Tennisära, in der es mittlerweile als normal gilt, dass beinahe alle Spieler aus der engeren Weltspitze älter als 30 Jahre sind. Roger Federer, der Mann des Jahres 2017, ist sogar schon 36, und nichts deutet auf einen schnellen Abgang des geschätzten Maestro hin. „Im Tennis verschiebt sich gerade alles in der Altersfrage“, sagt der Schwede Mats Wilander, einst selbst die Nummer eins, „Spieler, die Anfang 20 schon so weit vorne stehen wie Zverev, sind eher atypisch.“

Spieler brauchen nach Wilanders Eindruck im modernen Tennis mehrere Jahre, um sich vollständig zu akklimatisieren: „Der Jugendwahn liegt hinter uns“, sagt der Schwede, „um wirklich zum Gipfel zu gelangen, braucht man Erfahrung, psychische und physische Robustheit. Aktuell mehr denn je, denn der Konkurrenzkampf wird immer härter.“ Schaut man genauer auf das vergangene Jahr zurück, dann war die nächste Generation zwar in aller Munde. Es gab sie, die blitzlichtartigen Momentaufnahmen, in denen junge Spieler zu großer Hoffnung Anlass gaben, aber eigentlich dominierten wieder die Alten das Geschehen. Federer, der magische Comebacker. Und der ewige Kämpfer und Dauerrückkehrer Rafael Nadal. Alle vier Grand-Slam-Titel nahmen sie in ihren Besitz.

Spielern wie Zverev blieb gerade auf den allergrößten Bühnen noch das Nachsehen, im Herbst hatten viele der Youngster auch körperliche Probleme. Er sei zwischenzeitlich in ein Tief gefallen, bekannte auch Österreichs Star Dominic Thiem (24): „Was du auf der Tour leisten musst, ist schon brutal.“ Zverev, sein Freund, assistierte mit dem Fazit: „Es ist alles noch ein großer Lernprozess für mich. Auch das Umgehen mit den Hochs und Tiefs. Das Leben auf öffent­licher Bühne ist oftmals schmerzlich.“

Das, was gemeinhin als Durchbruch der neuen Generation bezeichnet wird, ist auch 2017 nicht zu erwarten: ein flächendeckender Erfolg bei den Grand Slams oder die Besetzung vieler Spitzenpositionen. Auf ATP-Weltmeister Dimi­trow konzentriert sich personell die Frage, ob die Mittzwanziger für mehr als erwartungsvolle Schlagzeilen gut sind. Neben Dimitrow zählen dazu: Der Belgier David Goffin, der US-Amerikaner Jack Sock, der Spanier Pablo Carreno Busta, der Kanadier Milos Raonic.

Zverev hat ein hartes Jahr vor sich, das schwere zweite Jahr in der Gipfel­region. Er hat angekündigt, nach einem eher schwachen Grand-Slam-Jahr 2017 nun bei einem Major triumphieren zu wollen – gegen alle Opposition, die ihn bestens kennt und nicht mehr mit Überraschungseffekten zu kämpfen hat. Zverev könnte der jüngste Grand-Slam-Champion seit Juan Martin del Potro werden (21 Jahre/US Open 2009). Aber er könnte auch zum Prototyp einer Generation werden, die noch weiter reifen und weiter warten muss.